Schwester Heuschrecke

Gesundheit Megadeals mit Rehakliniken, Fusionen von Heimbetreibern: Private Fonds mischen den Pflegemarkt auf – zum Schaden von Patienten und Beschäftigten
Ausgabe 08/2021
Schwester Heuschrecke

Illustration: der Freitag, Material: Freepik

Heimlich, still und unbeeindruckt von der Corona-Krise machen sich milliardenschwere Fonds im Pflegebereich breit. Private-Equity-Firmen wie Nordic Capital, Waterland, Chequers Capital, Oaktree oder Carlyle: Das sind Beteiligungsgesellschaften, die mit dem Geld ihrer Anleger Unternehmen aufkaufen, die nicht an der Börse gehandelt werden. Ihr Geschäftsgebaren hat ihnen den Beinamen „Heuschrecken“ eingebracht. Ihnen ist egal, ob sie in IT, Immobilien oder eben „Gesundheit“ investieren, entscheidend ist die Rendite, die eine Anlage erzielt. Wie kann es sein, dass ebendiesen Fonds immer mehr stationäre Altenpflege- und Reha-Einrichtungen in Deutschland gehören?

Seit dem Erwerb des Pflegeheimbetreibers Casa Reha durch ECM Equity Capital im Jahr 1998 wurden in dem Sektor immer mehr Einrichtungen übernommen, die Zahl der Privaten hat sich in den vergangenen 20 Jahren verdoppelt. Viele Betreiber von Alten- oder Pflegeheimen wurden mehrfach von den „Heuschrecken“ durchgereicht, sprich: mit hohen Profiten weiterverkauft. Die größten Pflegeheimbetreiber hierzulande sind die in Paris börsennotierte Firma Korian – mit dem Werbespruch „Bei Korian sind Sie bestens umsorgt“ und der Bank Crédit Agricole als Großaktionär – und Alloheim, das dem schwedischen Finanzinvestor Nordic Capital gehört. In der Reha ist Median, das seit einigen Jahren Waterland Private Equity gehört, die Nummer eins in Deutschland. Der Gesundheitssektor – „Healthcare“ als Investitionsmöglichkeit – rangiert bei den Fonds, die global über ihnen von Investoren zugesagte, aber noch nicht investierte Mittel („dry powder“) von gut 1,5 Billionen Dollar verfügen, sogar ganz oben auf der Liste der bevorzugten Ziele.

Ein aktuelles Beispiel kann das Geschehen verdeutlichen: Mitten in der Corona-Krise, die Bewohner von Alters- und Pflegeheimen besonders stark belastet, gab es in der Branche einen neuerlichen Milliardendeal. Und das ganz ohne große Schlagzeilen, denn die Betreibergesellschaften tauchen nach Möglichkeit nicht auf – auch nicht oder nur ganz am Rande in einer Notiz zur Unternehmenshistorie auf der Website. Im Einzelnen meint das: Am 30. Dezember 2020 meldet Waterland eine Milliardenfusion: Der Finanzinvestor übernimmt die britische Priory Group für gut 1,2 Milliarden Euro und will sie mit seinem deutschen Portfolio-Unternehmen Median zusammenlegen, zu einem der größten privaten Anbieter von medizinischer Rehabilitation in Europa mit rund 20.000 Beschäftigten, 570 Einrichtungen und jährlich 260.000 Patienten in Orthopädie, Neurologie und Psychiatrie.

Gesundheit, ein solider Markt

Private-Equity-Fonds wie Waterland, Nordic Capital, Carlyle oder Blackstone sammeln mit einem zeitlich befristeten Anlagehorizont Milliarden bei Pensionskassen, Versicherungen, hochvermögenden Privatpersonen und anderen Einrichtungen wie Stiftungen oder Banken ein. Dann legen sie die Mittel auf meist drei bis fünf Jahre in Mehrheitsinvestments von Unternehmen, Immobilien oder eben Alten- und Pflegeheimen an. Der Gesundheitsmarkt wird ins Visier genommen, weil dort gut zu kalkulierende, stabile oder sogar stetig steigende Mittelzuflüsse zu erwarten sind. Die Pfeile zeigen nach oben: Demografisch gibt es für die nächsten Jahrzehnte im Markt für stationäre Pflege und Seniorenwohnen einen klaren Wachstumstrend, weitgehend unabhängig von Konjunkturschwankungen.

Der Knackpunkt im Geschäftsmodell der auf Profit ausgerichteten Fonds ist, dass der „Equity“-Anteil, also das pro Deal eingesetzte Eigenkapital des Fonds, möglichst gering gehalten und mittels Krediten „gehebelt“, also vervielfacht wird. Die Niedrigzinspolitik der Notenbanken macht das noch einfacher: Kredite werden billiger. Die aufgenommenen Schulden müssen dann nicht die Investoren, sondern die gekauften Unternehmen selbst – hier: eine Betreiberfirma von Altenheimen – abstottern und die Zinsen dafür bedienen. Damit steigt über die Haltezeit das Eigenkapital des Fonds, nach wenigen Jahren kann er mit Gewinn an den nächsten Investor weiterverkaufen. In einigen Fällen verdienen die Fonds auch dadurch, dass sie sich selbst – durch Schulden finanzierte – Dividenden auszahlen. Auch das ist noch nicht alles: Die vorherigen privaten oder kirchlichen Betreiber bringen meist auch Immobilien mit ein, die sich leicht vom Betrieb abspalten und in einem boomenden Markt getrennt versilbern lassen, sodass die Einrichtungen auch noch die Mieten zu stemmen haben.

Der fragmentierte und zersplitterte „Gesundheitsmarkt“ hält für diese Fonds steigende Profitchancen durch das Zusammenkaufen von immer mehr kleineren Anbietern bereit, um damit Kosten zu senken und die entstehenden größeren Einheiten mit hohen Gewinnen an die nächsten Investoren zu verkaufen – die das Spiel in der nächsten Runde wiederholen. Die heute großen Ketten sind so durch vielfache Zukäufe kleinerer Einheiten entstanden. Naturgemäß geht die „Integration“ nicht reibungslos vonstatten. Dazu kommt, dass der häufige Wechsel der Eigentumsverhältnisse einer auf Langfristigkeit ausgerichteten Strategie naturgemäß widerspricht. Doch sollte sich das Gesundheitswesen nicht eigentlich genau daran orientieren?

Wer die Zeche zahlt, liegt auf der Hand: die Alten und Kranken. Denn während auf der einen Seite die Profite steigen, steigen auf der anderen auch die Kosten für die Pflege im Heim. Die selbst zu zahlenden Anteile klettern weiter – auf nun 2.068 Euro pro Monat im bundesweiten Schnitt, wie aus Daten des Verbands der Ersatzkassen für 2021 hervorgeht. Das sind 128 Euro mehr als Anfang 2020. Der darin enthaltene Eigenanteil allein für die reine Pflege ist seit Anfang 2021 im Bundesschnitt auf 831 Euro angewachsen: Vergangenes Jahr betrug er noch 731 Euro, Anfang 2018 nur 593 Euro.

Einer der größten Pflegeheim-Deals in Deutschland betraf den 1973 gegründeten Alten- und Pflegeheimbetreiber Alloheim. Im Jahr 2017 verkündeten der Verkäufer – Carlyle aus den USA, einer der größten Finanzinvestoren weltweit – und der Erwerber Nordic Capital kurz vor Weihnachten in einer dürren Meldung die Alloheim-Übernahme. Der Verkaufspreis betrug kolportierte 1,1 Milliarden Euro, das 12,5-Fache des operativen Jahresgewinns von Alloheim. 2008 hatte Alloheims Gründer seine damals 13 Alten- und Pflegeheime an Star Capital verkauft, vier Jahre später übernahm Carlyle, das dann 2017 an die schwedische Gesellschaft Nordic Capital verkaufte.

