GroKojanismus

Regierungsbildung Die Jamaika Sondierungsgespräche sind gescheitert. Jetzt läuft alles auf eine erneute Große Koalition zwischen der Union und der SPD hinaus

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Sobald Schulz aus der Deckung kommt, wird er von seinen Genossen gnadenlos ausgekontert
Sobald Schulz aus der Deckung kommt, wird er von seinen Genossen gnadenlos ausgekontert

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Replik zu den Jamaika-Verhandlungen

Die Sondierungsgespräche zwischen der Union, der FDP und Bündnis 90/die Grünen sind krachend gescheitert. Ich gebe zu, dass ich mit einem solchen Ausgang nicht gerechnet habe. Das Thema Vertrauen soll eine große Rolle gespielt haben, wenn man der FDP Glauben schenken kann. Folgt man dieser Theorie, dann müssten Bündnis 90/die Grünen und letztlich auch die CSU gottfroh sein, dass die FDP zuerst das Handtuch geworfen hat. Hat Lindner einfach die Nerven verloren? Oder war es ein kalkulierter Ausstieg? Beides ist wahrscheinlich richtig. Lindner wollte von Anfang an nicht unbedingt in eine Regierung eintreten und wartete nur auf den Moment. zu gegebenem Zeitpunkt auszusteigen. Er wollte aber mit Sicherheit nicht allein vor die Kameras treten und den Ausstieg verkünden. Da haben ihn die anderen Verhandlungspartner bewusst im Regen stehen lassen, damit sie anschließend ihm den schwarzen Peter zuschieben konnten. Merkel hätte wahrscheinlich bis Weihnachten weitersondiert – man kennt ja ihr Beharrungsvermögen – und zur nächtlicher Stunde blüht sie regelrecht auf. Aber Kubicki hatte ja nicht nur sein (letztes) Hemd durchgeschwitzt, sondern auch über Schlafmangel geklagt – und da konnte Lindner aus reiner Fürsorgepflicht nur die Reißleine ziehen.

Bündnis 90/die Grünen haben sich als Bettvorleger der Union entpuppt. Sie sind immer gesprächsbereit – sprich regierungsbereit – und haben so viel patriotische Verantwortung für Deutschland, dass Frau Göring-Eckardt und Herr Özdemir es für zwingend erforderlich halten, ein Regierungsamt zu bekleiden. Bei einer derart unterwürfigen Haltung ist es auch nicht verwunderlich, dass die Partei selbst beim Familiennachzug für subsidiär geschützte Flüchtlinge eingeknickt wäre.

Die CSU ist mit einer Doppelstrategie aufgetreten. Auf der einen Seite Dobrindt und Scheurer, die die bad guys mimten und vor allem die Bündnis 90/die Grünen herausforderten, und auf der anderen Seite Seehofer, der die Rolle als good guy einnahm, fernab und doch beeinflusst vom Ränkespiel in München. Er ist ein König ohne Land, der zumindest noch seinen Nachfolger bestimmen will, bevor er innerparteilich „gemeuchelt“ wird.

Ja, und jetzt komme ich zur Bundeskanzlerin Merkel und ihrer CDU. Es ist schon erstaunlich, welch ein „dickes Fell“ die Bundeskanzlerin hat. Sie sitzt alles aus, so wie ihr Vorgänger Helmut Kohl. Regierungsauftrag ist nun mal Regierungsauftrag, und wenn sie sich dafür entscheidet, nochmals anzutreten, dann ist das nun mal so. Keiner aus den Leitmedien käme auf die Idee, ihr den Misserfolg der Sondierungsgespräche zuzuschreiben. Die CDU verliert mehr als 8% bei der Bundestagswahl und innerparteilich rührt sich kein Widerstand, von ein paar Ausnahmen einmal abgesehen. Klar ist, dass ihre möglichen Widersacher noch in der Deckung bleiben, und klar ist auch, dass der Königsmörder im Normalfall nicht der neue König wird. Sie/er kehrt dann die Scherben zusammen, die die Kanzlerschaft Merkel hinterlassen hat.

