Schäubles Deal um Yücel. So nicht!

Deutschland-Türkei Finanzminister Schäuble koppelt in einem ZDF-Interview weitere Wirtschaftshilfen für die Türkei an eine Freilassung Deniz Yücels. Ein fragwürdiger Vorstoß.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Eingebetteter MedieninhaltEine Stellungnahme Finanzminister Schäubles im ZDF lässt aufhorchen (ab 3:50). Demnach wird die Auszahlung von Wirtschaftshilfen an die Türkei an eine Freilassung des inhaftierten Welt-Journalisten Deniz Yücel geknüpft. Die Nachfrage des Journalisten, „Wirtschaftshilfe nur unter der Voraussetzung, dass Yücel frei kommt ?“ wird zwar nicht mit Ja, aber noch viel weniger mit einem entschiedenen Nein beantwortet. Man wolle ja „nicht in die türkische Gerichtsbarkeit eingreifen“. Die fragwürdige Verknüpfung weiterer Wirtschaftshilfe mit dem Schicksal Yücels bleibt bestehen , wird genau so von den Medien aufgegriffen und ist sehr kritisch zu hinterfragen.

Die türkische Sicht

Die Schlagzeile „Wirtschaftshilfe nur bei Freilassung Yücels“ dürfte in der Türkei angekommen und sicherlich auf Interesse gestoßen sein. Eine Nation und eine Regierung, welche größten Wert auf „das gegebene Wort“ legt, zumindest wenn dies zum eigenen Vorteil gereicht. Schäubles Aussagen werden folgendermaßen interpretiert: „Lassen wir Yücel frei, gibt es Wirtschaftshilfe, Schäuble hat sein Wort gegeben.“ Alles Andere wird als Wortbruch ausgelegt und entsprechend ausgeschlachtet. Beispiele gibt es genügend, Beitrittsverhandlungen, Visa-Freiheit, Flüchtlingsvertrag usw. Europa hält nicht, was es verspricht.

Wessen Wirtschaftshilfe?

Nicht klar festmachen lässt sich, über welche Wirtschaftshilfen Herr Schäuble überhaupt gesprochen hat und wie hoch dieses Volumen sein wird. Sind es EU-Wirtschaftshilfen, über deren Einfrierung derzeit gerade debattiert wird, oder handelt es sich um eine deutsche Direkthilfe? Bei Letzterem ist es doppelt interessant zu erfahren, wie hoch das Volumen denn ist und wofür diese Gelder eingesetzt werden sollen. Denn: Eigentlich präsentiert sich die Türkei im In- und Ausland als bärenstarke und prosperierende Wirtschaftsmacht, welche in die Top-Ten der Welt aufzusteigen gedenkt. Ein ratloses Doppelstaunen bleibt, falls es sich um EU-Gelder handeln sollte, da durch Schäuble verkündet und auf Yücel fixiert.

Falsches Signal

Gemessen an der Anzahl der inhaftierten Journalisten in der Türkei kann es doch nicht sein, dass sich die EU oder Deutschland auf den Standpunkt "Yücel gegen Wirtschaftshilfe" stellen. Wie müssen sich alle andern inhaftierten Berufskollen vorkommen? Ich denke jetzt ganz besonders an Can Dündar und dessen Redaktionskollegen, deren Vergehen darin besteht, über einen unbestritten stattgefundenen türkischen Waffenschieber-Skandal der Regierung berichtet zu haben. Dündar konnte nach Deutschland flüchten, 10 seiner Kollegen sitzen wegen dieses Artikels seit nunmehr 129 Tagen in Haft. Wie müssen sie sich vorkommen, wenn sie erfahren, dass die EU oder Deutschland als einzige Bedingung für weitere finanzielle Hilfe und damit Stützung der Regierung die Freilassung Yücels fordern und gut ist? Sieht so Unterstützung der „demokratischen Kräfte in der Türkei“ aus? Ein Faustschlag ins Gesicht der inhaftierten Journalisten. Ganz nebenbei: WAS rät die Polizei im Umgang mit Erpressern?

Geht es im Falle Yücel für Deutschland um mehr ?

Die Umstände der Verhaftung Yücels, nämlich die zwei Monate vor dessen Inhaftierung, sind seit anfang März eine mediale Tabu-Zone. Selbst gestern abend bei Anne Will: Sowohl Altmeier wie auch der türkische Sportminister Kilic hatten diesbezüglich Kreide geschluckt.

