Vom Wohnen in Kaufhäusern

Kino Sofia Coppolas verfilmte Reportage „The Bling Ring“ ist der Film der Stunde: Von einer absurden Wirklichkeit, die eine politische und aktuelle Erzählung vom Reichtum ist
Ausgabe 33/2013
Moderne Finanzkapitalistinnen (rechts: „Harry Potter“-Star Emma Watson)
Moderne Finanzkapitalistinnen (rechts: „Harry Potter“-Star Emma Watson)

(c) TOBIS FILM

Ich hätte gern meinen eigenen Lifestyle“, sagt ein junges Mädchen in Sofia Coppolas Film The Bling Ring. Das ist nicht dasselbe wie ein eigenes Leben. In Kalifornien geht es nicht um Individualität. Sondern um Reichtum. Aber Kalifornien ist heute überall. The Bling Ring ist der Film der Stunde. Er ist gegenwärtig und politisch, auch wenn er filmisch nicht einmal besonders hervorsticht. Mit sanftem Impressionismus hat Coppola einen Text aus der Vanity Fair verfilmt, den die Reporterin Nancy Jo Sales im Jahr 2010 geschrieben hat. Die Geschichte erzählt von einem eigentümlichen Verbrechen: Vom Herbst 2008 bis zum Sommer 2009 brachen fünf Jugendliche aus Hollywood in den Häusern ihrer Stars ein, um Devotionalien zu klauen – Schmuck und Kleider von Paris Hilton oder Lindsay Lohan, Orlando Bloom oder Kirsten Dunst. Es ist ein Zufall, dass gleichzeitig die Finanzkrise ihren Höhepunkt erreichte. Und gleichzeitig ist es kein Zufall.

Die große Regisseurin Coppola kann es sich leisten, ihre Geschichte mit großer Zurückhaltung zu erzählen: die Wirklichkeit, die sie schildert ist so absurd, der Plot, der sich tatsächlich zugetragen hat, klingt so konstruiert, dass die Regisseurin selber nicht viel extrapolieren muss. Die junge Diebin Nicki, mit verkniffener Miene von Emma Watson gespielt, und ihre Kumpane organisieren ihre Einbrüche über das Internet: auf Gossip-Seiten des Netzes informieren sie sich über die Reiseaktivitäten von Paris Hilton. Die Adresse ist durch eine einfache Suchanfrage im Netz zu erfahren. Genaue Lagepläne der Zielobjekte sind über Google-Earth einfach verfügbar; und dann liegt der Schlüssel auch noch unter der Fußmatte.

Paris Hilton ist sie selber ...

Aus solcher Perspektive wird der Begriff des Gesetzesübertritts ebenso prekär wie der von Privatheit. Paris Hiltons Ruhm ist selbstreferenziell und kann nur dadurch inszeniert werden, dass sie ihn andauernd irgendwo vorzeigt. Ständige Abwesenheiten gehören quasi zum Geschäftsmodell. Und es stellt sich die Frage, ob ihr Haus eigentlich ihr Haus ist oder nicht ohnehin der Öffentlichkeit gehört. Zugleich ist das Schuldbewusstsein der klauenden Teenager schon deshalb gering ausgeprägt, weil Paris Hilton von ihnen ja bewundert wird. Der Diebstahl wirkt hier nur wie eine Form besonderen Fantums – und darin weitaus weniger aggressiv als etwa Stalking. Die Gruppe, die selber keinen Mangel leidet, nimmt sich ein wenig von dort, wo ein unüberschaubares Zuviel herrscht.

Denn das ist ein Teil von zeitgenössischer Ästhetik, die The Bling Ring gemeinsam mit anderen Reichtumserzählungen aus diesem Jahr wie Der große Gatsby oder auch Spring Breakers pflegt: Reiche Leute erkennt man daran, dass sie in Kaufhäusern wohnen. Beim Großen Gatsby ist die Gigantomanie schon Teil des Titels – und nicht umsonst handelte es sich um den dritten Versuch, den Klassiker der amerikanischen Belletristik ins Kino zu bringen.

