Nicht immer laut ...

Vom Kabarett ins Kloster Isa Vermehren, das "Mädchen mit der Knautschkommode"

Das erste Mal sah ich sie auf dem Fernsehschirm. Samstagabend zur besten Sendezeit saß da eine freundlich dreinblickende, in feierliches Schwarz gehüllte Nonne vor der Kamera und sprach mit einfachen Worten über dies und das, über das Leben, die Liebe und letzte Dinge. Sie tat das mit einem Witz und einer heiteren Gelassenheit, mit einer Hingabe und einem Temperament, das neugierig machte und selbst Zuschauer zu fesseln verstand, für die das Wort zum Sonntag nicht gerade ein unbedingtes Muss war. Man ließ sich vom Charme dieser ungewöhnlichen Moderatorin gefangen nehmen und hielt aus - schon allein, um am Ende des Klerikal-Clips zu erfahren, wem denn diese wachen, lebendigen Augen mit dem schelmischen Blick unter der schwarzen, weiß abgesetzten Haube wohl gehören mochten. Der Abspann nannte dann ihren Namen: Isa Vermehren, Ordensschwester der Gesellschaft vom Heiligsten Herzen Jesu.

Isa Vermehren - war das nicht das legendäre "Mädchen mit der Knautschkommode", das Anfang der dreißiger Jahre zwei Dutzend Schallplatten besungen hatte und zum festen Stamm der Berliner Katakombe gehörte, bevor die Nazis diesem politisch-literarischen Kabarett den Garaus machten und ihrem Gründer, Leiter und Chef-Conferencier Werner Finck einen Maulkorb verpassten?

Sie war`s. Isa Vermehren, inzwischen Mitte achtzig, blickt auf ein ungewöhnliches Leben zurück. 1918 wird sie als Tochter eines Rechtsanwalts und einer Journalistin geboren. Ihre Jugend verbringt sie in ihrer Geburtsstadt Lübeck. Die Eltern fördern ihr musikalisches Talent, das sich bald im ebenso temperamentvollen wie lautstarken Vortrag kleiner Lieder zur Ziehharmonika Bahn bricht. Im Frühjahr 1933, wenige Wochen nach Hitlers Machtübernahme, fliegt sie vom Lübecker Gymnasium, weil sie sich beim Morgenappell auf dem Schulhof geweigert hatte, die Nazi-Fahne zu grüßen. Sie geht mit ihrer Mutter nach Berlin und gibt dort im November des gleichen Jahres als Fünfzehnjährige in der Katakombe ihr Bühnendebüt. Sie singt ein Lied, das sie von einem internationalen Jugendtreffen mitgebracht hat: Eine Seefahrt, die ist lustig, eine Seefahrt die ist schön ... Die Berliner BZ schreibt nach ihrem ersten Auftritt: "Werner Finck bringt eine neue Entdeckung, die auf dem Programmzettel ›Hanna Dose‹ heißt, von ihm aber als ›Isa Vermehren‹ angesagt wird. Sie singt Lieder zur Ziehharmonika, Matrosenlieder, mit einer Unbekümmertheit und einer tollen Stimme, die in zwei Registern in wildesten Kapriolen herumjauchzt, eine Spezialität, die überrumpelt." Der freche Song von der lustigen Seefahrt wird zu ihrem Erkennungs-Lied, die Schallplatte zum Bestseller und Isa Vermehren mit ihrem Schifferklavier zum Begriff.

Werner Fincks Katakombe war im Berlin der Dreißiger eine erste Kabarett-Adresse: Es wurde dort noch gewitzelt, gelästert und parodiert, als es im Deutschland unterm Hakenkreuz längst nichts mehr zu lachen gab. Aber die Kabarettisten jener Jahre lebten gefährlich. Gestapo-Spitzel, die sich unter das Publikum mischten, notierten jede Pointe und jeden Lacher. Am 10. Mai 1935 war es dann so weit: Als Isa Vermehren an diesem Abend in die Lutherstraße kam, fand sie das Kabarett geschlossen, ihre Kollegen, darunter Werner Finck, Günther Lüders und Walter Gross, waren verhaftet und wurden wenig später ins Konzentrationslager Esterwegen gebracht.

Isa Vermehren blieb zunächst noch unbehelligt. Sie besang Schallplatten, drehte ein halbes Dutzend Spielfilme, darunter Knock out, eine Kino-Komödie aus dem Boxermilieu, in der sich Weltmeister Max Schmeling als Schauspieler versuchte. Und immer wieder musste sie die lustige Seefahrt besingen, bald gab es sogar einen Spielfilm mit dem Titel. Plötzlich aber ging den Nazis auf, dass es in diesem Lied eine Textzeile gibt, die als Anspielung auf Goebbels verstanden werden kann: "Unser Erster auf der Brücke ist ein Kerl Dreikäsehoch, aber eine Schnauze hat er, wie `ne Ankerklüse groß". Im Völkischen Beobachter erscheint daraufhin ein Artikel unter der Überschrift Eine Seefahrt, die ist lustig - und ein Schlager fällt in Ungnade, in dem die Stadt Lübeck aufgefordert wird, Isa Vermehren, die dort ein Gastspiel geben soll, nicht auftreten zu lassen: "Selbstverständlich hat auch der deutsche Seemann Sinn für einen Spaß und auch derben Humor, er ist ja selber auch nicht zimperlich, und gegen ein wirklich lustiges Lied über die Seefahrt und den deutschen Seemann würden sich die Angehörigen der Handelsmarine am ehesten freuen. Wogegen sie sich aber wenden, ist die Verletzung ihrer Berufsehre." Isa Vermehren singt dennoch ihr Lied, nun in Hamburg. Die krakeelenden Nazis, die sie am Singen hindern wollen, werden vom restlichen Publikum ausgebuht. Der Fall wird nach Berlin gemeldet und landet auf Goebbels Schreibtisch.

