Pygmalion, Maschinenstürmer und die Künstliche Intelligenz

Meinung Von Ovid bis Asimov. Die Faszination am eigenen Werk ist so alt wie der Mensch selbst - und genauso dessen Überschätzung.

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Intelligenz, Werkzeug, Spielzeug oder doch Kunst?
Intelligenz, Werkzeug, Spielzeug oder doch Kunst?

Foto: Hollie Adams/Getty Images

Etwas, das man in seinen Prozessen nicht versteht, damit zu erklären, dass es folglich Verstand haben muss, um zu diesem oder jenem Ergebnis zu kommen, scheint mir doch reichlich primitiv. Die Idee des alten Mannes mit weißem Bart, hoch in den Wolken oder allerlei lustiger Götter, von denen das Schicksal oder schlicht das Wetter abhängen, sind hier die direkten Vorläufer dieses Prinzips. Die Welt oder ein Phänomen sind mir zu kompliziert, also muss Verstand im Spiel sein – seltsamer Weise aber eher in besagtem Phänomen als in einem selbst.

Ich nehme mich da nicht aus – auch ich will meinen Computer treten, wenn er nicht will wie ich (damit unterstelle ich ihm Verletzbarkeit, als ob meine Tritte ihn zwingen könnten). Das ist Folge meiner Aufwallung, meines Gemütes. Und so vermute ich, dass auch die umsichgreifende Subjektivierung bestimmter Programme (KI) einer Aufwallung entspringt – wenn auch einer begeisterten (im wahrsten Sinne des Wortes) und leidenschaftlichen – und weniger als Folge reiflicher Überlegung. KI usw. hat mit Intelligenz (als ihr Attribut) und Verstand so wenig (oder so viel) zu tun, wie der Blitz mit Zeus und Wein mit dem Blute Jesus - oder der Kaffesatz mit der Zukunft.

Das wirklich Interessante an dieser Sache ist eigentlich, dass es hier nicht um die Subjektivierung eines „natürlichen“ Phänomens geht (Blitz, Zeit, Schicksal…), sondern dass der Mensch sich hier (mal wieder) in sein eigenes Werk verliebt (die Geschichte und Rezeptionsgeschichte um Pygmalion ist an dieser Stelle Pflichtlektüre). Nur, dass es sich hierbei um ein technisches Werk handelt. Aber auch diese Technophilie ist nicht neu - eher Markenzeichen unserer Zeit. Gibt es nicht genügend Leute, die ihren Autos Namen geben? Seit Jahrhunderten halten Menschen ihre technischen Spielereien für ihresgleichen oder zumindest: ihnen gleich. - E. T. A. Hoffmanns Sandmann handelt hiervon, Pinocchio setzt hier an. Von den Geschichten Isaac Asimovs bis zur neusten Cyberromantik des Filmemachers Alex Garland "Ex Machina" wird der immer selbe Stoff wieder und wieder erzählt - nur jedes mal den aktuellen (ersehnten) technologischen Fertigkeiten angepasst.

Völlig richtig wurde herausgestellt, dass die absolute Mehrheit selbstverständlich den Begriff des Verstandes auf die Funktionsweise dieser technischen Spielereien anwendet – KIs verstehen. Aber genau diese überragende Selbstverständlichkeit ist doch – da sie so einstimmig geteilt wird – Grund genug, sich mit dessen Ursache zu befassen und sie als eigentlich Besonderes zu bemerken. In welchem Kontext steht die entsprechende Technologie? Welche Erwartungen sind daran gebunden? Woher kommt sie (geschichtlich)? Insofern auf Frage nach dem konkreten Nutzen dieser Spielereien hauptsächlich im Futur geantwortet wird, scheint es irgendwo, bei der recht kostspieligen Forschung, auch um die Legitimierung dieser Entwicklung und Forschung zu gehen, gegenüber ihrer Geldgeber – was womöglich ergänzend durch den Aufbau eines entsprechenden Mythos geschieht: die denkende, verstehende Maschine, wir erschaffen uns selbst usw.

Wer ist der Künstler?

