Macht der Zahlen - (Ohn)Macht der Politik

Corona Heute blicken wir auf die aktuellen Ereignisse der Corona-Krise, die uns noch lange beschäftigen wird.

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Chronik der Ereignisse in den Monaten Januar und Februar 2020 (sehr transparent zusammengetragen von Jens Berger von den Nachdenkseiten).

  • Am 09.01 berichtet der Spiegel erstmals von einer mysteriösen Lungenkrankheit, die laut WHO im chinesischen Wuhan ausgebrochen ist und die mit dem Erkrankungsbild von Sars und Mers vergleichbar ist. Darauf reagieren die Staaten Hongkong, Taiwan, Thailand, Südkorea, Philippinen mit Quarantänemaßnahmen und Kontrollen an den Flughäfen.
  • In dem Zeitraum 19-23. Januar besucht eine chinesische Mitarbeiterin des Unternehmens Webasto in Stockdorf (Bayern) die dortige Zentrale und nimmt an einem Seminar in Kaufering (bei Landsberg) teil. Dort zeigen sich bei ihr erste Krankheitssymptome und sie fliegt am 23.01 zurück nach Shanghai. Im Flugzeug infiziert sie keine weiteren Fluggäste.
  • Am 21.01 schätzt die Bundesregierung, beraten durch das Robert Koch Institut (RKI) die Gefahr als sehr gering ein. Prof. Drosten von der Charité in Berlin sieht dies anders und rät dazu, dass sich die Kliniken auf einen epidemischen Verlauf einstellen sollen. Wochen später rollt die erste Welle an Erkrankten auf die Krankenhäuser zu und es ist von Versorgungengpässen bei der Schutzausrüstung die Rede.
  • Am 23.01 riegelt China Wuhan ab (keiner kann rein, keiner kann raus bis auf die diverse Versorgungsmaßnahmen) und schickt 5 Millionen Menschen in Quarantäne. Gesundheitsminister Jens Spahn sieht eher einen milden Verlauf der Infektion und warnt vor „unnötigem Alarmismus“. Die Meinung Spahns wird von diversen Experten untermauert.
  • Am 25.01. meldet die FAZ „Warum Deutsche keine Angst vor dem Corona-Virus haben müssen und die SZ titelt „Experte: kein Grund zur Corona-Panik – auch auf Reisen -
  • Am 25.01 werden die ersten Fälle in Frankreich gemeldet.
  • Am 27.01 schätzt Prof. Wieler vom RKI die Gefahr als gering ein.
  • Am 28.01. erfahren die deutschen Behörden von ihren Kollegen in China, dass die chinesische Mitarbeiterin von Webasto an Covid 19 erkrankt ist. Behörden und Ärzte wie auch das RKI schätzen die Gefahr weiterhin als gering ein.
  • Am 29.01. streicht die Lufthansa sämtliche Flüge nach China. Die Virologin Ulrike Protzer vom Klinikum rechts der Isar in München, Chefberaterin von MP Söder, sieht keine größere Gefahr als bei einer herkömmlichen Grippewelle. Eine großflächige Ausbreitung des Virus hält sie für nahezu unwahrscheinlich.
  • Am 30.01. erklärt die WHO den Gesundheitsnotstand. Jens Spahn erklärte, dass unser Gesundheitssystem gut vorbereitet sei. Die TV Medien (Monitor) beschwichtigen weiter.
  • Am 03.02. setzt sich die „Hofberichterstattung“ von ARD und ZDF fort: „Das Virus ist relativ harmlos“
  • Am 05.02. sieht hat das Ifo-Institut kaum wirtschaftliche Folgen.
  • Am 06.02. zitiert die SZ den Experten Clemens Wendtner, der keine vergleichbare Ausbreitung des Virus wie in China sieht.
  • Am 07.02. meldet auch die WHO, dass es zu einer weltweiten Verknappung der Schutzausrüstung für das medizinische Personal kommen wird. Die Bundesregierung reagiert auf diese Warnung erst einen Monat später.
  • Am 09.02 schickt China tausende von Medizinern nach Wuhan und verstärkt seine rigiden Schutzmaßnahmen auf den Rest des Landes.
  • Am 12.02. merkt auch das RKI, dass die Lage langsam ernst wird. Jens Spahn lehnt weiterhin Kotrollen an den Flughäfen ab.
  • Am 14.02 sieht Experte Oliver Witzke von Klinikum Essen kein relevantes Risiko, sich mit dem Virus anzustecken.
  • Am 15.02. findet in der Gemeinde Gangelt im Kreis Heinsberg eine Karnevalssitzung statt, wo ein Infizierter eine Vielzahl anderer Personen ansteckt. Die Gefahr wurde aber nicht erkannt, weil der Infizierte zunächst nach Hause geschickt wurde. Erst am Rosenmontag wurde er auf Covid 19 getestet und selbst zu diesem Zeitpunkt wurde das Ergebnis erst später verkündet. Gangelt wurde dann anschließend zum Hochrisikogebiet erklärt.
  • Am 23.02 riegelt Italien die ersten Städte ab.
  • Am 24.02 finden die Rosenmontagszüge ganz normal statt.
  • Am 25.02 werden die ersten Covid 19 Fälle in NRW und BW gemeldet.
  • Am 26.02. verkündet Spahn: „Wir befinden uns am Anfang einer Corona-Epidemie“
  • Am 27.02 erklären Experten wie der Virologe Schmidt-Chanasit in n-tv, dass die Covid 19 Erkrankung im Regelfall wie ein leichter Schnupfen verläuft.
    Deutschland hat lt. offizielle Erklärung 10 bestätigte Covid 19 Fälle und wechselt in die exponentielle Phase.

