Schöne neue Userwelt - Teil 1

Gadgets Steht der letzte Mensch irgendwann allein in der Wüste und hämmert auf einem kleinen silbernen Kästchen rum, das nicht reagiert?

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Das Handy piepst, wieder eine SMS. Gleich noch nachschauen, was sonst noch reingekommen ist? Ich verschiebe das und lege das Handy wieder weg, neben den eReader. Tolles Ding, die Papierbücher fehlen mir eigentlich gar nicht.

Erstaunlich, wie sich die Welt gefüllt hat mit elektronischen Geräten. Ich zähle kurz die nach, die ich besitze: Von den beiden Notebooks bräuchte ich nur eines, das für die Arbeit zählt extra. Ein billiges Handy für den Notgebrauch, Drucker, Kamera, CD-Player, ein MP3-Player damit beim Joggen nicht das teure Smartphone kaputt geht. Für alles zusammen dann noch jede Menge Ladegeräte, Verbindungskabel, Adapter und Stromkabel.

Wie bin ich eigentlich mal ohne das alles klargekommen? Putzen war leichter weil nicht so viele Kabel überall waren, fällt mir ein. Die Sicherung ist beim Staubsaugen aber genauso oft rausgesprungen. Gefehlt hat mir nichts, weil einem ja nicht fehlen kann, was es noch gar nicht gibt.

Der Kabelsalat nervt. Bei jeder Neuanschaffung überlege ich, was ich nun wieder an Kabeln irgendwo unterbringen oder bei Bedarf in kurzer Zeit finden muss. Manchmal habe ich das Gefühl, dass es dauernd mehr Geräte werden, weil sie sich still und leise in den Ecken vermehren. Ist das jetzt nur leicht retro oder schon paranoid?

Ich habe nachgesehen, ob dieses Gefühl so stimmen kann. Handy und PC gehören für fast alle deutschen Haushalte zur Normalausstattung. Genauso wie Fernseher, Fotoapparate und CD-Player. Vor acht Jahren besaßen wir weniger Handys und es gab noch wenig mobile PCs*, wahnsinnig viel hat sich sonst nicht verändert. Einen Fotoapparat sparen sich inzwischen sogar einige, vermutlich weil die Kamera schon ins Handy integriert ist. Außer mit den PCs liege ich damit ziemlich im Durchschnitt.

Also alles Einbildung? Nicht ganz. Mein Verhalten und somit meine Wahrnehmung haben sich sehr geändert.

Vor allem mobile Geräte sind mir wichtiger als noch vor einigen Jahren. Ich benutze sie öfter und intensiver, weshalb ich sie in meinem Leben als prominenter wahrnehme. Kürzlich musste ich ein paar Wochen ohne Handy auskommen, was ziemlich unangenehm war. Früher war der Handyakku öfter mal leer ohne dass ich gleich panisch reagiert hätte. Auf die Idee, das Netbook nebst passendem Adapter als allererstes ins Urlaubsgepäck zu tun, wäre ich nicht gekommen. Inzwischen werde ich kribbelig, wenn ich mal ein paar Stunden nicht erreichbar bin und ärgere ich mich dafür unmäßig, wenn im Kino ein Klingelton die Pointe versaut.

In Folge verlasse ich mich immer mehr darauf, für alles ständig kleine elektronische Helferlein in der Tasche zu haben. Ohne Handy habe ich jede Menge Termine vergessen und in einem Social Network fragte jemand, ob ich krank wäre. Ich verbringe mehr Zeit im Netz, weil es dort inzwischen mehr zu tun und zu sehen gibt. Die Kommunikation mit Bekannten ist größtenteils dorthin abgewandert.

Dritter Punkt: ich habe immer weniger Ahnung, was ich da bediene. Alle Produktdesigner träumen wahrscheinlich von Geräten, die nur einen Knopf haben und keine Kabelverbindungen, ich manchmal auch. Meine Ungeduld mit Dingen, die sich nicht sofort intuitiv bedienen lassen, steigt. Funktioniert etwas nicht, fühle ich mich dafür zunehmend machtlos. Wenn der Kundendienst nicht sofort reagiert, bin ich mental schon mal so weit wie ein Vierjähriger, der im Supermarkt einen Tobsuchtsanfall hat. Schöne neue Userwelt.

Gut, man muss nicht alles wissen. Kann man auch oft nicht mehr. Geräte lassen sich nicht mehr öffnen; Bedienungsanleitungen gibt’s nicht mehr, dafür die FAQ des Herstellers im Netz. Nur hätte ich statt grenzenlosem Vertrauen zum Hersteller ab und an doch lieber Informationen. Das ist vielleicht unwichtig, wenn der CD-Player aufgibt, beim Navi sieht‘s da schon anders aus. Da möchte ich wenigstens den Resetknopf finden können, das gäbe mir ein besseres Gefühl. Ein erwachsenes. So, als hätte ich die Dinge noch im Griff.

Ab und zu habe ich eine Vision, die ungefähr so geht: Der letzte Mensch steht allein in der Wüste wie in einem schlechten Film und hämmert auf einem kleinen silbernen Kästchen rum, das nicht reagiert. Vermutlich versucht er gerade, die Hotline zu erreichen.

* Statistisches Bundesamt, Ausstattung deutscher Haushalte mit Unterhaltungselektronik : 2011 besaßen 90% aller Haushalte wenigstens ein mobiles Telefon (2004: 72%). Der Anteil der Haushalte mit mindestens einem mobilen PC ist im gleichen Zeitraum von 13% auf 52% gestiegen. Weitere Daten, jeweils 2011 und 2004: PCs gesamt 82% (64%), Fernseher 96% (95%), Fotoapparate 88% (79%), CD-Player 79% (70%), DVD-Player 71% (36%)

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