Nur scheint es, als passten wir uns unseren Erfindungen mehr an, als sie sich uns – blickt man etwa auf die Umgestaltung der Landschaften mit Einführung von Eisenbahn bis Automobil, die einer hochspezialisierten Umgestaltung des Raumes bedurften, denen wiederum wir uns anpassen mussten. Zumal - um eine weiteres Beispiel zu nennen - mit der Ausbreitung von (Überwachungs)kameras sich einiges im öffentlichen Raum und Verhalten änderte… Häufig – so mein Punkt – sind die Veränderungen um eine Technologie herum um ein Vielfaches gravierender als die Veränderung, die eine Technologie in erster Hand liefern soll – zumal KI hier ein wunderbares Beispiel ist: eigentlich gibt es keine andere Notwendigkeit diese zu entwickeln, als die Tatsache, dass wir sie entwickeln können – wofür diese sich überhaupt eignet, wird aktuell erst im Spiel erprobt: hier Bilder, da Musik, da Text, hier Gesichtserkennung, dort Waffensysteme und die Fantasie läuft Marathon. Es wird schlicht mit diesem neuen Werkzeug gespielt – und das ist vollkommen in Ordnung. Der Mensch soll spielen, wir müssen spielen, es ist die höchste Form der Aneignung und es macht auch Spaß – und doch mag folgender Einwand erlaubt sein: KI versteht nicht und sie ist auch nicht intelligent. Diese Begriffe gebe ich nicht her. Die Wandlung, die diese Begriffe damit unterlaufen, geschieht mir in eine unausstehliche Richtung: jeder konnotativer Ballast, positive wie negative Assoziation wird unreflektiert mitübertragen – obwohl diese hier in ihrer Gültigkeit erst überprüft werden müssten. Es wirkt eher suggestiv und als Framing wie das „Ich liebe es!“ der McDonaldswerbung.

Um Verständnisfähigkeit zu überprüfen, sind Versuchsaufbauten der Art üblich, in der die Form in der ein Mensch sein Verstehen ausdrücken kann, in der Weise beschränkt wird, dass er nicht von dem Output eines Roboters unterschieden werden kann (der Turing-Test ist der Bekannteste). Hierbei wird der Begriff "verstehen" massiv an die Leistungsfähigkeit einer Technologie angepasst und darauf anschließend erst auf den Menschen angewandt und mit ihm verglichen. Es ist also nicht der Roboter, der verständig wird, es ist der Mensch, der unverständig gemacht, den Roboter verständig erscheinen lässt.

Wenn nicht jede KI, so sind doch aber neurale Netzwerke verständig - schließlich sind diese doch Modellen der Kognitionswissenschaften entlehnt, nicht? Nein. Nur, weil zwei Phänomene sich mit dem selben Modell beschreiben lassen, werden sie nicht zum selben. Genau so wenig sollte, wer lediglich eine Modellierung [sic] des Verständnisproßesses kennt, nicht jede technische Nachbildung dieser, mit der Model [sic] selbst verwechseln. Kennzeichnend ist hier, dass beide Phänomene (Verstehensproßess und KI) sich darin überschneiden, mit dem entsprechenden Erklärungsansatz zugänglich zu sein. Allerdings ist einer nicht mit der Schweiz identisch, nur weil er sich gekonnt neutral verhält (sich also in einer Angelegenheit gleicht).

Eingebetteter Medieninhalt

Kürzlichen gingen bei der Colorado State Fair’s digital arts competition einige ape shit crazy, weil ein KI-generiertes Bild den ersten Platz belegte. Diesem Aufschrei zugrunde liegt eine fundamentale Verwechslung von Künstler und Werk. Das Bild mag zuerst den Eindruck eines Kunstwerkes erweckt haben und die KI, als ihr augenscheinlicher Erschaffer, als Künstler verstanden worden sein - dabei wird jedoch übersehen, dass eigentlich die KI selbst das Kunstwerk ist und deren Erschaffer wiederum der eigentliche Künstler. Aber so wenig, wie der Pinselmacher für ein Bild Rembrandts gelobt wird, der dessen Pinsel verwendete, so wenig war auch hier die Sprache von den Entwicklern der KI. Den Preis erhielt derjenige, der das entsprechende Bild eingereicht hatte und die KI als Werkzeug verwendet hat.

Denn seit wann ist es der Pinsel, der das Bild malt? Es ist der Maler, der durch seinen geschickten Gebrauch glänzen kann und sich ihm als Werkzeug bedient. Und KI ist eben genau das: ein Werkzeug. Dieser Kunstwettbewerbskomplex stellt eindrücklich heraus, wie das Framing einer Technologie als menschlich, auch entsprechende Verwechslungen hervorruft. Jene, die das Ende der Künstler und jeglicher Kreativität durch KI am Horizont bedrohlich schweben sehen, bedienen sich genau desselben Denkmusters wie jene, die in KI euphorisch Menschlichkeit und Verstehen bejubeln - lediglich das Vorzeichen ist ein anders. Und sicher wird es noch zahlreiche solcher Verwechslungen geben, wie schon die um ihre Arbeitsplätze gebrachten Weber sich im Weberaufstand an den Webstühlen rächten - und nur in zweiter Hand an den Eignern dieser Produktionsmittel (ob eine ähnlich prekäre Situation durch KI ensteht, wird sich zeigen). Deshalb sind aber weder Statuen, Marionetten, Webstühle, Pinsel, noch KI irgendwo verständig.

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Geschrieben von

Julius

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Julius

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