Bei der Lektüre des "Neuen Deutschland" habe ich neulich erfahren, dass der "Zentralorgan"-Reflex, die einen Manchmal-Leser der parteinahen Zeitung zuweilen überkommt,in Wahrheit voll danebengeht: "Zentralorgan der SED" hieß das Parteiblatt nämlich erst im Herbst 89, nachdem Redakteure rebelliert und einen "vorgesetzten" Chefredakteur abgelehnt hatten. Zuvor, in der bösen alten Zeit, hatte es "Organ des Zentralkomitees" geheißen. In einem interessanten und gut geschriebenen Artikel skizziert dort der stellvertretende Chefredakteur Wolfgang Hübner die Geschehnisse der Wende aus Sicht eines damaligen "Jungredakteurs".
Interessanter als der Inhalt aber ist in diesem Fall die Darreichungsform - das ND hat jetzt zum ersten Mal eine Internetpräsenz, die diesen Namen verdient. Die Seite ist im Vergleich zu früheren Zeiten optisch sehr aufgewertet, versucht nicht mehr, den Benutzern überall im Netz verfügbare Agenturmeldungen für 50 Cent anzudrehen und verfügt über eine bedienbare Suchfunktion. Wer sich als Nutzer anmeldet, kann unter "Mein ND" einen Terminkalender führen und Artikel kommentieren. Es gibt auch einige dieser neuartigen Funktionen, die mich nicht interessieren. Die Seite ist kein "großer Wurf", man kann auf ihr nicht viel mehr tun als die Zeitung lesen. Das aber weitgehend vollständig und, zumindest auf meinem Rechner, zur Zeit sogar zuverlässiger und schneller als auf dieser Seite hier :) Fragwürdig ist, wozu in aller Welt ein Nutzer jetzt noch 15 Euro im Monat für ein E-Paper-Abo bezahlen sollte. Aber gewisse betriebswirtschaftliche Stilblüten
Schon seltsam: während zum Beispiel im Freitag, soweit ich sehen kann, auch der zweite Online-Tanz in einem Jahrzehnt allmählich Richtung Kassenhäuschen gelotst wird, scheint jetzt auch noch ND auf den Trichter gekommen zu sein. Es soll jetzt sogar leibhaftige hauptamtliche Online-Redakteure geben, murmelt man am Berliner Ostbahnhof. Für die Lover der alten Tante ist das Ganze insgesamt erfreulich - doch auch die Hater dürften nicht zu kurz kommen: sie können z.B. sicher bald mit gehörigen Grusel den "SED-Originalton" aus den Kommentaren herausfiltern.
www.neues-deutschland.de/artikel/161109.zeitenwende-im-zentralorgan.html
Kommentare 2
Danke für den Tipp und Link. Komisch ich habe zu DDR-Zeiten das ND nun wirklich nicht gemocht, aber jetzt hat mich diese komische Bezahlmeise von denen auch immer gestört, Die Kommentierfunktin finde ich auch gut.
Na, wolln mal sehen.
In Anspielung auf den Titel
Also, ein gewisser Wladimir I. Uljanow hat einmal gesagt: Kommunismus = Sowjetmacht plus Elektrifizierung.
Elektrifizierung haben wir ja nun bis in's Auto, brauchen wir noch die andere Komponente.
Zur Ergänzung: Das ND hat damals auch ein neues Format und neue Lettern erhalten. In den Bezirken gab es auch entsprechende Zeitungsorgane der jeweiligen Bezirksleitungen der SED und die Zeitungen kamen mit der Deutschen Post. Interessant war, dass die Presseorgane einiger Blockparteien bezirksübergreifend erschienen.