Advent, Advent, die Erde brennt

Zeitgeist Wir basteln uns den Weltuntergang

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Vielleicht liegt es ja an der sich ankündigenden Weihnachtszeit. Man versammelt sich zuhause im Kreis der Lieben und muss über irgendwas Interessantes reden. Momentan ist Weltuntergang angesagt. Für alle, die sich nicht direkt um den Adventskranz versammeln und sich gegenseitig aus der Bibel vorlesen wollen, ein ergiebiges Gesprächsthema.

Zum Einstieg eignet sich sehr gut ein eingeschränktes Szenario, beispielsweise der Untergang von Atlantis. Für einen gelungenen Abend lohnt es sich, sein Augenmerk auf folgende Kleinigkeiten zu richten:

Nichts ist falscher als der falsche Countdown

Weltuntergänge gehen so ein bisschen mit der Mode. Ganz früher gab es die Sintflut und danach ab und zu eine Sonnenfinsternis. Nachdem uns der atomare Supergau in den 80er Jahren nicht den Garaus gemacht hat, fürchteten wir zur Jahrtausendwende eine globale Computerpanne und scheiterten in den Nullerjahren fast an der Finanzkrise. Jetzt müssen grade die Maya herhalten, weil das so schick retro ist. Von der Eurokrise ist abzuraten. Untergehen wird da höchstens eine weitere Steuermillion im griechischen Pleitemeer, was aber ein sich wiederholendes Ereignis ist und nichts Terminales an sich hat.

Das Wissen um den richtigen Zeitpunkt

Die Grundlage aller Weltuntergangstheorie ist es, dass es ein ganz bestimmtes, unverrückbares Datum gibt, an dem die Welt ganz sicher untergehen wird. Wovon nur noch niemand etwas weiß, weil es sich um von der Wissenschaft negiertes Geheimwissen handelt, das jahrzehntelang verloren war. Und außer einem kleinen Dorf in Gallien, das....halt, das war eine andere Geschichte. Für den Fall, dass die Verwandtschaft das mit dem Untergang schon satt hat. Oder alle auf Armageddon warten wollen.

Man spürt sowas einfach

Die finale Katastrophe kündigt sich in der Regel durch Vorzeichen an, die nur der Kundige richtig interpretiert. Kleine Anregung zum Einstieg: In den USA ist gerade Wahlkampf, was einem den Untergang schon näherbringt. Politiker erzählen dieselben Geschichten seit Jahrzehnten. Mit dem Unterschied, dass sie sich inzwischen nicht mal mehr selbst glauben. (Wäre ja auch peinlich, aber das tut nichts zur Sache). Echt ist sowieso nichts mehr weil echt ja irgendwie langweilig geworden ist. Und jetzt haben wir Google und Facebook und Youtube am Hals und können ohne nicht mehr. Letztens hat ein Herr Shakespeares Rückkehr angekündigt. Natürlich nicht in Fleisch und Blut, aber sinnbildlich. Auch Dickens ist zurzeit wieder sehr in Mode. Wenn das kein Omen ist.

Die betreffende Untergangstheorie muss unbedingt genügend Lücken aufweisen

Das regt die Diskussion an und fördert das logische Denken. Auch vor groben Verallgemeinerungen und unpassenden Vergleichen braucht man nicht zurückschrecken. Der Mayakalender endet gar nicht? Vom letzten Weltuntergang haben wir nur nicht gehört, weil es noch kein Fernsehen gab? Sehr gut. Der Abend verspricht interessant zu werden.

Falls das Gespräch in metaphysische Tiefen abgleitet oder droht, sich zum Familienkrach zu entwickeln, zur Not auf Verschwörungs- theorien ausweichen oder auf das kleine gallische Dorf von oben.

Will man den Abend dann zu Ende bringen und den Besuch so langsam hinausbegleiten, hilft folgender Gedankengang: Natürlich ist das entweder alles Blödsinn oder die Welt ist bemerkenswert robust. Schlussendlich geht es nur darum, dass man seine persönlichen Angst- und Unsicherheitsgefühle noch vor Jahresende in ein passendes Szenario verpackt hat. Es gibt eben nichts Besseres als einen kleinen Weltuntergang vor dem Zubettgehen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
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