Political Correctness auf medialen Abwegen

Fernsehpreis Die ZDFNeo-Reihe "Auf der Flucht" wurde vor einigen Tagen mit dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet - zu Unrecht. 300 Geflüchtete vor Lampedusa gingen leer aus.

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Political Correctness auf medialen Abwegen

Foto: Chung Sung-Jun/Getty Images

Für das ZDF reisten sechs bekannte Persönlichkeiten drei Wochen lang in die Ursprungsländer Asylsuchender. Sie wollten "am eigenen Leib erfahren", was es heißt, auf der Flucht zu sein und so zur humaniären Erziehung der deutschen Gesellschaft beitragen. Ziel sollte es entsprechend des Rundfunkauftrags nach § 11 RStV (Rundfunkstaatsvertrag) sein, die individuelle und öffentliche Meinungsbildung zu fördern, den demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnissen der Gesellschaft nachzukommen und dadurch die internationale Verständigung voranzubringen.

„Auf der Flucht“ nannte sich die neue Programmauflage des Zweiten Deutschen auf dem alternativen Familienkanal ZDFneo, von der Leiterin Simone Emmelius Anfang 2012 noch als „Experimentierplattform“ beschrieben, und eignet sich nach eigenen Angaben für Menschen zwischen 25 bis 49 Jahren. Der Autor dieses Artikels ist jünger, ein Kind von Geflüchteten und hat sich mit dem Charakter dieser neuen Medienkultur beschäftigt.

Vom Anspruch, intelligentes und unterhaltendes Fernsehen zu bieten

Innovation wird beim ZDF ganz groß geschrieben: Formate wie Terra X, Auslandsjournal, heute show und Frontal21 bieten unabhängig der verschiedenen Geschmäcker das, was der öffentlich-rechtliche Rundfunk bieten soll. Die Annäherung an das heute eher trendige, junge Publikum ergibt sich aus der Einbindung kultureller, unterhaltender Inhalte in gut gutrecherchierte und seriös an die Öffentlichkeit getragene Formate – das ZDF erhält insofern zweifelsohne Hochschätzung als Qualitätsfernsehen.

Dass ein renommierter Sender wie das ZDF dabei Impulse für kritische Debatten setzen möchte, ist wichtig, darin liegt nach dem gesetzlichen Programmauftrag sogar sein Zweck. Die wirtschaftliche Unabhängigkeit und der weitgehend gesicherte Pluralismus des Fernsehrates bieten öffentlich-rechtlichen Rundfunksendern eine gute Möglichkeit die oben genannten Impulse in die Gesellschaft hineinzutragen. Der Rat selbst überwacht dabei die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen und Richtlinien, die sich das ZDF selbst auferlegt hat. Eine von ihnen lautet: „Die Würde des Menschen, seine Freiheit und Eigenverantwortlichkeit sind in allen Sendungen und Telemedienangeboten zu wahren.” (aus: Richtlinien für Sendungen und Telemedienangebote)

Im vorliegenden Falle hat das ZDF jedoch gefährlich danebengegriffen. Präsentiert wird eine im Format des Dschungelcamps (RTL) gehaltene Asyl-Reality Show, die durch ihre Aufmachung und den fragwürdigen Inhalten mehr Bedenken, als Anerkennung und Lob hervorruft. So wird die Flüchtlingsproblematik der Öffentlichkeit in der Weise präsentiert, indem man „privilegierte“ VIPs als Botschafter der physischen und psychischen Strapazen einer Flucht benutzt. Dieser VIP-Bonus wird als gesellschaftlich "angesehen" betrachtet, das Publikum soll sich mit den verschiedenen Rollen (Model, Schauspieler, Musiker, Blogger, Soldat, Autor) identifizieren können. Die Flüchtlingsschicksale werden dabei gänzlich außer Acht gelassen. So fragt man sich während des Gesprächs zwischen Model Du Mont und dem Vater eines Flüchtlingsopfers, warum die Kamera eine Nahaufnahme des weinenden Models zeigt, statt diese emotionale Minute den Gefühlen des trauernden Vaters zu widmen.