Die junge Kabarettistin fragt sich in diesen Jahren, ob es im Deutschland der etablierten Lüge und Gewalt noch Wahrheiten gibt, die und für die es zu leben lohnt. Bereits zur Katakomben-Zeit hatte sie die Abendschule besucht und ihr Abitur nachgeholt. Sie beschäftigt sich mit Fragen der Religion und der Ethik. 1938 tritt sie, inzwischen zwanzig Jahre alt, zum katholischen Glauben über und trägt sich mit dem Gedanken, ins Kloster zu gehen.

Dann überstürzen sich die Ereignisse: 1939 bricht der Zweite Weltkrieg aus, Isa Vermehren wird dienstverpflichtet und macht Truppenbetreuung für deutsche Soldaten, singt Bach-Lieder und kleine Ariettas, spielt Klassisches auf der Blockflöte zur Cembalo-Begleitung - in Unterständen, zerstörten Scheunen, in ausrangierten Eisenbahn-Waggons. Als ihr Bruder Erich, Diplomat an der deutschen Botschaft in Ankara, sich 1944 zu den Engländern absetzt, werden Isa Vermehren und ihre Familie in Sippenhaft genommen und ins Konzentrationslager gebracht. Sie überlebt Ravensbrück, Buchenwald und Dachau. 1945, kurz nach ihrer Befreiung, schreibt sie ihre KZ-Erlebnisse nieder. Das Buch, das ein Jahr später erscheint, nennt sich Reise durch den letzten Akt. Es wurde zum Bestseller. 50 Jahre später ist es im Buchhandel noch vorrätig.

Der Neuanfang im zerstörten Deutschland ist schwer. Noch immer will Isa Vermehren Nonne werden, aber sie wird abgewiesen: "Was können Sie denn schon? Singen, Schauspielern, Autofahren, Schuheputzen? Lernen Sie erst mal was!" Also studiert sie Deutsch, Englisch, Geschichte, und Philosophie. Da sie kein Geld hat, tritt sie noch einmal im Kabarett auf und lässt sich von Helmut Käutner für den Trümmerfilm In jenen Tagen engagieren.

"Ich bin nicht immer laut, kann auch ganz still mit dir gehn", heißt es in Isa Vermehrens Jahrmarkts-Romanze, einem ihrer frühen Lieder. Es klingt wie ein Versprechen, das eines Tages eingelöst werden soll. 1951 endlich wird ihr sehnlicher Wunsch erfüllt, sie geht - inzwischen 33 Jahre alt - als Ordensschwester der Gesellschaft zum "Heiligsten Herzen Jesu" ins Kloster. Sie wird Lehrerin, macht ihr Staatsexamen, wird Leiterin eines katholischen Mädchengymnasiums. Ein Gang in die Stille ist es nur partiell geworden - dafür ist Isa Vermehren bis ins hohe Alter geblieben, was sie schon als junges Mädchen auszeichnete, als sie auf die Kleinkunstbühne stürmte, um ihr Publikum zu erobern: temperamentvoll, umtriebig, neugierig, hellwach - eine genaue Beobachterin ihrer Zeit bis in unsere Tage hinein, eine hellwache Chronistin.

1983 war Isa Vermehren zum erstenmal in der ARD mit dem Wort zum Sonntag zu sehen. Fünfzehn Jahre lang war sie die "fröhliche Nonne vom Fernsehen", wie man sie bald nannte. Wann immer sie auf dem Bildschirm erschien, waren die Einschaltquoten beachtlich, die Zuschauer-Post immens und der Wasserverbrauch der Fernseh-Haushalte nicht der Rede wert. Zwischendurch war sie auf zahlreichen Kongressen zu hören, sie hielt Vorträge und Seminare, daneben schrieb sie Bücher über Glaubensfragen, über die Gottsuche und das Glück der erfüllten Liebe. Heute lebt sie im Kreis ihrer Ordensschwestern in Bad Godesberg.

Ein glücklicher Mensch also? "Aber ja. Ich habe meinen Entschluss, ins Kloster zu gehen, noch nie bereut, nicht eine Sekunde." Ihr Lächeln hat etwas Entwaffnend-Überzeugendes.

Zeugen des Jahrhunderts - Isa Vermehren. 3Sat, 30. 4. 2002, 10.15 Uhr

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