Als Carlyle einstieg, war Alloheim die Nummer acht der privaten Anbieter, steht nach Übernahmen inzwischen aber auf Rang 2. Gemeinnützige Anbieter wie Johanniter, Evangelische Heimstiftung und Arbeiterwohlfahrt Westfalen hingegen fallen zurück, sie stehen derzeit nur noch auf Rang 7, 8 und 9. Die privaten Kapitalinvestoren beherrschen als größte Organisationen den Pflegemarkt und entsprechend die Bedingungen, die in den Einrichtungen für Personal wie Bewohner herrschen.

Dreißig Prozent Zinsen

Median-Eigentümer Waterland zeigt, dass Firmenjäger mit Rehakliniken im Portfolio auf eine überdurchschnittlich hohe Verzinsung – ausgedrückt als internal rate of return, kurz IRR – von sage und schreibe rund 30 Prozent kommen können. Median ist heute mit 230.000 Patienten jährlich Deutschlands größtes privates Reha-Unternehmen mit 120 Einheiten und 18.500 Betten und Plätzen. Die Gruppe setzt stark auf „digitale Nachsorge“: eine Patienten-App und „Big-Data-Analysen“, selbstverständlich zur Kostensenkung. Waterland hatte Median 2014 für geschätzt eine Milliarde Euro gekauft, damals allerdings erst 45 Häuser mit 9.000 Betten, und die Verschmelzung mit der RHM Klinik- und Altenheimbetriebe vollzogen, die dem Fonds bereits gehörte.

Waterland-Manager Carsten Rahlfs deutet an, was ihm und seinen Kollegen in die Hände spielt: „Die demografische Entwicklung, aber auch angespannte Staatshaushalte machen innovative Healthcare-Angebote nötiger denn je.“ Waterland, das acht Milliarden Euro Eigenkapital für Investoren verwaltet und 2019 für neue Beteiligungen 2,5 Milliarden Euro eingesammelt hat, ist neben Median auch Eigentümer der auf Orthopädie spezialisierten Atos-Klinikkette, des Pflegedienstleisters Schönes Leben und des Firmenfitness-Spezialisten Hansefit – es bietet sich ein Potpourri der kompletten Kapitalisierung körperlicher Befindlichkeiten.

Mit der sogenannten „Build-and-Buy-Strategie“ wurde Median innerhalb weniger Jahre nach oben gepuscht. Waterland erwarb 2011 den Rehaklinik-Betreiber RHM und führte 2015 nach dem Median-Kauf beide Unternehmen zusammen. Klinik-Immobilien für 700 Millionen Euro wurden umgehend versilbert. Und es wurde aggressiv akquiriert. In der Schweiz übernahm der Finanzinvestor 2012 den größten privaten Pflegeheimbetreiber des Landes, Seniocare.

So wächst der Einfluss der Private-Equity-Fonds im Gesundheitssektor. Ardian, mit 103 Milliarden Dollar unter Verwaltung Europas größte Private-Equity-Gesellschaft, hat über verschiedene Vehikel allein mehr als drei Milliarden Euro in den Gesundheitssektor investiert. Für 2019 verzeichnet die Branche hierzulande laut der Beratungs- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC insgesamt 106 Fusionen und Übernahmen. Knapp die Hälfte der Käufe betraf niedergelassene Leistungserbringer und Labore, die sich für Finanzinvestoren inzwischen ebenfalls zu attraktiven Zielen entwickelt haben.

Dem Treiben der Investoren und ihren Profitsteigerungen folgt spiegelbildlich ein zweites Karussell, um das erste am Laufen zu halten: das der Kostensenkung. Am einfachsten im größten Umfang geht das beim Personal. Leiharbeitskräfte, die im Gesundheitswesen und besonders in Pflegeheimen massenweise eingesetzt werden, erfüllen dabei eine Doppelfunktion: Sie sind einerseits billiger und schnell abrufbar und schwächen andererseits mit ihren im Tagesrhythmus wechselnden Arbeitsplätzen den Zusammenhalt des Personals gegenüber der Leitung, eine Freude für jeden Investor.