Der Bundespräsident ist am Zug

Gleich nach dem Scheitern der Sondierungsverhandlungen trat der Parteivorsitzende Schulz vor die Kameras und verkündete, dass die SPD auch jetzt nicht für eine große Koalition zur Verfügung steht. Das wäre schließlich der einstimmige Beschluss des Parteivorstandes.

Daraufhin richteten sich die Blicke auf Bundespräsident Steinmeier, der jetzt laut Grundgesetz der Herr des Verfahren ist – und Steinmeier äußerte dann auch prompt seine Meinung: dass nämlich alle Parteien ihrer staatspolitischen Verantwortung nachkommen müssen und sich ernsthaften Gesprächen an einer Regierungsbildung nicht verweigern dürfen. Dieses Statement war klar an die SPD gerichtet, weil zu diesem Zeitpunkt die FDP und Bündnis 90/die Grünen aus dem Spiel waren.

Steinmeier ließ auch klar erkennen, dass Neuwahlen nicht zu seiner bevorzugten Variante gehören, schließlich gibt es einen Wählerwillen, den es umzusetzen gilt. Und überhaupt: man kann doch nicht solange wählen lassen, bis das Ergebnis passt.

Kaum hatte der SPD-Mann Steinmeier, dessen Mitgliedschaft ja ruht, seine Meinung verkündet, kamen diejenigen aus der SPD-Führung aus der Versenkung, die sich plötzlich nicht mehr an ihren einstimmig gefassten Beschluss im Parteivorstand erinnern konnten/wollten und wen wundert's, auch eine signifikante Zahl von SPD-Bundestagsabgeordneten bekam das Fracksausen, nach einer erneuten Bundestagswahl nicht mehr dem Parlament anzugehören.

Nun kann man natürlich sagen, Schulz hat die Situation falsch eingeschätzt, aber man könnte auch sagen, dass der Seeheimer Kreis seine Stimme nachträglich erhoben hat und dass so manchem Bundestagsabgeordneten sein Mandat wichtiger ist als seine Verantwortung für die Wähler, die er zu vertreten hat. Habe ich für die zuletzt genannte Gruppe noch ein gewisses Verständnis, kann ich bei den nachträglichen Umfallern nur den Kopf schütteln, zumal sie als Mitglieder des Parteivorstandes nicht zu erkennen gaben, wie sie wirklich denken. Es setzt sich also das fort, was schon während des Wahlkampfes zu beobachten war. Sobald Schulz aus der Deckung kommt, wird er gnadenlos ausgekontert. Jetzt bin ich alles andere als ein Fan von Schulz. Das Bild, das die SPD derzeit abgibt, zeigt jedoch überdeutlich, dass innerparteilich ein Machtkampf ausgetragen wird, der jetzt langsam an die Oberfläche kommt. Es geht sozusagen ans Eingemachte. Ich gewinne zunehmend den Eindruck, dass eine programmatische Erneuerung der SPD zwar dringend nötig wäre, die Reformkräfte sich jedoch nicht durchsetzen können, weil sich der Neoliberalismus mehrheitlich in den Köpfen festgesetzt hat. Das Erschreckende ist ja, dass das Wort Neoliberalismus von führenden SPD-Mitgliedern noch nicht einmal in den Mund genommen wird. Das ist ein Igitt-Wort, das der Linkspartei vorbehalten bleibt.

Teile der Partei – in vordersten Linie die Jusos – wollen die Erneuerung, und sie wollen auch keine GroKo. Der Vorsitzende Kühnert bringt es auf den Punkt. Ich zitiere sinngemäß: „Er kann nicht nachvollziehen, warum ein einstimmig gefasster Beschluss des Parteivorstandes, nicht in eine GroKo einzutreten, jetzt plötzlich keinen Bestand mehr haben soll“.

