Superreich: Wie eine deutsche Familie den globalen Kaffeemarkt aufkauft
Clan Die Reimanns sind eine der reichsten Familien Deutschlands. Sie kontrollieren fast ein Zehntel des globalen Kaffeemarkts. Von den Reimanns gibt es keine Fotos, keine Auftritte. Nur der Verwalter ihres Imperiums zeigt sein Gesicht
Illustration: der Freitag, Material: Valengilda/iStock
Am Finanzmarkt nennt man so etwas eine „defensive Wachstumsstory“: Die Rede ist von der Strategie einer der reichsten Familien Deutschlands, mittels gewieften Ausnutzens der Möglichkeiten am Kapitalmarkt einen sagenhaften Aufstieg hinzulegen. Reimann: Der Name dieses süddeutschen Clans ist einer breiteren Öffentlichkeit unbekannt, doch mittlerweile gehört ihm die Mehrheit am zweitgrößten Kaffeeunternehmen der Welt.
2020 galten die Reimanns mit einem vom Manager Magazin geschätzten Vermögen von 32 Milliarden Euro als die reichste Familie der Republik – vor Lidl-Gründer Dieter Schwarz, den beiden Quandt-Erben (BMW) und den Familien der Aldi-Eigentümer Albrecht. In der Öffentlichkeit sind die Geschwister Wolfgang Reimann
r Wolfgang Reimann (69), Renate Reimann-Haas (70) sowie deren Halbbrüder Stefan (58) und Matthias Reimann-Andersen (58) nicht gesehen worden; österreichische Medien berichteten, die vier hätten im Jahr 2006 aus steuerlichen Gründen die deutsche Staatsbürgerschaft abgelegt und stattdessen die österreichische angenommen. Es gibt keine offiziellen Fotos von den Multimilliardären und keine Videos, sie treten nie für ihr Firmenkonglomerat auf. Insofern bilden sie das krasse Gegenteil zu Tesla-Großaktionär Elon Musk, der für jedes seiner Geschäfte sein Gesicht in die Kamera hält und der ganzen Welt stündlich über Twitter mitteilt, was bei ihm gerade los ist. Doch der Eindruck täuscht: Sowohl die Reimanns als auch Musk tätigen ihre Finanzgeschäfte mit Massenkonsumprodukten.Wer Jacobs-Kaffee trinkt, sich aus Senseo-Pads einen Espresso braut oder mit Schweppes anstößt, verzehrt Produkte aus Unternehmen, die teilweise oder ganz den Reimanns gehören. Das Gleiche gilt für alle, die sich Parfüms von Gucci oder Calvin Klein hinter die Ohren tupfen. Die Sippe und ihre Akteure haben es tunlichst vermieden, die Geschichte ihres Reichtums an die große Glocke zu hängen – zumal die Vorläuferfirma der heutigen Beteiligungen, das Chemieunternehmen Joh. A. Benckiser, in den 1930er Jahren richtig in Fahrt kam, als es sich als Nazi-Musterbetrieb aufstellte und als „rein arisches Familienunternehmen“ auch ZwangsarbeiterInnen beschäftigte. Maßgeblich in den vergangenen beiden Jahrzehnten lief indessen die Kapitalakkumulation wie am Schnürchen. Als „defensiv“ gilt diese Geschichte, weil die Strategie auf weitgehend konjunkturresistente Investments setzt. Für das astronomische Wachstum haben die passenden Zukäufe gesorgt.Gucci und Kim KardashianMittlerweile ist das Reimann-Quartett in der Hitliste der Reichen etwas zurückgefallen, der geschätzte Wert ihrer Habseligkeiten belegte zuletzt mit 29,5 Milliarden Euro „nur“ noch Platz vier. Denn nach dem kräftigen Wachstum der jüngsten Expansionsphase hat die Dynamik bei einigen der einverleibten Unternehmen nachgelassen. Besonders gilt dies für den in New York börsennotierten Kosmetikkonzern Coty, dem die Parfümlinien von Marken wie Boss, Adidas, Gucci, Lacoste, Calvin Klein und Jil Sander gehören, sowie Beteiligungen an den Kosmetikfirmen von Kylie Jenner und Kim Kardashian. Bei Coty gab es aber Verluste und einen Managementwechsel, bis außenstehende Investoren teilweise ihre Gelder abzogen und Ratingagenturen die Bonität herabstuften. Coty musste sogar die deutsche Haarpflegemarke Wella verkaufen, um einem finanziellen Engpass zu entgehen.Doch wie kann es eigentlich sein, dass vier unbekannte deutsche Unternehmererben einen derart sagenhaften Reichtum aufhäufen? Das hat vor allem mit jemandem zu tun, der das Gesicht der Familie nach außen abgibt, während die Eigner im Dunkeln bleiben: Peter Harf, der seit 1981 für die Familie als Verwalter, als Majordomus tätig ist. Der heute 76-Jährige hat das Imperium zusammengekauft und managt die Aktivitäten strategisch, die unter dem Dach der JAB Holding Company zusammengefasst sind – inzwischen mit Olivier Goudet. Die Holding entstand aus der Verwertung der tradierten Chemiegruppe Benckiser in Ludwigshafen, expandierte in gänzlich andere Branchen und ist heute eine Finanzholding, die längst auch die Gelder anderer Superreicher investiert. Ihr Portfoliowert lag Ende 2021 bei über 34 Milliarden Euro.Die Holding mit Sitz in Luxemburg agiert ähnlich wie angloamerikanische Finanzinvestoren („Heuschrecken“), nur hat sie keinen Druck, Beteiligungen nach wenigen Jahren wieder zu verkaufen, da sie nicht aus zeitlich befristeten Fonds investiert. Harf, der den US-Investor Warren Buffett zu seinem Vorbild erklärt, spielt auf der ganzen Klaviatur des Kapitalmarktes, kauft Unternehmen, nimmt sie von der Börse, lässt sie umbauen und bringt sie zurück. Er nutzte vor allem auch das bisher niedrige Zinsniveau und arbeitet mit anderen superreichen Familien zusammen.Begonnen hat die enorme Expansion 1999 mit der Fusion der angestammten Ludwigshafener Firma Benckiser und der britischen Reckitt Colman. Viel weiter zurück noch reichen die Wurzeln: Johann Adam Benckiser (1782 – 1851) erwarb 1823 in Pforzheim eine Salmiakhütte, woraus das nach ihm benannte Chemieunternehmen wurde. Zu den Produkten zählten Reinigungsmittel auf Basis von Zitronensäure. Als der Patriarch starb, brachte sein Schwiegersohn Karl Ludwig Reimann die Firma nach Ludwigshafen.Erfindungen in den 1950er Jahren verhalfen dem Spezialchemieunternehmen zum Aufstieg: So wurden unter Albert Reimann junior – wie sein Vater ein prominenter Unterstützer der Nationalsozialisten – der Wasserenthärter Calgon, in den 1960er Jahren dann das Spülmittel Calgonit sowie die Zahn- und Gebissproduktreihe Kukident erfunden. Nach der Einbringung des Kerngeschäfts in Reckitt Benckiser, wo die Familie lange Großaktionär blieb, war die Verselbstständigung der Duftstoffaktivitäten der nächste Schritt. Benckiser hatte schon 1992 die Firma Coty erworben und brachte sie nach mehreren Zukäufen 2012 an die New Yorker Börse.Jetzt kaufen die Reimanns TierklinikenWeitere Deals im Lebensmittelgeschäft waren Dr Pepper Snapple (gekauft für 23 Milliarden Dollar im Jahr 2018), die 2016 für 14 Milliarden Dollar geschluckte Keurig Green Mountain, welche Schweppes herstellt, dann Krispy Kreme Doughnuts, Pret-a-Manger und Panera. Vom Ausflug in das Luxussegment blieb Bally bei JAB, der High-Heel-Hersteller Jimmy Choo wurde 2011 gekauft und drei Jahre später an die Londoner Börse gebracht. Jüngere Expansionsschritte gehen in eine ganz andere Richtung: Man kauft jetzt auf dem Wachstumsmarkt der Tierkliniken und -heime.Sichtbarstes Zeichen des grundlegenden Wandels hin zu einer rein auf Finanztransaktionen ausgerichteten Profitstrategie ist allerdings die Bildung des Kaffeeimperiums namens JDE Peet’s, das auf die Firma Jacobs Douwe Egberts zurückgeht. Es geht hier um finanzialisierte Lebensmittel-Assets, die durch Krisen noch mehr Vorteile erlangen, wie der aktuelle Preisanstieg von Nahrungsprodukten auf breiter Front zeigt. Die „Krönung“ des zusammengekauften Jacobs-Anbieters bildete vor rund zwei Jahren – mitten in der Corona-Krise – der Börsengang, bei dem die Aktien am ersten Handelstag um knapp 40 Prozent zulegten. Es war der größte europäische Börsengang im ersten Corona-Jahr.JAB behielt das Sagen bei dem damals mit 15,6 Milliarden Euro bewerteten Kaffeekonzern. Dieser versteht sich nun als führender „purer“ Kaffee- und Teeanbieter auf dem Globus. Nur Nestlé aus der Schweiz, das Nespresso und Nescafé herstellt und samt Wasser, Säuglingsnahrung, Gastronomie, Milchprodukten, medizinischer Ernährung der weltgrößte Nahrungsmittelproduzent ist, hat im Kaffeegeschäft noch eine Nase voraus. Der globale Marktanteil von JDE wird auf mehr als acht Prozent veranschlagt. In der JDE-Kasse klingelten 2021 rund sieben Milliarden Euro Umsatz, vor Steuern und Zinsen blieben davon 1,3 Milliarden als Gewinn hängen. Das bedeutet eine sagenhafte Rendite von 18 Prozent. Die Öffnungen von Cafés und Restaurants nach den Corona-Lockdowns haben positive Effekte. Vor allem aber profitiert der Anbieter von Jacobs- und Senseo-Kaffee vom verstärkten Kaffeekonsum zu Hause.Dieser Aufstieg ist umso erstaunlicher, als die Familie Reimann erst seit 2012 im Kaffeegeschäft tätig ist. Seitdem gab es aber über 15 Akquisitionen und Partnerschaften. Übernommen wurde die amerikanische Peet’s Coffee, die Kaffeehausketten betreibt. 2013 folgte als dickster Brocken die Übernahme von D.E Master Blenders 1753 für 7,5 Milliarden Euro. Das Unternehmen ist der niederländische Marktführer für Kaffee- und Teeprodukte, der die Senseo-Kaffeepads produziert.Die heutigen Gesellschafter der JAB verfügen also über einen sagenhaften Reichtum, der sich dank günstiger Marktbedingungen immer weiter vergrößert. Sie selbst aber sind offenbar unvorbereitet zu ihrem Vermögen gekommen. Erst als 1984 das Testament von Albert Reimann junior eröffnet wurde, erfuhren seine neun Erben, die er allesamt zuvor adoptiert hatte, dass der Verstorbene nicht ein leitender Angestellter des Chemieunternehmens Benckiser war, sondern dessen Eigentümer. Einige Erben ließen sich danach ausbezahlen, die genannten vier Geschwister mitsamt ihren heute zehn Kindern blieben an Bord.Für die verschwiegenen Nachkommen ist die kapitalistische Monopoly-Geschichte, nicht zuletzt gegründet auf der Nazi-Vergangenheit, eine feine Sache. 70 Jahre ließ man indes verstreichen, ehe die eigene Familiengeschichte aufgearbeitet wurde. 2016 beauftragten Reimanns den Historiker Paul Erker vom Institut für Zeitgeschichte der Münchener Universität, die politische Vergangenheit der Familie sowie von Joh. A. Benckiser zwischen den frühen 1920er Jahren bis 1945 zu erforschen. Im Januar 2019 teilte Erker der Familie als Ergebnis mit, dass Vater und Sohn Albert Reimann Antisemiten und überzeugte Anhänge des Nationalsozialismus waren und von der Kriegswirtschaft profitierten. Es gab während der NS-Zeit in den Werken des Unternehmens Gewalt und Missbrauch an Zwangsarbeitern. Die Familie gründete daraufhin eine Stiftung – die Alfred Landecker Foundation –, die sie über zehn Jahre zunächst mit 250 Millionen Euro finanzierten. Sie soll sich dafür einsetzen, den Antisemitismus zu bekämpfen.Für Konsumenten und vor allem auch Kaffeebauern, die eine geballte Marktmarkt in Form von Preiserhöhungen für die einen und Preisdruck bei den anderen zu spüren bekommen, ist die Wachstumsgeschichte indessen alles andere als ein Grund für Jubel und Bewunderung. Das monopolistische Preisregime spüren inzwischen nahezu alle Seiten im Lebensmittelgeschäft. Ganz vorne die international konkurrierenden Erzeuger und Kaffeebauern sowie – lokal und global – die Millionen Konsumenten, die hinter den Preissteigerungen bloß Profitsteigerung vermuten. Ganz zu Recht.
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