Dies ist der zweite Teil der sporadischen Kolumne 'Musik zu aktuellen Zeiten trifft Musik zu Urzeiten'.
"Tarkus" von Emerson, Lake & Palmer? …Hm… Was sagt der AllMusicGuide? Denn - unter uns - ich habe diesen aufgeblasenen Quatsch seit 19 Jahren nicht mehr gehört. Es können auch 29 sein. So genau weiß ich das nicht mehr. Ich weiß auch nicht mehr genau, wie "Tarkus" klingt. Auf alle Fälle schwierig und lang. Sehr lang. Ich habe versucht, die Platte bei ebay zu ersteigern. Aber ich merkte schnell, dass meine Preisvorstellung unterhalb des Mindestportos lag. Egal. Emerson, Lake & Palmer sind keine Gruppe, die heutzutage in Musikcheckerkreisen Punkte einbringt. Das muss als Charakterisierung genügen.
Ich gehe trotzdem an die Öffentlichkeit Mitteleuropas, um zu sagen: Es ist OK, Tarkus im Schrank zu haben, sie ausgewählt zu haben und die lange Titel-Suite durchgehört zu haben. Denn jeder sollte mal in früher Pubertät durch ein langes Hochkultur-Prog-Epos durch. Und wenn auch nur zu dem Zweck, sich entweder von derlei Kraftmeierei nachhaltig einseifen zu lassen oder für den Rest des Lebens mit Grausen abzuwenden. Man muss gar nicht tief in die miefige Grabbelkiste von 1970er Progrock greifen, um eine der beiden Initialerfahrungen zu machen. Denn was damals ELP im Angesicht von großkotzigen 16-Tonnen-Synthesizern, Drum-Batterien und Klimper-Bombast in zig Monaten Studioarbeit umringt von einer Kohorte Tontechniker fabrizierten, das spielt heute eine Math-Rock-Band wie Mars Volta zum Aufwärmen im Tourbus.
Mittlerweile sind lange Tracks sowieso wieder eine völlige Selbstverständlichkeit, zumindest wenn man sich beispielsweise für Freeformrock-Kollektive aus Oregon interessiert oder die geisterhaften Gebiete erforscht, in denen Leute wie Pocahaunted, Sylvester Anfang II oder LA Vampires & Zola Jesus unheimlich herumhuschen. Dooms und und Drones gehen ja auch locker mal über eine Stunde. In jener haunted music wird nicht gekraftmeiert, sondern eine sehr spezielle Körperlosigkeit und Stase hergestellt, die - das ist meine Theorie und außerdem ein völlig anders Thema - viel gemein hat mit der Körperlosigkeit des Internets.
"Tarkus" dagegen ist uraltes, anachronistisches Technokratenhandwerk. Ist wie Zuckerwatte mit Löffel essen: schwierig und verzichtbar. Ist: Schaut, was ich alles an der Orgel kann! Rock ist gar nicht simpel, sondern schwierig wie Klassik. Wir können das technisch spielen, ihr nicht. Ätsch! Mehr steckt nicht dahinter, außer vielleicht eine gehörige Portion Eigentestosterondoping.
Zum Plot (denn ohne Plot kein Prog): "Tarkus" ist eine Art lebender Panzer mit Hybridmotor, der allerlei abenteuerliche Kämpfe auf dem aufklappbaren Albumcover besteht. Gegen andere lebende Hybrid-Panzer-Wesen, die mit Kanonen, Raketen, hakenbewehrten Eisenkettenschwänzen und ähnlichem bewaffnet sind. Stellvertretend habe ich versucht, dieses Panoptikum an Fabelwesen durch eine Briefwaage zu versinnbildlichen (siehe Foto).
Tarkus besiegt die Maschinenwesen jedenfalls fast alle und zieht buchstäblich kopflos auf dem letzten Bild von dannen. Wahrscheinlich sehr einsam. Kann sich ja jeder ausmalen. Wir lebende Panzer hauen uns gerne zu Klump, sind aber danach ganz schön traurig, weil wir einsam zurückbleiben. So in der Art etwa. Das ist das sehr bedeutsam, klar. Konzept. Komme mir keiner mit: Ihr müsst euch ja nicht prügeln. Sooo einfach ist das nicht. Was soll man denn machen, wenn man statt Arme nur Kanonen hat? Dann muss man ballern. Keine Widerrede. Haudraufundschluss.
