In die Parade gefahren

Regenerative Energie Seit rot-grün die umweltfreundliche Stromerzeugung subventioniert, bekämpft die Opposition diese Politik. Der niedersächsische Ministerpräsident Wulff wechselt nun die Fronten

"Öl raus - Wind rein" lautet ein Slogan, mit dem Greenpeace für Windkraftanlagen anstelle von Bohrtürmen auf hoher See wirbt. "So einfach ist die Sache mit der vermeintlich guten Energie nicht", sagt dagegen der Naturschutzbund (Nabu). "Mit mir gibt es keine Nearshore-Anlagen", hatte der Oldenburger CDU-Abgeordnete und niedersächsische Wissenschaftsminister Lutz Strathmann stets versprochen. Kaum an der Macht fährt ihm sein CDU-Ministerpräsident Christian Wulff in die Parade: Die Anlagen würden zunehmend zum wichtigen Wirtschaftsfaktor für eine strukturschwache Region, heißt es aus der niedersächsischen Staatskanzlei. Was im Norden der Republik goldig zu glänzen scheint, hat im Süden das Gschmäckle von rostigem Eisen. In Baden-Württemberg reitet Ministerpräsident Erwin Teufel (CDU) gegen fast fertige Windmühlenflügel an, weil sie sich nicht rechnen und zudem hässlich sind, schimpft der Landesherr. Allerdings hatte Wirtschaftsminister Döring (FDP) die Anlagen zuvor anstandslos genehmigt.

Innerhalb der Branche fallen die Urteile höchst unterschiedlich aus. Ob die in der Nordsee geplanten Rotorenparks jenseits des Festlands jemals den erhofften Gewinn erwirtschaften werden, ist fraglich. Der jahrelange Aufschwung der Windenergie ist bis heute zwar ungebrochen, aber doch gebremst. Rund 14.000 Windkraftanlagen stehen mittlerweile in Deutschland, sie decken bislang etwa vier Prozent des Strombedarfs, zehn Prozent sollen es in einigen Jahren sein. Dafür setzen einige Anbieter auf das Aufrüsten vorhandener Anlagen an Land. Andere wollen hinaus auf See, abseits und nahe der Küste, im Fachjargon Off- und Near-shore.

Anfang des Jahres ging dann das Bild eines umgekippten Rotorriesen im niedersächsischen Vechta um die Welt. Frühjahrsstürme hatten den tonnenschweren Koloss niedergestreckt. Ein Alarmsignal für die Versicherungswirtschaft: "Eigentlich sind Windräder nicht mehr versicherbar", sagt Hans-Peter Leßmann von den Westfälischen Provinzial-Versicherungen. Rund 40 Millionen Euro mussten die Versicherer im Jahr 2002 an die Betreiber der deutschen Windräder zahlen.

Angesichts der hohen Risiken sorgt eine Aussage des Branchenprimus Enercon in Sachen Offshore-Windparks derzeit für zusätzliche Unsicherheit. Die geplanten Windparks im Meer seien "technisch nicht ausgereift, unwirtschaftlich, mit viel zu vielen Problemen behaftet", sagt der Vertriebsleiter des Weltmarktführers aus Aurich Stefan Lütkemeyer und dämpfte damit jüngst die einstige Aufbruchstimmmung. Und so freut sich Versicherungsexperte Leßmann, "dass wir damit noch nichts zu tun haben".

Ein finanzielles Desaster erwarten die norddeutschen Inselgemeinden, wenn das, was sich einige Windkraftunternehmen wünschen, Wirklichkeit werden sollte. Um für die hohe See zu üben, wollen Unternehmen wie die Enova aus Bunderhee bei Emden in Küstennähe Rotorenparks aufbauen. Die Vorbereitungen für zwei Windparks innerhalb der Zwölf-Seemeilen-Zone sind bereits weit gediehen, einer bei Borkum, ein anderer westlich von Wangerooge. "Da sind wir uns alle einig, Windparks in Sichtnähe lehnen wir kategorisch ab", sagt Gerhard Müller, Stadtdirektor von Borkum. Die direkten Nordsee-Anrainer fürchten einen Rückgang des Tourismus, von dem alle abhängig sind.

Auch die norddeutschen Fischer haben sich dem Protest jetzt angeschlossen. Mit einer Kutterparade demonstrierten sie jüngst in Cuxhaven gegen den geplanten Windpark in Nordergründe bei Wangerooge. Wenn die 76 Rotoren gebaut würden, sei ein wichtiges Fanggebiet passé, argwöhnt Söhnke Thaden vom Verband der Elbe-Weser-Fischer. Unterstützung bekommt er vom Naturschutzbund. Die Öko-Lobbyisten halten den Standort für höchst ungeeignet, weil er inmitten einer Vogelfluglinie liegt und zudem eine stark befahrene Schifffahrtslinie daran vorbei führt. Havarien in diesem Gebiet? Da treffen sich die sonst oft unterschiedlichen Interessen von Naturschützern und Inselgemeinden wieder.

Ob sich die Kritiker durchsetzen, darf bezweifelt werden. Denn die einstige Außenseiterindustrie hat einiges zu bieten, was auch die neue Landesregierung zur Kenntnis nehmen muss. Immerhin seien in der Windenergie mit der Schaffung von über 3.200 Megawatt Kraftwerksleistung schon rund drei Milliarden Euro in Niedersachsen investiert worden. So steht es in einem aktuellen Positionspapier der Landesregierung. Über 40 Prozent aller Windkraftanlagen in Deutschland werden demnach heute bereits in Niedersachsen hergestellt. 5.000 direkte und mehrere tausend indirekte Arbeitsplätze hängen laut Regierung in Niedersachsen von der weiteren Entwicklung dieses Energietyps ab. Und das niedersächsische Institut für Wirtschaftsforschung erwartet bis 2010 zusätzliche Investitionen von vier Milliarden Euro in Niedersachsen allein im Bereich der Offshoreentwicklung. Die nötige Erprobung innerhalb der Zwölf-Seemeilen-Zone, Nearshore also, will die Landesregierung deshalb unterstützen. Und wenngleich Wulff zwischen Emden und Cuxhaven bislang regelmäßig beteuert, er werde "nichts gegen die Menschen entscheiden", setzt ein nagelneues Projekt deutliche Zeichen. Trotz des jüngst verhängten Spardiktats an niedersächsischen Hochschulen will er mit einer 4,6-Millionen-Euro-Finanzspritze die Forschung für Windkraft auf hoher See an den Universitäten Oldenburg und Hannover stärken.

Erwin Teufel in Baden-Württemberg ist da eindeutiger. Für zwei bislang von allen zuständigen Stellen genehmigte Windräder hat er jetzt, kurz vor ihrer Fertigstellung, einen Baustopp verhängt. Die für ihr ökologisches Engagement bekannten Freiburger wollten die beiden 100 Meter hohen Türme am Schauinsland aufstellen. Doch Windkraft sei nichts weiter als staatliche Förderung von Kapitalanlegern - die erneuerbare Energieform rechne sich überhaupt nicht, sagte Teufel anlässlich des Trittinschen Erneuerbare-Energien-Gesetzes. Baden-Württemberg bezieht etwa 60 Prozent der Energie aus Kernkraft.

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