Zwischenfazit

  • Es lässt sich feststellen, dass während der Monate Januar (ab dem 09.01) und Februar von den politisch Agierenden, den Experten und den Medien eine Verharmlosung der Epidemie betrieben wurde, obwohl die Faktenlage mehr als eindeutig war.

Chronik der Ereignisse im Monat März 2020 (Zusammenfassung)

  • 09.03: Spahn empfiehlt Veranstaltungen ab 1.000 Teilnehmer abzusagen. Die meisten Veranstalter halten sich daran.
  • 16.03: BKin Merkel kündigt weitere einschneidende Maßnahmen (Lock-Down) an. Die Schulen und Kitas werden geschlossen.
  • 23.03: Der Lock-down, d.h. das Herunterfahren des öffentlichen Lebens, verbunden mit einer Ausgangsbeschränkung im persönlichen Bereich tritt bundesweit in Kraft, in Bayern schon 3 Tage früher.

Die Macht der Zahlen

  • In der Anfangsphase der Epidemie ab März wurde davon gesprochen, die Epidemie einzudämmen, um insbesondere die medizinischen Kapazitäten nicht zu überfordern. Ein nachvollziehbarer Gedanke, der vor dem Hintergrund der Ereignisse in Italien gefasst wurde. Insofern betrachtet man die Zahl der Neuinfektionen zum Vortag. Stieg diese Zahl stärker an als am Vortag, war dies natürlich besorgniserregend.
  • Dann erfolgte die Nennung von so genannten Verdopplungszahlen, also in welchem Zeitraum sich die Zahl der Infizierten verdoppelt. Diese Zahl erhält man, wenn man den Logarithmus einer Exponentialgleichung nach n auflöst. Beide Werte sind im Übrigen nur 2 Seiten der gleichen Medaille. Aus dem prozentualen Zuwachs kann problemlos errechnet werden, wann die Verdopplung eintritt. Bei einem prozentualen Zuwachs von z. B. 5% sind das ca. 14,2 Tage, bei 10% ca. 7,3 Tage. Nun ist es so, dass der Prozentwert der Zuwachsrate jeden Tag einen anderen Wert annimmt und somit jeden Tag eine andere Verdopplungsquote ermittelt werden kann.
  • Bundeskanzlerin Merkel, die ja als Physikerin mit Zahlen etwas anfangen sollte, erklärte damals, dass vor Erreichen einer Verdopplungszahl von 10 Tagen gar nicht über evtl. Lockerungsmaßnahmen geredet werden darf.
  • Als sich die Verdopplungszahl dem Wert 20 näherte, kam eine neue Zahl auf und zwar die Reproduktionszahl R. Nun muss man wissen, das R(0) die Basisreproduktion darstellt, die für jedes Virus unterschiedlich ist. Beim SARS-CoV-2 Virus ging das RKI von dem Wert 3 aus, also ein Infizierter steckt 3 weitere an, wenn nichts dagegen unternommen wird, um die Weiterinfektion zu stoppen (einzudämmen). Hieraus errechnet sich dann die Herdenimmunität von 2/3, d.h. 2/3 der Bevölkerung müssen mit dem Virus infiziert bzw. geimpft sein, damit die Epidemie zum Stillstand kommt. Umgerechnet auf Deutschland würde dies ca. 55 Millionen Bürger bedeuten.
  • In der „Modellierung von Beispielszenarien der SARS-CoV-2 Epidemie 2020 in Deutschland“ vom 20.03. 2020 ging das RKI von einer Basisreproduktion von 2 aus. Diese Modellierung wird uns noch weiter beschäftigen, weil dieses Papier des RKI das entscheidende Dokument für die Entscheidungsträger der Bundesregierung sowie der Länderregierungen war, für den 23.03. einen Lock-Down zu verkünden.
  • Wie errechnet sich die (dynamische) Reproduktionszahl R, die jeden Tag neu ermittelt wird und die in einem Chart letzte Woche aufgetaucht ist, wonach R bereits am 20.03 bei unter 1 lag und sich dann in der Folgezeit an der Linie 1 entlangbewegt hat. Hierzu gibt es ein Papier des RKI „Schätzung der aktuellen Entwicklung der SARS-CoV-2 Epidemie in Deutschland - Nowcasting“, aus dem folgendes hervorgeht:
    • Im Mittel wird davon ausgegangen, dass zwischen der Ansteckung und dem Beginn der ersten Symptome 5 Tage vergehen.
    • Die Generationszeit, also die Zeitspanne von der Infektion bis zur Infektion der angesteckten Folgefälle beträgt 4 Tage, weil die Infektiosität zu Beginn der Infektion besonders hoch ist und sich die infizierte Person vor dem Symptombeginn nicht darüber bewusst ist, dass sie bereits andere anstecken kann.
    • D.h., wenn jeder Fall im Durchschnitt 2 Folgefälle (R=2) ansteckt, dann verdoppelt sich die Anzahl jeweils nach einer Generationszeit (4 Tage), wohingegen bei R = 0,5 sich die Zahl der Neuinfektionen im gleichen Zeitraum halbiert.
    • Konkret ermittelt sich dann die Reproduktionszahl wie folgt: Es wird rückwirkend ein Zeitraum von 8 Tagen definiert. Dann werden die Neuinfizierten für die Tage 1-4 addiert, das Gleiche erfolgt mit den Neuinfizierten der Tage 5-8. Anschließend werden die kumulierten Zahlen des Zeitraums 5-8 durch die kumulierten Zahlen des Zeitraums 1-4 dividiert. Das Ergebnis ist dann entweder = 1, größer 1 oder kleiner 1.
    • Wer nun aber glaubt, es muss nur die Zahl der Neuinfizierten laut der Veröffentlichung des RKI herangezogen werden, der irrt. Dem RKI werden täglich die Zahl der Neuerkrankten von den Gesundheitsämtern gemeldet. Nachdem es aber auch Fälle mit einem asymptomatischen Verlauf gibt, d.h. sie erkranken nicht, obwohl sie infiziert sind, wird diese Zahl imputiert, d.h. ihnen wird künstlich ein Erkrankungsbeginn zugeordnet. Dem aber nicht genug. Es erfolgt eine weitere Schätzung durch das Nowcasting-Verfahren. In diesem Verfahren werden die Erkrankungsfälle ermittelt, die aufgrund von Diagnose- Melde- und Übermittlungsverzügen entstehen. Im Prinzip entsteht somit ein neues Chart von Neuinfizierten, das in Abhängigkeit zum Erkrankungsbeginn aufgestellt wird. Diese Zahl entzieht sich jedoch meiner Kenntnis, weil sie aus dem o.g. Papier nur schemenhaft hervorgeht.

Fazit

  • Am 20.03 haben die politische Agierenden den Lock-down beschlossen. Ausgangspunkt war das Papier des RKI mit dem Titel „Modellierung von Beispielszenarien der SARS-CoV-2 Epidemie 2020 in Deutschland“. In dem Papier wurden verschiedene Szenarien durchgespielt, die u.a. eine Vorhersage der Zahl der Infizierten, der Zahl der isolierten Erkrankten sowie die Zahl der erforderlichen Krankenhausbetten unter verschiedenen Kriterien wie Saisonalität und Immunität darstellen. Diese Zahlen lösten einen Schock bei den politisch Verantwortlichen aus, mit der Konsequenz, dass ein massiver Lock-down beschlossen wurde, um in jedem Fall die Krankenhauskapazitäten nicht zu überfordern. Dabei haben die Bilder aus Italien mit Sicherheit eine entscheidende Rolle gespielt. In diesem Zusammenhang war es den Entscheidungsträgern völlig egal, welche Maßnahme im Einzelfall wirksamer ist als eine andere.
  • Richtig ist aber auch, dass die staatlichen Stellen aufgrund der erheblichen Versäumnisse in den Monaten Januar und Februar den Versuch unternommen haben, das in diesen Monaten Versäumte ab Mitte März mit teilweise brachialen Mitteln wieder einzufangen.
  • Wie man aus diesem Lock-down wieder herauskommt, wurde an diesem Tag mit Sicherheit nicht besprochen.
  • In der Folge wurden dann immer wieder neue Kennzahlen verkündet, die den Eindruck vermitteln sollten, dass es aufwärts geht, wohl wissend, dass beispielsweise die Zahl der Neuinfizierten gar nicht stimmt, da nur diejenigen als infiziert gelten, die vorher getestet wurden.
  • Mit der Studie von Prof. Streek kam erstmals Bewegung in die Debatte. Er zusammen mit seinem Team stellte fest, dass die Sterberate in Gangelt bei 0,37% lag. Hochgerechnet auf die Gesamtbevölkerung müsste somit die Zahl der Infizierten in Deutschland bei ca. 1,4 Mio. Personen liegen, weil sich die Sterblichkeit im LK Heinsberg nicht von der Sterblichkeit im gesamten Bundesgebiet unterscheidet, immer vorausgesetzt, alle Schwer- und Schwersterkrankte können adäquat behandelt werden. Tatsächlich lag die Zahl der Infizierten Stand 23.04. bei 154.200.
  • Was m.E. in der Betrachtung völlig fehlt, ist die Gesamtzahl der Genesenen, die mit großer Wahrscheinlichkeit eine Immunität ausgebildet haben und somit keine weiteren Personen anstecken können.
  • Man schaut wie das Kaninchen auf die Schlange nur auf die Zahl der bestätigten Neuinfizierten und leitet aus dieser Zahl die weiteren Entscheidungen ab.
  • Der Gipfel ist dann die Zahl R, die sich ebenfalls nur auf die Zahl der Neuinfizierten bezieht. Unter 1 gut, über 1 schlecht. Dabei wird völlig übersehen, dass es zu so genannten Hotspots kommen kann, bei denen ein Infizierter leicht über 100 Personen infizieren kann.
  • Ungeachtet dessen, muss doch die Frage beantwortet werden, wie es wirtschaftlich weitergeht. Die jetzt noch anhaltenden Maßnahmen können doch schwerlich fortgesetzt werden. Nachdem aber die politisch Verantwortlichen nicht wissen, welche Maßnahme wie wirkt, gehen sie jetzt den Weg einer schrittweisen Lockerung. Was aber passiert, wenn eine Lockerung wieder aufgehoben werden soll, hat niemand auf dem Schirm.
  • Aber nach der Theorie von Herrn Lauterbach und des RKI muss die Zahl der Neuinfizierten auf ca. 200-300 Personen gesenkt werden, damit eine Nachverfolgung der Infizierten ermöglicht wird, selbstverständlich nur dann, wenn eine App zu Verfügung steht und die Zahl der Tests auf knapp 1 Mio. pro Woche hochgefahren wird. Dann wäre das Virus sozusagen ausgetrocknet und die so genannte Herdenimmunität nicht mehr relevant. Auf diesem Level könnte man dann abwarten, bis ein Impfstoff zur Verfügung steht, der aber lt. Herrn Lauterbach nicht vor dem Jahr 2022 massenimpftauglich wäre. Dabei wird völlig übersehen, dass Deutschland von seinen Außenkontakten lebt und Containment-Maßnahmen a la China nicht durchsetzbar sind. Wenn das die Exit-Strategie sein soll, dann gute Nacht Deutschland.
  • Was ist eigentlich mit dem schwedischen Modell? Sind wir so borniert, dass wir nicht einmal in der Lage sind andere Vorgehensweisen zu hinterfragen? Stattdessen werden alle Hebel in Bewegung gesetzt die schwedische Vorgehensweise in Misskredit zu bringen. Im Übrigen: auch in Schweden gibt es Hygiene- und Abstandsregeln, auch in Schweden sind die Universitäten geschlossen, gibt es ein Besuchsverbot für Alten- und Pflegeheime und ein Veranstaltungsverbot ab 50 Personen. Aber Schweden setzt überwiegend auf Freiwilligkeit und erklärt nicht von vorneherein die Bürger als unmündig, sondern appelliert an deren Eigenverantwortung.
  • Was ist eigentlich mit der viel beschworenen Solidarität in Europa. Deutschland verweigert den besonders betroffenen Staaten Corona Bonds. Spätestens dann, wenn Herr Salvini in Italien wieder das Sagen hat, werden wir merken, was die deutsche Regierung mit ihrer restriktiven Position angerichtet hat.
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