Der James Bond der Finanzwelt

Comic „Largo Winch“ erzählt seit 20 Jahren aus der Geldwirtschaft, zuletzt von der jüngsten Finanzkrise. Das französische Original verkauft sich jährlich hunderttausendfach

Wenn man sich eine zeitgemäße Fassung der Dreigroschenoper vorstellen müsste, in einem populären Medium, mit Actionsequenzen statt Gassenhauern, mit einem globalisierten Konfliktschauplatz statt einem Stadtteilzwist und postideologisch indifferent statt mit markigen Sinnsprüchen – dann hätte man die Bausteine der Comic-Serie Largo Winch beisammen.

Brecht fragte in dem Bühnenstück noch: „Was ist ein Dietrich gegen eine Aktie? Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank? Was ist die Ermordung eines Mannes gegen die Anstellung eines Mannes?“ Jean Van Hamme, der Schöpfer und Szenarist von Largo Winch, arbeitete nach seinem Studium der Rechts- und Wirtschaftswissenschaften sowie des Journalismus als Manager für den Elektronikkonzern Philips. Während dieser Zeit muss in ihm die Überzeugung gereift sein, dass es den Zwiespalt der Welten, den Brecht formulierte, überhaupt nicht gibt. Mit dem Dietrich verschafft sich jemand Zugang zu einer Aktie, ein Bankeinbruch bereitet eine Bankgründung vor und nachdem ein Mann ermordet wurde, muss ein anderer für die vakante Stelle angestellt werden.

Dieser Mann ist im ersten Band Der Erbe Nerio Winch, ein Finanzmogul, der der größten Holding internationaler Unternehmen vorsteht, „die je von nur einem Mann geleitet wurde“. Da er steril ist und einen Erben für sein gewaltiges Geschäftsvermögen braucht, adoptiert er im Geburtsland seines Urgroßvaters, dem ehemaligen Jugoslawien, den Waisenjungen Largo. Schon im zarten Alter versucht Nerio Winch Largo im Geheimen auf die große Aufgabe vorzubereiten, die auf ihn wartet.

Mit anderen Mitteln

Doch Largo erweist sich als renitenter Bursche, dem das Herumstreunen deutlich näher liegt als die Geschäfte eines Finanzimperiums. Er soll sich in der Eliteschmiede den Habitus der sozialen Klasse aneignen, in der er sich bewegen müssen wird, doch bevorzugt er das klassische Abenteuer: Zirkus, Messerwerfen, Frauen und Balgerei. Das macht ihn in der korrupten Führungsetage nicht sonderlich beliebt. Er findet allerdings Gefallen daran, dass die Hochfinanz letzten Endes auch nichts anderes ist als die Fortführung des Abenteuers mit anderen Mitteln.

Wie bei James Bond findet hier jeder Mann reichlich Stoff für das Kind in sich. Bei Van Hamme bleibt das Überbietungsprinzip aber nicht vergnüglicher Selbstzweck, sondern entspricht präzise der Handlungslogik der Finanzwelt. So sehr sich der Unterhaltungswert hier aus der Verbindung von jungenhaftem Spieltrieb und Hybris speist, so viel Gewicht legt Van Hamme darauf, die Eckpfeiler der Handlung didaktisch aufzuarbeiten. Da fällt während einer seitenlangen Geschäftssitzung auch mal ein nicht eben genretypischer Satz: „Sie wissen, ein Konzern wie dieser ist zum Wachstum verdammt, sonst erstickt er an seinen Kosten.“ Fußnoten und Lexikonerklärungen säumen den Weg der Ereignisse, damit jeder zu seinem Spaß auch seine Lektion bekommt.

Jean Van Hamme schrieb auch das Drehbuch zum von Jean-Jaques Beineix inszenierten Achtziger-Kultfilm Diva (1981). Man kann diesen Prototypen des „cinéma du look“ als Quintessenz der achtziger Jahre betrachten: eine Sache purer Oberflächenreize, bei denen freilich nicht mit leerer Symbolik gegeizt wird. Die Zeichnungen von Philippe Francq stehen durchaus noch in dieser visuellen Tradition, in der jedes Bild und jeder Gesichtsausdruck so plakativ wie nur möglich sind. Doch er findet den Weg zum Sinntragenden zurück. Die Szenen im New Yorker Hauptsitz bestehen aus wohlgeordneten Farbkompositionen und nahezu geometrischen Formen. Sobald das Geschehen die Räume des Unternehmens verlässt, wird der visuelle Eindruck diffuser und uneindeutiger: Ökonomie ist nur als Flip Chart überschaubar.

Zur Zeit der Wirtschaftskrise

Der Machismo, der Largo Winch in bester James Bond-Manier durchzieht, gehört zur Analogie, die Van Hamme zwischen Hochfinanz und Schulhof zieht. Was die Gegner von Largo Winch antreibt, ist bloß der infantile Impuls, nicht zurückstecken zu wollen. Es geht nicht in erster Linie ums Geld – davon ist ja genug da –, es geht ums Gewinnen und um die Trophäe, und die größten Trophäen sind üppige Blondinen. Largo Winch erzählt letzten Endes die Mär vom guten Kapitalisten. Wenn Van Hamme in mehreren Rückblenden berichtet, wie Nerio Winch seinen Adoptivsohn zum Vorzeige-Firmenchef erziehen will, stellt Largo immer wieder die Frage, warum er sich in die Dienste des Kapitals stellen sollte, ohne sich vorher bewusst geworden zu sein, für welchen seiner Lebensentwürfe ihm denn das Kapital dienen könnte. Sein Geschäftsführer wirft ihm später seine „albernen Pfadfinderideale“ vor.

Der 17. Band der Serie spielt zu Zeiten der jüngsten Wirtschaftskrise. Er beginnt mit einem Anschreiben, in dem es heißt, dass es Largo immer darum gegangen sei, seinen Mitarbeitern das „Einkommen und die Lebensqualität zu sichern“. Den Lesern, die die Figur kennen, kommt es sogar vor, dass er es ernst meinen könnte, selbst den pathetischen Schlusssatz: „Gemeinsam können wir viel erreichen.“ Das Problem ist bloß, dass der James Bond der Finanzen viel zu beschäftigt mit seinen Gegnern ist, um sich noch auf Gemeinsamkeiten mit anderen besinnen zu können.

Largo Winch Sammelband 1-4Philippe Francq, Jean Van Hamme, übers. v. Resel Rebiersch, Schreiber & Leser 2011, 206 S., 29,80 .

Waldemar Kesler schrieb im Freitag zuletzt über den Comic Castro

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