Schöne neue Userwelt - Teil 3

Netzsicherheit Wir passen uns an ans Netz. Manchmal haben wir keine andere Wahl als den Spezialisten zu vertrauen und zu hoffen, dass die Guten schneller sind.

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Seit ich einen eReader besitze, lasse ich mir von den Leitmedien direkt ins Gerät diktieren, was ich lese. Streifzüge durch die lokale Bibliothek finden inzwischen ziemlich selten statt. An den Regalen mit englischen Sachbüchern bleibe ich nun nicht mehr hängen.

Ein Verlust an Zufälligkeit, der an anderer Stelle durch Effizienz kompensiert wird oder ein Beweis für meine Verführbarkeit durch neue Medien? Vielleicht auch schlicht Anpassung. Jede neue Technologie ändert das Verhalten. Das Netz bringt neue Risiken und neue Formen von Belästigung hervor.

Wir sind lernfähig und passen uns an. Dass man den Urlaub nicht im Netz ankündigt, dürfte sich mittlerweile rumgesprochen haben und wer sich via Facebook beim Fremdgehen erwischen lässt, erntet höchstens noch ein paar Lacher. Wer Fotos von sich an prominenten Stellen im Netz wiederfindet, ist da nicht mehr so gut gelaunt. Begriffe wie „Cyber-Mobbing“ und „Revenge Porn“ gehören zum Wortschatz 2.0.

Wir verstreuen auch bei großer Vorsicht jede Menge Datenschnipsel im Netz. Zur Schadensbegrenzung gibt es Netzsicherheit, die sinnvoll ist und manchmal nervt. Etwa, wenn man sich schon wieder an ein Passwort in epischer Länge erinnern muss und auf der Tastatur die passenden Sonderzeichen nicht findet. Oder wenn man mal wieder ein Captcha nicht entziffern kann. Das sind diese Bilder, auf denen verzerrte Buchstabenkombinationen abgebildet sind, die man in ein neues Feld eingeben muss. Das muss man tun, um zu bestätigen, dass man ein Mensch ist und kein Programm.

Ich schließe also die Haustüre ab, gehe nachts nicht zum Bankomaten und ändere regelmäßig mein Passwort. Wenn irgendwo der Wurm drin ist, verlasse ich mich darauf, dass die zugrundeliegende Sicherheitslücke öffentlich gemacht wird. Es gibt sicher bald einen Patch vom Hersteller. Und Leute, die mich auf Gefahren hinweisen, die ich nicht mehr überblicken kann. Hier habe ich keine andere Wahl als den Spezialisten zu vertrauen und zu hoffen, dass die Guten schneller sind.

Einzelne Datenhäufchen sind gar nicht so schlimm. Spannend wird es, wenn man sie kombiniert und zu einem großen Haufen zusammenfasst.

Wenn ich mal scharf drüber nachdenke, was an Daten über uns inzwischen im World Wide Web zu finden ist, wer die Verfügungsgewalt darüber hat und was man alles anstellen könnte, wenn man diese Daten kombiniert, wird mir zumindest leicht komisch. Meistens denke ich aber nicht scharf darüber nach.

Bitte? Diese Daten gehören Konzernen, die damit Geld verdienen wollen. Daran, mit diesen Daten allen möglichen Unfug anzustellen, hindern sie der Markt und die Gesetze. Alles in bester Ordnung, oder?

Ähm ja. Es vertraut ja auch keiner sein Kind jeden Morgen einem Unbekannten an, der es pünktlich zum Abendessen wieder zurückbringt – schon gar nicht, wenn nicht klar ist, was in der Zwischenzeit geschieht.

Das ist vielleicht etwas drastisch ausgedrückt, außerdem hinkt der Vergleich, denn Kinder können schließlich sprechen. Man ersetze darum einfach „Kind“ durch „Sache, die mir wirklich wichtig ist“. Dass alle anderen das genauso machen, würde mich absolut nicht beruhigen. Warum kümmert es mich dann so wenig, was mit meinen Daten passiert?

Wenn ich weiter drüber nachdenke, was man in Zukunft vermutlich alles elektronisch steuern und somit hacken oder fremdsteuern kann, wird mir noch ein bisschen komischer.

An harmloseren Kombinationen denkbar wäre, dass mein Auto nicht mehr anspringt, wenn ich ein Knöllchen nicht bezahlt habe oder der Urlaubsflug nicht buchbar ist, weil mir eine Impfung fehlt. Vermutlich wäre ich dafür noch dankbar. Schöne neue Userwelt.

Die Vorteile meiner Onlineexistenz will ich keinesfalls verlieren. Im Ganzen gebe ich aber aus vielen Gründen immer mehr Verantwortung ab, und das gefällt mir gar nicht. Totalabstinenz ist kein Thema. Aber es hilft, das Netz nicht nur als Service zu betrachten und sich öfter mal zu sagen: Grips an statt Stecker raus.

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