Mittlerweile habe ich die ganze "Tarkus"-Platte doch mal wieder gehört, um der journalistischen Sorgfaltspflicht zu genügen. Auf der zweiten LP-Seite gibt es ein paar hübsche und weniger klotzig-lange Songs zu hören, von denen ich das leicht ironisch fließende "Jeremy Bender" sogar sehr gelungen finde. Greg Lake singt dort gar ein bisschen wie John Lennon, wie ich gerade in diesem Moment zu meinem Erstaunen feststellen muss. Bitte trotzdem nicht mehr Geld für "Tarkus" ausgeben, als eine Briefwaage wert ist.
Kommentare 9
Tarkus-Suite:
Lieber wahr,
wieder einmal ein Hochgenuss Deinen Text zu lesen!
Um mich nicht zu blamieren schreibe ich gar nichts über die Musik, denn ich gestehe, mich lediglich an das Plattencover zu erinnern, aber nicht an die Musik.
Wahrscheinlich war ich damals zu sehr abgelenkt damit beschäftigt den nahezu unerschöpflichen Pool der afro-amerikanischen Popmusik zu erforschen :-)
Bitte aber unbedingt mehr, mehr, mehr von diesen Texten, sie machen (mich) regelrecht süchtig!
Gruß
SP
Keith Emerson The Nice - sagt Dir das was? Gewiss doch, Du bist ja ein 'Musikchecker'. :)
War wohl ein Emerson-Projekt vor ELP.
Hab eine Platte, die im Original wohl 1968 rauskam (mein Exemplar von 'Muza', Polen, vielleicht 10 Jahre später.) Hab sie wahrscheinlich auch 19 bis 29 jahre nicht gehört, kann es derzeit auch nicht nachholen, weil mein Plattenspieler gerade solo ist. Jedenfalls sind mir einige der Stücke in ganz guter Erinnerung.
Na, gibt's natürlich auch unserer Tube:
Nice kenne ich nur vom Namen und habe nie einen Ton davon gehört. Hört sich so ein "Oberchecker" an? Nein.
Danke für den Link!
Mensch Sexpower, George Clinton ließ sich im Flughafen ausrufen, wenn er gerade niedergeschlagen und mutlos war. Ich dagegen schreibe einen Text und heimse dann dein Lob ein. Vielen Dank.
... auch für deine Motown-Leidenschaft. Zum Thema Isley Brothers 'sprechen' wir uns noch. :)
Vielleicht erinnern sich noch manche an die goldbedeckte Matratze auf der ein glücklicher, reicher Mann lag, der weiße Pferde sein Eigentum nannte und sich vor den schlangestehenden immer in Seide gekleideten Ladies kaum retten konnte. Er war so glücklich, dass er in den Krieg zog für die Ehre und für den König und natürlich fürs Vaterland zu kämpfen. Und dann - dann traf ihn eine Kugel, und er war tot. Ja - kein Glück währt ewig. Hier an dieser Stelle hätte das Lied sein Ende haben müssen, doch dann folgt ein Instrumentalteil, ein völlig überflüssiges Moog-Synthesizer-Solo. Unnötig wie eine Warze am Kinn. Und dann der Schluss: Becken-Crashs, einfach so hingehauen. Dass dieses Zeug dem ProgRock zugeordnet wird, na ja, eine leere Schublade ist immer zu gebrauchen.
He had white horses
And ladies by the score
All dressed in satin
And waiting by the door
Ooooh, what a lucky man he was
Ooooh, what a lucky man he was
White lace and feathers
They made up his bed
A gold covered mattress
On which he was laid
Ooooh, what a lucky man he was
Ooooh, what a lucky man he was
He went to fight wars
For his country and his king
Of his honor and his glory
The people would sing
Ooooh, what a lucky man he was
Ooooh, what a lucky man he was
A bullet had found him
His blood ran as he cried
No money could save him
So he laid down and he died
Ooooh, what a lucky man he was
Ooooh, what a lucky man he was
@ goedzak
Emerson sagte über dieses Stück, es sei der erste instrumentale Protestsong der Popszene gewesen. Nach Jahren des Wiederhörens habe ich endlich mal verstehen wollen, was das Kind kurz vor Ende des Stückes sagt. Ich hab's im Netz gefunden:
America is pregnant with promises and anticipation, but is murdered by the hand of the inevitable.
goedzak, so hast Du mich zu einem Blick in meine persönliche Musikgeschichte veranlasst.
"Dass dieses Zeug dem ProgRock zugeordnet wird, na ja, eine leere Schublade ist immer zu gebrauchen."
Hm, das Moog-Solo ist schon sehr proggig, dazu noch der etwas pathetische Plot um Weiße Pferde, Seide, König und Königreich (hat übrigens der 12jährige Greg Lake verfasst, wie ich gerade las) ... - das ist Prog-Rock! Aber doch trotzdem ein guter Song. :-)