Währenddessen beschreibt der türkische Staatspräsident Erdogan den verhafteten Yücel weiterhin als Unterstützer der PKK und deutschen Agenten - und jetzt kommt es: der vor seiner Verhaftung mehr als einen Monat lang durch das deutsche Konsulat „versteckt“ wurde. Er sagt noch mehr und dies sehr deutlich. (Rede vom 02.03.2017)

Eigentlich kann man erwarten, dass der Beschuldigte, in diesem Falle das AA, deutlich widerspricht:

  • Yücel hat sich zu keinem Zeitpunkt bei uns aufgehalten.
  • Yücel hat an folgenden Tagen das Konsulat aufgesucht, aber nie über mehrere Tage hier gelebt.
  • Weder Konsulat noch das AA noch Kanzlerin Merkel haben im Zeitraum Dezember – Februar Gespräche über eine Überstellung Yücels geführt oder einen solchen Antrag bearbeitet und abgelehnt.

Damit wäre Erdogan widerlegt. Deutsche Medien kriegen Gegenargumente. Die noch vorhandenen oppositionellen türkischen Redaktionen kriegen Material, um Erdogan zu widersprechen. Das geschieht jedoch nicht.

Ganz offensichtlich ist der Sachverhalt komplexer, denn:

  • Das verlinkte Erdogan-Video wurde am 3.3.2017 eingestellt, die Rede fand am 02.03.2017 statt. Seither hat Erdogan diese Vorwürfe an türkischen Veranstaltungen mehrfach wiederholt.

  • Bereits am 17. 02. 2017 war in Mediaa zu lesen, dass sich Yücel seit geraumer Zeit im deutschen Konsulat aufhalten soll. Reaktion des AA ?

  • Am 20.02. geht die FAZ in einem längeren Beitrag auf dieses Thema ein und gelangt zu klaren Aussagen. Reaktion des AA ?

  • Dieselbe Zeitung, dasselbe Datum, Seite drei, die ganze Seite! Muss man jetzt von "freiwillig gestellt" oder "Überstellung" sprechen? Und was sagt uns das auf Erdogans Ausführungen im schon zitierten Video?
  • Seither Schweigen. Kommentare werden nicht veröffentlicht, Anfragen nicht beantwortet.

Eine andere Ausgangslage

Diese zitierten Quellen besagen, dass sich Herr Yücel, dessen baldige Freilassung wir uns alle wünschen, sich bereits unter konsularischem Schutz befunden hat! Damit kriegt der Fall jedoch eine ganz andere Dimension. Genau so die Frage nach der Rolle des AA, denn diese Presseerklärung vom 27.2.2017 beschreibt dann offensichtlich nur die halbe Wahrheit.

Was ist also diplomatisch schief gelaufen, dass Herr Yücel, zwei Monate nachdem er zur Verhaftung ausgeschrieben wurde, in eine derart missliche Situation geraten ist? Folgt man Herrn Altmeier in seinen gestrigen Aussagen , gibt es bis heute keinen konsularischer Kontakt.

Wie ist der offene Brief des Welt-Chefredakteurs zu werten, in welchem Erdogan um die Freilassung des Journalisten aus humanitären Gründen, als Zeichen „der Barmherzigkeit“ gebeten wird ? Es bleibt den Lesern, insbesondere den Türkeikennern überlassen, wie diese Zeilen von Erdogan und der türkischen Öffentlichkeit interpretiert werden. Sicher ist, Hoffnung auf eine baldige politische Lösung schaut anders aus.

Der jetzt angebotene Deal von Herrn Schäuble setzt dem Ganzen die Krone auf. Ganz nach dem Geschmack des türkischen Staatsoberhauptes. "Da ist noch viel Luft nach oben", wird er sagen, denn es sitzen ja noch diverse weitere Ausländer mit fadenscheinigen Begründungen im Gefängnis, nicht wahr? Zum Beispiel dieser Fall hier, seit Dezember festgesetzt, nur deutscher Pass!, der genau an dem Tag erstmals konsularischen Besuch bewilligt kriegte, an welchem Richter in Istanbul Untersuchungshaft für Herrn Yücel beschlossen...

Ein schlechtes Signal also und ein schwerer Image-Schaden für die Außenwahrnehmung Deutschlands oder der EU. Erpressbar.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

walteranamur

Walter HelblingNeugieriger Grenzgänger zwischen den Kulturen, sozialkritisch, dank Rentnerstatus Zeit für alles, was mich interessiert.

walteranamur

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden