Diese gewaltige Magie

Ein Abgesang? Willi Winklers melancholische Liebeserklärung an das "Kino"

Im Fernsehen, da vielleicht. Da sitz´ ich auch auf dem Sofa und kontrolliere sogar, wie viele Münzen der Schattenmann für ein Ortsgespräch in den Schlitz steckt, im Fernsehen muss alles stimmen, aber im Kino darf die Wirklichkeit niemals ihr grauses Haupt erheben." Willi Winkler, der große Filmkritiker, hat ein Buch geschrieben. Ein schönes Buch. Ein Buch über die Liebe zum Kino, zu den Stars, zu den Verrückten, die das Kino machen und über die, die es konsumieren. Er kennt sie alle und er kennt unzählige Geschichten, für die sich die Lektüre alleine lohnt. Er berichtet von "von" Strohheim, der nicht von Adel war und dem Hollywood eine Zeitlang seine Geschichten und seinen Größenwahnsinn abnahm, von Isabelle Huppert (kennt sie noch jemand?), von Coppola, von Wenders, von all den grandiosen Spielern, die das Kino und sein Publikum in seiner großen Zeit beglückten.

Winkler berichtet von der Magie, die die großen Namen der Vergangenheit in uns Kindern ausgelöst haben. Davon, dass der Film das Leben für kurze Zeit adeln kann, die Menschen wachsen lässt, Ihnen Lebensgröße gibt, die ihnen sonst fehlt - Winkler versteht Filme ganz genau und er versteht ihre Wirkung, er kann jeden Film in ein paar Sätzen auf das Wesentliche bringen und er hat sie alle gesehen.

Winkler hat begriffen, warum der amerikanische Film dem europäischen so unendlich überlegen ist - das interessiert ihn nicht als Intellektuellen, sondern bloß als jemand, der in zu engen Sesseln sitzt und nicht schlecht unterhalten werden will. Deshalb hat er als Kritiker verstanden, was das Publikum mochte - ob es ihm gefallen hat oder nicht.

Merkwürdig melancholisch umweht liest man das Buch und obwohl er sich verdächtigt, nur gealtert zu sein - am Ende weiß der Autor selbst genau warum: das Kino hat sich verändert. Aus dem Kino an der Ecke ist der Multiplex geworden - eine optimierte Massenvergnügungsmaschine, die doch merkwürdig wenig Vergnügen bietet - da stehen wir jetzt verloren in den großen Zentren der Unterhaltungsindustrie, können aus zwanzig Filmen wählen, Popcorn, Cola, Eis inclusive, breite Sitze, Platz für die Beine, gute Sicht - alles optimal. Warum, warum zum Teufel dann uns doch manchmal die Sehnsucht nach den kleinen unperfekten Kinos an der Ecke befällt - in denen wir unsere Jugend verbrachten, die ersten Küsse austauschten, nach der Vorstellung stundenlange Diskussionen führten - wissen wir so recht gar nicht und doch spüren wir sie - auch in jeder Zeile von Willi Winklers Kino.

Diese gewaltige Magie, die das Wort "Hollywood" allein auslösen konnte und von der dieser kleine Band der dtv - Reihe Kleine Philosophie der Passionen so trefflich zu berichten weiß, ist verloren. Aufgeklärt von unzähligen "making offs" sitzen wir nach dem Film bestenfalls in Diskussionen über die "special effects", lassen uns kein x für ein u vormachen und von keinem sogenannten Star mehr blenden. Die wunderbare Spieluhr zeigt ihre klappernde Mechanik - die wollten wir gar nicht sehen und jetzt ist ihre schöne Melodie vom Rappeln der Zahnräder überlagert. Aus. Dann lieber Computerspiele.

Winkler schreibt nicht darüber, aber natürlich weiß er wie wir: auch die großen Kritiker vergangener Tage wird es nie mehr geben.

Willi Winkler: Kino. Kleine Philosophie der Passionen. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2002., 133 S., 8 EUR

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