Baz Luhrmanns Film setzte sich mit einer Überbietungslogik auseinander, die auch ihn selbst betraf – der Film musste seinen Charakter als so reich, so unzugänglich und so entrückt inszenieren wie noch kein Film zuvor. Das resultiert dann in einer Kaufhausarchitektur, in der Kleider oder Schmuck nur mehr in jeweils eigenen Räumen aufbewahrt werden können. Leonardo DiCaprios Gatsby gab sich, dazu passend, wie ein Direktor über seinen Besitz, der ihm qua Masse gar nicht mehr gehorchen kann: Als er seine angebetete Daisy mit einer Orgel beeindrucken will, muss ein Spieler hinzugerufen werden, um diese bedienen zu können.

... und spielt sich glänzend

Sofia Coppola inszeniert den Blick in die Häuser der Reichen weniger exhibitionistisch; die zurückhaltend-klandestine Raumerkundung in The Bling Ring korrespondiert naheliegenderweise besser mit der Art, wie sich Einbrecher durch dunkle Häuser bewegen. Das funktioniert besonders gut im Haus von Paris Hilton. Es ist das echte Haus von Paris Hilton und die echte Paris Hilton, soweit es die gibt, spielt sich auch selbst. Sie macht das sehr gut. Reichtum bedeutet hier raumfüllenden Überfluss. Und wenn ein bestimmtes Maß überschritten ist, das zeigt Coppola dem Zuschauer, dann wird der Besitz plötzlich entsubjektiviert. Paris Hilton kann unmöglich wissen, was ihr alles gehört (weshalb Diebstahl in der Dimension von Handgepäck erstmal bemerkt werden muss). Andererseits wird durch das Komplettangebot von Farben und Formen sämtlicher Kleidung auch die Idee eines eigenen Stils suspendiert. Die Welt der materiellen Dinge hebt sich selber auf. Wer alles besitzt, besitzt nichts – und ist auch nichts. Nirgends wird das deutlicher als in Hiltons Haus – je mehr Bilder seiner sonderbaren Besitzerin dort ausgestellt sind, an den Wänden, auf den Tischen, auf dem Sofa, desto tiefer sieht der Zuschauer in deren innere Leere.

Ausgerechnet Paris Hilton hat also gar einen „eigenen Lifestyle“, weil sie ja immer alles hat. Aber ihre jugendlichen Bewunderer meinen mit Lifestyle ohnehin keine spezifische Ausprägung von Lebensentwurf oder auch nur Mode, sondern: Reichtum. Dass der kürzeste Weg dahin führt, ihn einfach zu behaupten, wie das die Teenager in The Bling Ring glauben tun zu können, ist die Pointe von Coppolas Film wie die des Gatsby (weshalb dessen tragisches Leiden an der fehlenden Anerkennung aus heutiger Sicht kokett wirkt). Das macht Coppolas Film zur Metapher des modernen Finanzkapitalismus, indem der Versuch unternommen wird, Reichtum durch Behauptung zu erzeugen. Darum mögen zwar die Zahlen, in denen Reichtum heute taxiert wird, märchenhaft fern wirken, aber als Lebensstil scheint er nah und greifbar. Er scheint nicht auf schwer zu erreichender Leistung zu beruhen – sondern auf einfach aufzustellender Behauptung. Oder es müssen nur ein paar mehr oder weniger schlimme Verbrechen begangen werden, die sich, am Ziel angekommen, nachholend legalisieren ließen.

Allein der Sinn verschwindet zwischen dem Wunsch nach und der Realität von Reichtum. Er trägt schwer am immerfort möglichen Zugriff auf alles und erschöpft sich wie der Beat von Frank Oceans Song Super Rich Kids, der am Ende des Films als sardonisches Echo ertönt: „Too many bottles of this wine we can’t pronounce.“

The Bling Ring läuft ab 15. August im Kino

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