Uns laust kein Affe mehr

Wissenschaft Primatenforscher knuddeln nicht mehr mit den Tieren. Neben Corona droht die Übertragung weiterer Viren
Ausgabe 24/2020
Darwin hat es sicher schon geahnt: Als eine Primatenart sich aufteilte, trennten sich auch die Viren der beiden neuen Spezies
Darwin hat es sicher schon geahnt: Als eine Primatenart sich aufteilte, trennten sich auch die Viren der beiden neuen Spezies

Collage: der Freitag, Material: Imagebroker/dpa, iStock

Jetzt kommt der Dschungel also nach Hause. Jedenfalls für jene unter uns, die aus Beruf und Berufung in Urwäldern Afrikas und Asiens den Gorillas, Schimpansen, Bonobos oder Orang-Utans hinterhersteigen. Mund-Nase-Maske und soziale Distanz gehören zu unserem Leben – weil sie Leben retten.

Tiere stecken Menschen an (Zoonosen), und Menschen infizieren Tiere (Anthroponosen) – ein Artengemenge, das uns Dengue-Fieber, Pocken, Tollwut und Grippe bescherte. Und mittlerweile können wir „surivanoroC“ rückwärts buchstabieren. Jenseits verheerender Folgen illustrieren Interspezies-Sprünge allerdings die schöne Tatsache, dass sämtliche Lebewesen durch Evolution verbunden sind. Wobei Übertragungen zwischen näher verwandten Organismen umso wahrscheinlicher sind.

Mystische Momente

An solche Gefahren dachte niemand, als Mitte der 1960er Jahre die Freilandforschung an Primaten populär wurde. Alsbald zeigten Titelseiten von National Geographic Forscherinnen wie Jane Goodall, Dian Fossey und Birutė Galdikas in hautnahem Umgang mit Schimpansen, Gorillas oder Orang-Utans. Es waren ja durchaus mystische Momente, als Primatologinnen erstmals mit wilden Menschenaffen friedlich Kontakt aufnahmen – um im wahrsten Sinne des Wortes Händchen zu halten.

Den Freiland-Pionieren aus Europa, Japan oder Amerika war nicht bewusst, dass sie Keime an sich trugen, gegen die tropische Tiere keine Immunkräfte besaßen. Ähnlich wie spanische Konquistadoren der amerikanischen Urbevölkerung tödliche Masern brachten, starben zahlreiche Menschenaffen an Kinderlähmung oder Infektionen der Atemwege. (Zwar hilft es den Verstorbenen nicht – doch sollte die andauernde Gegenwart von Primatologen erheblichen Schutz vor Wilderei und Zerstörung der Biotope bieten. Zahllose Gruppen, die von Forschung unberührt blieben, sind jedenfalls mittlerweile ausgerottet.)

Die unschuldigen Zeiten letaler Berührung sind längst vorbei. Wer heute wilde Menschenaffen erforschen will, muss auf Prophylaxe und Hygiene achten. Zunächst ist eine Batterie von Impfungen vorzuweisen, von Gelbfieber über Tuberkulose und Masern bis hin zu Polio. Zudem sind Mund-Nase-Masken zu tragen. Und werden Affenverfolger während der Urwaldschicht vom „Ruf der Natur“ ereilt, muss die resultierende Notdurft vergraben werden. Stets ist Distanz zu den Studientieren zu wahren – früher waren das fünf Meter, heute sind’s zehn. Primatologen wie ich, die die Primaten-Spezialisten-Gruppe (PSG) der Internationalen Union für Naturschutz (IUCN) beraten, aktualisieren solche Richtlinien ständig.

Das „soziale Distanzieren“ allerdings gefällt jungen Menschenaffen nicht, die mit dem Anblick der seltsamen Zweibeiner aufwuchsen. Versuche hautnaher Kontaktaufnahme werden von uns ignoriert oder durch drohendes Aufstampfen beantwortet – so sehr das widerstrebt. Denn wer würde sich nicht gerne mit einem flauschigen Bonobo-Bengel balgen?

Obwohl Feldforscher Infektionen systematisch minimieren, existieren andere Risiken. So leiden Berggorillas der ostafrikanischen Vulkanlandschaft zuweilen an Räude, und Menschenaffen der Elfenbeinküste sterben an Milzbrand – Krankheiten, die in den Wald eingetriebene Haus- und Nutztiere übertragen. Besonders schlimm wütet Ebola. Das auslösende Virus tötet etwa die Hälfte der befallenen Menschen – jedoch drei Viertel aller Schimpansen und 95 Prozent aller Gorillas.

Im westlichen Zentralafrika hatten Primatologen die Zahl der Menschenaffen über die Dichte ihrer Schlafnester in ausgewählten Waldabschnitten hochgerechnet. Nach dem Ebola-Ausbruch des Jahres 2003 waren kaum noch frische Nester zu finden, die Populationen praktisch ausgelöscht.

Feldforscher kooperieren heute oft mit Laboren. Derlei „synthetische Primatologie“ befasst sich zunehmend mit Krankheiten. Zu dem Zweck sammeln wir vor Ort Proben von Wild- oder Haustieren und Menschen – einschließlich Kot, Urin, Speiseresten, Erde, Fliegen, Mücken ... Die Kollektionen werden dem Robert Koch-Institut (RKI) zugänglich gemacht oder der School of Medicine der University of Pennsylvania.

