Sonntagvormittag, 11 Uhr. Ein kleines Kino in Starnberg bei München: Matinee - Leoparden küsst man nicht von Howard Hawks. Der Film zählt in jedem europäischen Filmkunsttheater zum Standardrepertoire, insbesondere nach dem Tod Katharine Hepburns im Juni diesen Jahres - in Amerika war er ein riesiger Flop und bracht die Karriere seiner Protagonistin gewaltig ins Wanken. Im Kino nur alte Damen, kaum jemand unter 60, alle allein. Dieses Schicksal teilen sie mit ihrer Protagonistin, oder besser gesagt, sie hat es mit ihnen geteilt.
A. Scott Berg, Pulitzerpreisträger, vielleicht der bedeutendste amerikanische Biograph unserer Zeit (Goldwyn, Lindbergh) hat sich diesmal Katharine Hepburn vorgenommen. Im Englischen heißt das Buch Kate remembered. Die Deutschen haben da
. Die Deutschen haben daraus Katharine Hepburn - Ein Jahrhundertleben gemacht, der Himmel weiß warum. Das Buch ist zwar auch eine Biografie, aber in erster Linie die Beschreibung einer Freundschaft, der Freundschaft Bergs mit dem alternden Idol. Die Hepburn hat für die Frauen ihrer Generation ein neues Lebensmodell geliefert. Darin ist sie nur mit Madonna zu vergleichen. Hepburn hat im Amerika der 50er dafür die Grundlage gelegt. Sex hat sie dabei aber nicht interessiert. Sie musste sich zunächst um die Berechtigung kümmern, als Frau ein "freies" Leben zu führen, also nicht Heim, nicht Herd, nicht Kinder. 30 Jahre später hat man das "Emanzipation" genannt. Hepburns Leben war Arbeit. Wann immer die Hepburn in die Niederungen ihrer Beziehung mit Spencer Tracy eingetaucht war, mentale oder gesundheitliche Probleme hatte und sich nicht mehr zu helfen wusste, nahm sie einen neuen Film an und arbeitete sich aus der Krise heraus oder wieder gesund. Mit dieser Methode sammelte sie vier Oscars und 12 Nominierungen, eine selbst für amerikanische Verhältnisse beeindruckende Bilanz. Sieht man sie heute spielen, erinnert man sich wieder warum: Die Hepburn spielt vollkommen schnörkellos - so auch in Bringing up Baby (1938) - ohne Mätzchen, uneitel, gerade und klar. Alles wirkt einfach, weniges gekünstelt, es sei denn, die Figur erfordert es. So war wohl die ganze Person, die sich vorgenommen hatte, ihre Karriere wie ein Mann anzugehen und die in der Karriere ihre Hauptmotivation sah. Arbeit als Lebensentwurf, Erfolg als Stimulanz, Medizin und Zweck der Anstrengung, verbunden mit ihrem unglaublichen Talent und dem Willen, sich zu verbessern. Das ist die zutiefst amerikanische Einstellung, die sich in jedem ihrer Filme zwischen den Zeilen findet.Den Autor hat sie 1982 kennen gelernt. Scott Berg hatte sich in den Kopf gesetzt, sie mit einem Artikel im Esquire in einer Serie über die 50 bedeutendsten Amerikaner als einzige Frau unterzubringen. Hepburn, die den Esquire überhaupt nicht mochte, empfing ihn tatsächlich, und die beiden verstanden sich auf Anhieb. Von da an begann sie ihn als "ihren Biografen" vorzustellen. Der geplante Artikel wurde nie veröffentlicht, aber für Scott Berg und sie war die Arbeit daran der Beginn einer langanhaltenden Beziehung. Scott Berg begann auf Geheiß von "Kate" bald in ihrem Haus in New York, in L.A. und vor allem in ihrem Landhaus in Fenwick ein- und auszugehen. Berg lernte sie als willensstarke Frau mit klaren Ansichten, (die täglich wechselten), kennen. Er empfand sie als "no bullshit"-Persönlichkeit, sehr direkt und selbstbewusst. Ihre Art, selbst schwere Schläge oder Krankheiten von der positiven Seite zu sehen, nie zu klagen und stets nach vorne zu schauen, imponierte "ihrem Biografen" sofort. Bergs "Biografie" beschreibt die energische Frau wunderbar lebendig und detailreich. Der Autor, ein glasklarer und objektiver Beobachter, kommt auch niemals in Gefahr, der Freundin Liebesdienste erweisen zu wollen und eine Hymne auf die Verstorbene schreiben. Kate wird beschrieben wie sie war. Impulsiv, oft rechthaberisch, auf eine Weise herrisch, auch wenn sie sich immer um das Beste bemühte. Das Buch liest sich abwechslungsreich und flüssig - man fragt sich oft, warum der Autor sich nie an Romane gewagt hat. Natürlich bemerkte Scott Berg auch, dass "Kate" seine Gesellschaft suchte. Hepburn war nicht verheiratet und hatte keine Kinder. Spätestens seit dem Tod von Tracy, ihrer großen Liebe - an dessen Beerdigung sie aus Rücksicht auf die Witwe Tracy nicht teilnahm (!) - waren ihre sozialen Kontakte immer rarer geworden. Hepburn lebte in Fenwick, Conneticut, mit ihrem Bruder Dick im gleichen Haus. Die Geschwister hatten eine problematische Beziehung, weil Hepburn verhindert hatte, dass der Bruder ein Theaterstück zur Aufführung brachte, das auf biografischen Details seiner Schwester fußte, und er ihr seitdem insgeheim vorwarf, damit seine Karriere ruiniert zu haben. Obwohl sie in einem Haus wohnten, gingen sie sich aus dem Weg, sahen sich oft wochenlang nicht.Tiefe Freundschaften außer zu ihrer Haushälterin, die mit ihr gemeinsam alterte und die ihr den albernen Vorwurf einer lesbischen Beziehung einbrachte, pflegte sie kaum. Als Berühmtheit, der alle Türen offen standen, ließ sie sich bemerkenswert selten in der Öffentlichkeit blicken. Restaurants mied sie, weil sie "zu Hause besseres Essen bekam". Mit einem Wort: "Kate" wurde mit zunehmendem Alter immer einsamer und hatte immer weniger Freunde. Und oft musste sie schmerzlich erfahren, dass Freundschaft nur der Vorwand für Vorteilsnahme war: Nüchtern beschreibt Berg beispielsweise einen Besuch von Michael Jackson, den Hepburn (für seine Disziplin und Perfektion) sehr bewunderte und den sie zu ihren "Freunden" zählte. Katharine hatte wenige gut bekannte Gäste zu diesem Dinner eingeladen, auch den Autor, um ihnen die Gelegenheit zu geben, den sagenumwobenen Künstler persönlich kennen zu lernen. Als Jackson kam, suchte er bald den Rückzug zu einem privaten Gespräch mit der Schauspielerin. Kate war nicht wenig überrascht, als er ihr eröffnete, dass er einen Fotografen mitgebracht habe, um sich mit ihr aufnehmen zu lassen. Entrüstet lehnte sie ab, sie sei nicht bereit, seinen Besuch in eine PR-Maßnahme zu seiner soeben beginnenden Tour zu verwandeln. Jackson begegnete dieser Zurückweisung mit einer weiteren Bitte: er fragte sie, ob sie ihn Greta Garbo vorstellen könne!Aus der kleinen Episode mag hervorgehen, wie es sich mit Bekanntschaften der alternden First Lady des amerikanischen Films verhielt und was es im Alter bedeutete, so wie sie zu leben und gelebt zu haben, der Preis für die Entscheidung, als Frau einen Weg zu gehen, der Männern vorbehalten war. Hepburn fasste es einmal selbst zusammen: "Laut Naturgesetz sind wir dazu bestimmt, sesshaft zu werden und Nachkommen zu zeugen. Ich habe dieses Gesetz gebrochen." Dafür zahlte sie den Preis, kein normales Familienleben zu haben und nur sehr lose in verwandtschaftliche Beziehungen eingebettet zu sein. Sie kämpfte die schweren Kämpfe des Älterwerdens völlig allein, auch hier bewundernswert tapfer. Als ihre Kräfte so weit nachließen, dass an Dreharbeiten nicht mehr zu denken war, verschärfte sich ihr Gefühl der Isolation. Ihre bewährte Strategie, mit Arbeit auf Schwierigkeiten zu reagieren, trug nicht mehr. Fast hilflos stand sie dem Schwinden der eigenen Kraft gegenüber, wenn auch mit erhobenem Haupt. Bald ging es ihr immer schlechter und sie empfing kaum noch Besuch. Der Traum vom amerikanischen Traum für Frauen endete 2003: Als "Kate" starb, war ihr engster Vertrauter ihr Biograf.A. Scott Berg: Katharine Hepburn: Ein Jahrhundertleben. Aus dem amerikanischen von Reiner Pfleiderer und Andrea Kann. Blessing, München 2003, 381 S., 22 EUR
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