Ob die Aussage der Sprecherin in einem Clip zur Sendung, „er [der Moderator] sieht die Chance mit der Sendung den Themen Flucht und Asyl ein Gesicht zu geben“, den inhaltlichen Tatsachen des Formats entspricht, ist daher zu bezweifeln. Höchst kritisch ist auch die Vermischung der Asylfrage mit der Integrationsdebatte. Wenn das ZDF Schicksalen von Betroffenen eine Stimme geben möchte, dann gehört zunächst aus Gründen der Seriosität der persönliche Unmut der Teilnehmer zur vermeintlichen Überfremdung und Gefährdung der deutschen Kultur in den Hintergrund gestellt. Das vorliegende Konzept verzerrt insofern seine Intention, indem es instrumentalisiert und dem populistischen Denken eine Plattform bietet.

Das persönliche Empfinden der VIPs bleibt letztlich in der gesamten Darstellung unrealistisch. Die Gewissheit, den Dreh jederzeit abbrechen zu können, ist immer da – das Kamerateam gibt insofern der Show eine Sicherheit, die Geflüchtete selbst nicht haben. Selbst die erwähnte Eingliederung in Rollen findet in tatsächlichen Fluchtgeschichten nicht statt. Das menschenunwürdige, zweistündige Sicherheitstraining, bei dem den Teilnehmern Säcke über den Kopf gezogen wurden, erlebte man als „kindermäßig“ und „null Stress“ (Model Du Mont), „albern“ (Musiker Weidner) oder „Spaß“ (Autorin Weiland). Dieser psychische Faktor gewährleistet dem Format schließlich seine Unterhaltungsgarantie und mindert den seriösen Bildungseffekt. Das Format soll für die gesellschaftliche Debatte eine neue Tür öffnen, für die Flüchtlingsproblematik sensibilisieren – bisher erkennt man mehr action als Motivation zur individuellen Aktion.

Politische Inkorrektheit als Unterhaltungsfaktor

Störend und erschreckend wirken ebenso die nicht-bedachten Kommentare und Statements aus der Sendung. So stellt der Sprecher während eines Clips die Frage an die Teilnehmer, warum man sich die Tortur gerade als „zivilisierter Westeuropäer“ antue. Die Teilnehmer sprechen dabei in ihren Ausführungen von „Ausländern, Türken, Migranten, Deutschen“ und fördern damit ein Denken, dass es gerade in der Realität von Geflüchteten nicht gibt. Es erweckt eher den Anschein eines Kolonialdenkens, wenn im Kontext der Flüchtlingsproblematik zwischen privilegiert und primitiv klassifiziert wird – ähnlich Übles findet man auch bei Soaps wie „Wild-Girls“ (RTL) und „Reality Queens auf Safari“ (Pro7). Dreckige Toiletten in den Flüchtlingsheimen sind plötzlich der Beweis für das Aufeinanderprallen verschiedener Kulturen (Ex-Soldat Clair). Statt inhaltliches Profil zu liefern, greift man hier bloß nach Separation, es ist von Anderssein die Rede. Interessanterweise leistet dabei jedes Mitglied der „Teams“ einen kritischen Beitrag, einige davon kommen rassistischen Ressentiments sehr nah.

Ein Teammitglied (Ex-NPD Mitglied Müller) spricht davon, Schwarze beim Anblick immer mit AIDS in Verbindung zu bringen. Andere davon, dass Asylsuchende nicht wegen des guten Wetters, sondern aufgrund des Wohlstands nach Deutschland kämen (Autorin Weiland), viele Probleme von Migranten durch ihre Parallelgesellschaften entstünden (Cetinkaya), Deutschland nach dem „Helfer-Syndrom“ agierte (Model Du Mont), Arme, sinngemäß, keine bürgerliche Existenz besitzten (Nahost-Experte Gerlach) und Multi-Kulti nicht funktioniere (Autorin Weiland). Die Aussage von Weiland, das System bzw. die Gesellschaft hätte das Recht, sich vor Problemen wie der Multi-Kulti-Ausbeutung zu schützen, ist ebenfalls sehr kritisch zu betrachten. Gerade im rechtskonservativen Milieu findet sich die Legitimation zur populistischen Auseinandersetzung in solchen Klischees.