Eine RKI-Studie rekonstruierte die Evolution von Herpesviren in der Gruppe der Hominiden, der „afrikanischen Menschenaffen“, zu der Gorillas, Schimpansen, Bonobos und Menschen zählen. Wichtig war der Zugang zu seltenen Populationen wie Bonobos (über das LuiKotale-Projekt in der DR Kongo, unter Leitung von Gottfried Hohmann und Barbara Fruth) oder den Nigeria-Kamerun-Schimpansen (über ein von mir im Nordosten Nigerias geleitetes Projekt). Herpesviridae bescheren vielen Wirbeltieren Krankheiten, die harmlos, aber auch tödlich verlaufen können. Das reicht von Hautläsionen und Bläschen über Genital-Herpes bis hin zu Windpocken, Gürtelrose oder Kaposi-Sarkom. Parasiten profitieren eigentlich nicht davon, ihre Wirte zu töten, da das die Übertragungskette unterbricht. Neu entstandene Erreger – etwa Coronaviren – haben das noch nicht gelernt.

In der Manier „junger Wilder“ verbreiten diese Erreger Chaos. „Reifere“ Viren schädigen ihre Wirte oft wesentlich weniger durch ihre Vermehrung. Beispiel Herpes labialis: Der Preis fürs Küssen beschränkt sich auf Lippenbläschen. Tatsächlich bleiben Herpes-Infektionen bei Säugetieren meist asymptomatisch – Hinweis auf langfristige Koevolution. Wirt und Parasit haben sozusagen Burgfrieden geschlossen. Viren werden daher häufig wirtsspezifisch und mutieren „innerhalb“ ihrer Träger. Gleichzeitig wird Übertragung zwischen Arten immer seltener.

Herpes und Bonobos

Um die Evolution der Herpes verursachenden Cytomegaloviren (CMV) innerhalb der Hominiden zu rekonstruieren, wandten RKI-Wissenschaftler komplexe Methoden an, darunter Gen-Analysen. Die wiesen auf langfristige Ko-Divergenzen hin, aber auch auf Wirtswechsel. Molekulare Uhren zeigen an, dass der CMV1-Virustyp vor 2,2 Millionen Jahren von Gorillas auf die Linie der Paniden übertragen wurde, also die gemeinsamen Vorfahren von Schimpansen und Bonobos, und dass letztere Linie vor 1,2 Millionen Jahren den CMV2-Virustyp auf Gorillas übertrug. Der Austausch kann an gemeinsamen Futterstellen erfolgen, durch oral-fäkalen Kontakt oder kontaminierte Fruchtreste.

Bonobos leben allerdings nur südlich des Kongo-Stroms, separiert von ihren nahen Schimpansen-Verwandten und ebenso von Gorillas. Von Letzteren trennten sie sich vor etwa einer Million Jahren. Interessanterweise zeigen die RKI-Daten, dass die Virus-Varianten sich genau dann teilten, vor 0,8–0,9 Millionen Jahren, als sich auch Bonobos und Schimpansen aufspalteten. Wir wissen mittlerweile, dass es zwischen Hominiden auch zu anderen Übertragungen kam. So wurde uns Menschen der Malaria-Erreger Plasmodium falciparum von Gorillas beschert, und der HIV-1-Erreger von Schimpansen. Jenseits des akademischen Erkenntnisgewinns schüren solche Einblicke auch die Hoffnung auf Heilung. An der University of Pennsylvania untersuchen Virologen, wie HIV den CD4-Rezeptor beeinflusst, ein Glykoprotein an der Zellenoberfläche, an dem die Erreger andocken. Wiederum unter Verwendung von Kotproben der nigerianischen Gashaka-Schimpansen identifizierte das Labor codierende Varianten des Rezeptors, die einen antiviralen Schutz bieten: eine Entdeckung, die die Behandlung verbessern kann. Und Forscher der schottischen St.-Andrews-Universität wollen herausfinden, wie Malaria bei Menschen und Schimpansen in nigerianischen Wäldern variiert – um genetische Marker zu identifizieren, die mit erhöhter Immunität verbunden sind.

Während wir in Wäldern und Laboren herumwerkeln, ist eines sicher: Die Evolution wird nicht stillstehen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis der nächste Krankheitserreger merkt, dass es für die eigene Vervielfachung ein perfektes Vehikel gibt: uns Menschen. Denn wir sind nicht nur äußerst gesellige Affen mit ausgeprägtem Kuschelwunsch. Wir sind ja auch rund um den Globus unterwegs. Vielleicht realisiert sich eines Tages tatsächlich die düstere Vision der neueren Planet-der-Affen-Filme. In deren Narrativ rafft ein Virus die Menschen binnen kürzester Zeit hinweg, macht die Menschenaffen hingegen intelligenter. Das dürften unsere Nachfahren allerdings nicht lange bleiben; es sei denn, sie werden bessere Virologen, als wir es zurzeit sind.

Volker Sommer ist Professor für Evolutionäre Anthropologie am University College London, UCL. Er erforscht Ökologie und Sozialverhalten wildlebender Affen und Menschenaffen

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