Der Ausweg – eine Minderheitsregierung

Malu Dreyer, die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, hat eine Minderheitsregierung der Union ins Spiel gebracht, die von der SPD toleriert bzw. geduldet wird. Der Weg dorthin bestünde darin, dass Merkel sich mit den Stimmen der SPD und vielleicht auch anderer Abgeordneter zur Kanzlerin wählen lässt oder Bundespräsident Steinmeier nach dem dritten Wahlgang Merkel auffordert, eine Minderheitsregierung zu bilden, die Union dann allein die Regierung stellt und mit der SPD von Fall zu Fall Verabredungen trifft, wie in der einen oder anderen Sache zu verfahren ist. Merkel könnte auch durchaus Minister einer anderen Partei benennen.

Eine Duldung oder Tolerierung will aber auf keinen Fall die Union, weil sie der Meinung ist, dass keine stabilen Verhältnisse gewährleistet sind und ein Land wie Deutschland sich eine solche Konstellation nicht leisten kann.

Dieser Meinung sind auch eine überwältigende Mehrheit der Leitmedien, die eine GroKo regelrecht herbeischreiben, ungeachtet der Tatsache, dass dieselben Medien noch vor der letzten Bundestagswahlwahl die Meinung vertreten haben, dass eine GroKo nur die politischen Ränder stark macht.

Fazit

Am nächsten Donnertag treffen sich die Parteivorsitzenden der CDU/CSU und der SPD beim Bundespräsidenten Steinmeier. Es ist keine große Überraschung, wie dieses Treffen ausgehen wird. Es wird dann einen weiteren Termin geben, in dem sich die Parteispitzen einer möglichen GroKo ohne den Bundespräsidenten treffen werden, um zu verabreden, dass nun Sondierungsgespräche aufgenommen werden. Wie es dann weitergeht, wird sich zeigen. Mit der Aufnahme von Koalitionsgesprächen ist jedenfalls nicht vor Januar zu rechnen.

Die SPD legt wert darauf, dass in den Sondierungsgesprächen sowohl über Inhalte als auch über die Form einer möglichen Regierungsbeteiligung geredet wird. In jedem Fall will die SPD über das Ergebnis der Verhandlungen im Nachhinein die Parteibasis entscheiden lassen. Der innerparteiliche Machtkampf innerhalb der SPD geht also weiter.

Auf den SPD-Parteitag wird sich zeigen, wer in der Partei das Sagen hat. Schulz wirkt angeschlagen und isoliert. Aber auch innerhalb der Union könnte so einiges passieren.

Die Frage, die sich stellt: Wer muss eigentlich die größte Angst vor Neuwahlen haben und wem kann man den schwarzen Peter im Falle eines Scheiterns in die Schuhe schieben?

Die Rolle der Leitmedien in diesem Szenario ist höchst bedenklich. Man kann keine Partei zwingen, politischen Selbstmord zu begehen. Die SPD hat seit 1998 die Hälfte ihrer Wählerschaft verloren und das vor dem Hintergrund, dass sie zweimal den Kanzler stellte, zweimal der Juniorpartner in einer unionsgeführten Regierung war und einmal in die Opposition ging. Es ist also eine Existenzfrage, dass sich die SPD programmatisch erneuert, anderenfalls droht ihr das gleiche Schicksal wie den Sozialisten in Frankreich. Ob Schulz dafür der richtige Mann ist, wage ich bezweifeln. Derzeit zeichnet sich aber niemand ab, der in Lage ist und auch bereit wäre, Schulz zu folgen. Die SPD hat also nicht nur ein inhaltliches Problem, sondern auch ein personelles. Das war schon einmal der Fall, nur da folgte auf Scharping der SPD-Vorsitzende Lafontaine.

In dieser Gemengelage hat also die SPD auch kein Interesse daran, Neuwahlen anzustreben. Interesse an Neuwahlen hat ausschließlich die AfD, weil sie darauf hofft, nochmals zuzulegen.

Die Reformkräfte in der SPD brauchen Zeit für die Erneuerung, die sich nicht haben und die neoliberalen Kräfte rund um den Seeheimer Kreis wissen das ganz genau und streben deshalb eine große Koalition an, weil sie der Überzeugung sind, dass die SPD programmatisch auf dem richtigen Weg ist, es fehlen nur die richtigen Führungsfiguren.

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