Zusammenfassend zeigt sich aus diesen wenigen Beispielen, dass das „Fremde“ mit nicht-gewollter Angst und Überfremdung in Verbindung gebracht wird – diesem müsste das Format erst entgegnen. Zu Recht kommentiert Teilnehmer Weidner, Stammtischparolen über Migration und Integration ohne fundamentales Hintergrundwissen würden zwar eine Identifikation mit dem „Anderssein“ fördern, doch in der vorliegenden Problematik mehr trennen, als vereinen.

Nicht die Integration scheitert – der Integrator verfehlt seine Verantwortung

Wenn selbst ein für dieses Projekt bereitgestellter Experte davon spricht, dass es in der sog. Flüchtlingsproblematik bisher keine politische Lösung gebe und diese auch keiner hätte, dann verfehlt zugleich jedes fragwürdige Statement und "Gutmenschdenken" über die Angemessenheit der Asylvergabe seine wissenschaftliche Glaubwürdigkeit. Die Haltung, Privilegiert trifft auf Krisenmensch, trägt ebenso in keiner Weise zur Integrationsdebatte bei, da sie spaltet und Ängste im Sinne des Populismus schürt. Statt des Respekts und der Anerkennung des sog. „Fremden“, oder fremd gemachten, wird bereits im ersten Anlauf von kritischen, auch rassistischen Einstellungen ausgegangen und durch das Medium reproduziert. Dass Integration beidseitig ist, entspricht der Tatsache, dass ein politischer Prozess nur mit Hilfe von Kooperation aller am Tische anlaufen kann – in jedem Fall muss es dabei gleichberechtigt zugehen. Integration ist nicht Assimilation. Die Annahme, man müsse sich einer sog. "deutschen Leit-Kultur" unterordnen, dem Grundgesetz unterwerfen und den Leitlinien der Mehrheit nachkommen, um in diesem Land Asyl bzw. ein Recht auf Existenz zu besitzen, verfehlt grundgesetzliche Werte und den langwierigen sowie stetigen soziokulturellen Prozess der Demokratisierung unserer Gesellschaft.

Auch das Recht urteilt insofern nicht nach "Herkunft" und Gesetzestreue – es bietet jedem den gleichen Schutz. Eben solche Offenheit vermisst man nicht nur in der neuen Sendung des ZDF – ihr Fehlen steht stellvertretend für das, was man in der falschen Integrationsdebatte vorfindet. Die Prämisse, „wir helfen Euch nur, wenn Ihr Euch unserem Wertekonsens unterwerft“, ist filternd, urteilend und gefährlich. Alle Geflüchteten haben eine Würde, einzigartige persönliche Schicksale. Es ist die Veranwortug unserer Medien diese nicht zu einer bloßen Zahl oder entertainenden Storyline zu machen.

Wohin geht das ZDF?

Gewiss gibt es politische Bereiche, deren Vermittlung bei Teilen der Öffentlichkeit erst durch unterhaltende Annäherung zugänglich wird. Dennoch sind Asylthemen zugleich Menschenrechtsthemen und genießen dadurch eine besondere Aufmerksamkeit in der Debatte, was Grenzen und Pflichten medialer Freiheit sind. Ein menschenunwürdiges Sicherheitstraining gehört nicht dazu, ebenso wenig pauschalisierende, kalte Kommentare über die Kulturen und Eigenarten der verschiedenen Asylbewerber.

Zwar hat das ZDF mit seiner Unternehmensstrategie den Gedanken, den eigenen Erfolg auszubauen, doch darf dies nicht zu Lasten jener Werte geschehen, die in der Menschenrechtsarbeit so hoch geachtet werden – in jeder Hinsicht hat die Würde des Menschen, die Integrität und Identität seiner Person Vorrang vor Medienzwecken.

Das ZDF hat durch diese Reihe das korrekte Maß an Vermittlung politischer und gesellschaftskritischer Werte stark überspannt. Dieser Fehler wird ihm, als wichtiger Bestandteil der Deutschen Medienkultur, nachhaltig Seriosität und öffentliche Anerkennung kosten. Weniger Qualitätsfernsehen, dafür mehr niveauloses Entertainment à la RTL und Prosieben hat dieses Programmformat sicherlich erreicht.

In Gedenken an Marcel Reich-Ranicki: "Blödsinn, den wir hier heute Abend zu sehen bekommen haben."
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