Protest dem Protest!

Betrachtung Wenn die Beschwerde konsolidiert. Über das Abhandenkommen der Zerrüttung in einer Protestkultur.

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In Systemen, in denen der Protest und Demonstration sich etabliert haben und ein Recht sind, ist es besonders schwer Wirkung mit Protesten zu erzielen. Viel zu oft schlägt er sogar in sein Gegenteil um: die öffentliche Beschwerde verkommt zum Ritual, in dem durch kollektiven Aufmarsch sich mit dem status quo abgefunden wird. Sich beschweren, damit alles bleiben kann, wie es ist.

Wenn einer sich über seine Arbeit beschwert, dann nicht, um am nächsten Tag nicht mehr hinzugehen. Sondern: weil er am Abend zuvor sich beschwert hat, hat er heute wieder die Kraft, zur Arbeit zu gehen. Wenn einer sich beschwert, über die zunehmende Überwachung, dann nicht, weil er sie damit aufhält, sondern, er hat sich gestern beschwert, um sie heute hinnehmen zu können.

Dagegen sind Systeme, in denen die öffentliche oder jegliche Beschwerde unterbunden wird, gegenüber schon harmlosesten Äußerungen extrem disponiert. Während in lockeren Sprachregimen (freier Meinungsäußerung), jeder irgendwo sagen kann, was er will es aber auch jedem frei steht, den Sprecher einfach zu ignorieren so setzt jede negativ auffassbare Äußerung in streng repressiven Sprachregimen sogleich einen ganzen Apparat der Bestrafung, Vertuschung und Rechtfertigung in Bewegung. Repressive Sprachregime sind gezwungen, jede noch so kleine Äußerung mit äußerster Ernsthaftigkeit zu behandeln. „Nieder mit der CCP“ kann in Hong Kong eine Masse hinter sich vereinen – weil hier ein Verbot übertreten wird, während man sich in Deutschland – bei Coronaprotesten geschehen – mit Ausrufen wie „Nieder mit der Einheitspartei“ bloß lächerlich macht.

Während in Systemen mit repressiven Sprachregimen dem Hochhalten eines unsichtbaren Antikriegstransparantes Gehör geschenkt werden muss, so kann in Systemen mit lockeren Sprachregimen jede Aussage getätigt, aber auch getrost ignoriert werden und verhallen.

In diesem Sinne können Demonstrationen und Proteste (aber auch unsere kleinen Meinungen, die wir uns halten, um uns einzureden, dass wir damit schon Aktivisten seien) zunehmend Mittel werden, um den status quo – gegen den der Protest sich eigentlich richtet – zu erhalten, solange man nicht zu radikalen Maßnahmen greift. Eine Demonstration, die niemanden stört, ist ihr Gegenteil. Sie verkommt zu einer Massenveranstaltung in dem der Unmut schlicht kompensiert wird und damit sich auflöst. Das Ziel einer Demonstration oder eines Protestes kann nicht sein, dass alle hinterher sagen: „Schau, wie artig sie waren. Niemand fühlte sich gestört, ich konnte weiter mit dem Auto zur Arbeit, alles hat weiterhin funktioniert – sie sind kaum aufgefallen. Das können die gerne wieder so machen!“ Das Ziel von Demonstration und Protest ist es gerade, zu stören, damit jeder ein Interesse entwickelt, diesen Protest so schnell wie möglich zu beenden.

Einem Protest, der ernstgenommen werden soll, bleibt gar nichts anderes übrig, als sich außerhalb des Akzeptablen zu bewegen. Jede andere Form verkommt zu einem Ritual der kollektiven Akzeptanz dessen, wogegen er sich in erster Hand angbelich richtete.

Es muss sich in lockeren Sprachregimen der Frage gestellt werden, wann ein Protestes Kritik ist und wann er in erster Linie dazu dient einen Unmut zwar darstellen zu können, aber nicht, um das Unmutauslösende zu verhindern – sondern um es zu akzeptieren und zur Selbstdarstellung zu verkommen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Julius

Bloß Student and so on and so on...

Julius

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