Eine weitere, fatale Auswirkung zeigt sich aktuell: Durch die laufende Personalzirkulation von Einrichtung zu Einrichtung können Leiharbeitskräfte während der Corona-Pandemie Träger für die Virusverbreitung sein. Umso bedenklicher, dass die Impfstrategie in Deutschland Anfang 2021 diese profitablen Leiharbeitskräfte in Pflege-Einrichtungen vergessen hatte: Ausgerechnet sie wurden gar nicht erst als relevant für Impfungen markiert. Auf der anderen Seite präsentiert sich ein Bild, das gegensätzlicher nicht sein könnte: Offenbar sind die finanziellen Kompensationen für Corona seitens der Bundesregierung für Klinikbetreiber nach dem Ermessen der Finanzjongleure gut bemessen. „Damit können die meisten Kliniken und sonstigen Träger gut durch die Krise manövrieren“, heißt es etwa bei Ardian. Für Pflegeheime und die ambulante Intensivpflege hat der Gesetzgeber lukrative Regelungen getroffen, um die Einflüsse von Covid-19 finanziell auszugleichen. Eines steht in der Krise ganz oben: keine Schädigungen oder Eigentumsverluste für große Kapitalinvestoren.

„Healthcare“ wird im Investorentrend bleiben: „Die Alterung der Bevölkerung sorgt dafür, dass das Gesundheits- und Sozialwesen mit bundesweit sieben Millionen Beschäftigten im Jahr 2040 die meisten Erwerbstätigen stellen wird“, circa 660.000 mehr als zuletzt, meldete das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung für Deutschland. Bis 2030, so eine Projektion der Beratungsgesellschaft Deloitte, werde das Marktvolumen von derzeit etwa 47 Milliarden auf über 66 Milliarden Euro pro Jahr steigen. Dabei soll die Zahl der Pflegebedürftigen um 34 Prozent auf 4,1 Millionen zunehmen. Es würden bis zu 400.000 zusätzliche vollstationäre Pflegeplätze und Investitionen in Höhe von 85 Milliarden Euro benötigt.

2018 hatte Gesundheitsminister Jens Spahn gesagt: „Wir führen in der Pflege nicht den Sozialismus ein“, daran hat er sich bis jetzt auch gehalten. Doch wollte er gegen private Altenheime gesetzlich vorgehen, bei denen Investoren beteiligt sind. „Zweistellige Renditen für Finanzinvestoren und Kapitalgesellschaften – das ist nicht die Idee einer sozialen Pflegeversicherung“, sagte der CDU-Politiker damals. Rechtlich sei eine Begrenzung der Renditen zwar „ein erheblicher Eingriff“. Aber „wenn sich das vernünftig regulieren lässt, kann ich mir das vorstellen“. Bei der Vorstellung ist es geblieben. Während die Pflegeheime Hotspots der Pandemie sind, geht das Monopolyspiel der Finanzinvestoren munter weiter.

Anmerkung: Wir haben den Umfang der von Ardian in den Gesundheitssektor investierten Gelder gegenüber einer früheren Fassung dieses Artikels korrigiert.

Walther Becker war 20 Jahre lang Redakteur und Reporter der Börsen-Zeitung in Frankfurt am Main. Im Jahr 2005 gewann er den Europäischen Private Equity Award für Artikel in deutscher Sprache

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Die Vielfalt feiern – den Freitag schenken. Bewegte Zeiten fordern weise Geschenke. Mit dem Freitag schenken Sie Ihren Liebsten kluge Stimmen, neue Perspektiven und offene Debatten. Und sparen dabei 30%.

Print

Für 6 oder 12 Monate
inkl. hochwertiger Weihnachtsprämie

Jetzt sichern

Digital

Mit Gutscheinen für
1, 6 oder 12 Monate

Jetzt sichern

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden