SPD – eine Standortbestimmung

Regierungsbildung Am Mittwoch haben die Gespräche zwischen der SPD und der Union begonnen. Während die Union auf die erneute Auflage der GroKo setzt, hat die SPD Orientierungsprobleme.

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Die SPD hat seit 1998 die Hälfte ihrer Wählerschaft verloren
Die SPD hat seit 1998 die Hälfte ihrer Wählerschaft verloren

Foto: Tobias Schwarz/AFP/Getty Images

Ausgangslage

Nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen hatte es die SPD eilig zu verkünden, auch in dieser Situation nicht für eine große Koalition zur Verfügung zu stehen. Das, so verkündete es SPD-Parteichef Schulz, sei der einstimmige Beschluss des Parteivortandes.

Daraufhin kam Bundespräsident Steinmeier ins Spiel, der partout nicht einsehen wollte, warum ausgerechnet Neuwahlen die beste Lösung sein sollten, um die vertrackte Situation zu bereinigen, zumal das Grundgesetz strikte Vorgaben für Neuwahlen vorsieht. Welche Motivationslage jedoch Steinmeier dazu veranlasst hat, die SPD-Führungsspitze dazu zu drängen, Gespräche mit der Union aufzunehmen, ist zumindest offen. Kein offenes Geheimnis ist aber, dass Steinmeier Anhänger der neoliberalen Denkrichtung innerhalb der SPD ist und obwohl seine Parteimitgliedschaft ruht, ist schwer vorstellbar, dass Steinmeier seine Grundpositionen geändert hat. Aber schließlich ist ja die staatspolitische Verantwortung eines Bundespräsidenten ein schlagendes Argument dafür, zunächst einmal auszuloten, ob es mit der GroKo noch einmal funktionieren könnte oder ob evtl. die von der geschäftführenden Bundeskanzlerin Merkel nicht favorisierte Minderheitsregierung in Frage kommt.

Erneuerung der SPD??

Jetzt ist es ja so, dass die Union nach außen den Anschein zu erwecken versucht, dass deren Wahlergebnis im September diesen Jahres zwar unangenehm, gleichzeitig aber keinen Weltuntergang bedeutet. Merkel betonte auch sofort, dass ihr auf Anhieb nichts einfallen würde, was sie hätte besser machen können. Der Regierungsauftrag liegt jetzt eindeutig bei der Union und man müsse für stabile Verhältnisse sorgen und die wären nun mal – nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen – nur in einer großen Koalition (die so ganz nebenbei gesprochen keine mehr ist) möglich. So etwas nennt man auch „Business as usual“.

Die SPD war durch das Wahlergebnis mehr geschockt als die Union, obwohl sie doch prozentual betrachtet weniger als die Union verloren hatte. Die SPD hat jetzt noch einen Stimmenanteil von 20,5% und hat seit der Bundestagswahl 1998 ca. die Hälfte ihrer Wählerschaft verloren. Der Anspruch, eine Volkspartei zu sein, ist weg. Im Osten ist die SPD in weiten Teilen drittstärkste Kraft und teilweise nur einstellig. Das schmerzt.

Die SPD befindet sich in einer Sinnkrise. Seit 2005 war die SPD zweimal der Juniorpartner in einer Groko und einmal in der Opposition. Sie hat nacheinander alle ihre Kanzlerkandidaten verschlissen, ungeachtet der Frage, wo die Kandidaten politisch verortet waren.

Jetzt könnte man vermuten, dass es gar nicht an der Form der Regierungsbeteiligung lag, warum die SPD immer weiter an Boden verloren hat, sondern an ihrer programmatischen Ausrichtung. Das bringen auch einige Parteilinken zum Ausdruck, die vehement eine Abkehr vom neoliberalen Kurs der Partei fordern. Das Forum demokratische Linke (DL 21) mit ihren Protagonisten Hilde Mattheis und Knut Lambertin, ergänzt um Personen wie Matthias Miersch, aber auch MDB`s wie Marco Bülow sowie Mitglieder der Grundwertekommission, fordern eine rigorose Abkehr von der Agenda 2010-Politik, die in der Schröder-Ära zum Postulat erhoben wurde, und die seitdem vom Seeheimer Kreis wie eine Monstranz vor sich hergetragen wird. Die SPD ist also in dieser Frage zutiefst gespalten und die Parteiführung, die eindeutig neoliberal dominiert wird, konnte die Diskussion um eine Erneuerung der Partei immer unter der Decke halten, weil machtpolitische Fragestellungen stets im Vordergrund standen.

An dieser Grundposition änderte sich auch nichts während der Oppositionszeit von 2009-2013 und als die GroKo ab 2013 wiederbelebt wurde, hatte selbst die Mitgliederbefragung eine Dreiviertmehrheit zugunsten der GroKo erbracht. Gabriel konnte damals die SPD-Mitglieder davon überzeugen, dass genügend sozialdemokratische Positionen im Koalitionsvertrag durchgesetzt werden konnten. Die Sensibilisierung für eine grundlegende Erneuerung der SPD war also auch in der Mitgliedschaft nicht vorhanden. Wie die Wählerschaft der SPD darüber denkt, spielte keine entscheidende Rolle.

Und auch jetzt hat die SPD nicht die richtigen Schlüsse aus der Wahlniederlage gezogen, sondern versucht das Wahldebakel auf die GroKo zu schieben, in der es der SPD nicht gelungen sei, ihre doch hervorragende Regierungsarbeit so zu präsentieren, dass es auch vom Wähler honoriert wird. Als Ablenkungsmanöver wurde zudem der Regierungsstil von Bundeskanzlerin Merkel ausgemacht, die wie eine Gummiwand reagiert und auf Kosten der SPD deren Positionen für die CDU/CSU reklamiert.

Kein Wort darüber, ob nicht etwa der neoliberale Kurs für das schlechte Abschneiden in der Bundestagswahl entscheidend sein könnte und natürlich wurde unter vorgehaltener Hand auch der Kanzlerkandidat Schulz für das Wahldebakel verantwortlich gemacht.

Wenn ich mir Schulz genauer betrachte, erscheint er mir als ehrlicher Mensch, einer der es von ganz unten nach oben geschafft hat, eine geradezu vorbildliche SPD-Karriere, rhetorisch geschickt und emotional keineswegs unterbelichtet.

Im Grunde genommen – und das mag jetzt hart klingen – hat Schulz aber nicht die Fähigkeiten, der SPD eine neue Richtung zu geben. Er verstrickt sich allzu gern in Widersprüche, vor allem dann, wenn er unter Druck gerät. Er verfügt nicht über den intellektuellen Unterbau, volks- und betriebswirtschaftliche Zusammenhänge, die aufgrund der Globalisierung zu dem heute real existierenden Neoliberalismus geführt haben, in eine neue Programmatik der SPD zu überführen. Er greift zwar einzelne Punkte auf, kippt aber sofort wieder weg, wenn er präziser werden soll. Kurzum: er hat kein Konzept für eine programmatische Erneuerung der Partei und „strebt deshalb gar nichts an“.

Fast könnte er einem leidtun, aber eben nur fast. Er ist wie eine Kerze im Wind, das heftig flackert und nur darauf wartet, bis das Licht ganz erlischt. Zum wirtschaftlichen Aspekt zitiere ich Heiner Flassbeck:

„Das ist die Schicksalsfrage der Sozialdemokratie. Mit Weil sind große Teile der SPD überzeugt davon, dass es einen Gegensatz zwischen einer vernünftigen Verteilung des gesamtwirtschaftlichen Einkommens und dem Erwirtschaften dieses Einkommens gibt. Was nichts Anderes heißt, als dass sie glauben, man könne nur mit Hungerlöhnen wirklich etwas erwirtschaften. Die Aufgabe der Sozialdemokraten wäre es dann nur noch, nach dem Erwirtschaften dafür zu sorgen, dass die Verteilung leicht korrigiert wird. Das aber ist schlicht falsch.“

Der SPD-Parteitag

Die SPD hat laut der Wahlanalyse in nahezu allen relevanten Zielgruppen einen Stimmenanteil von gut 20%, so die Aussage von Schulz. Das stimmt nur bedingt. Die SPD liegt im Norden Deutschlands deutlich über dem Bundesdurchschnitt, im Süden und vor allem im Osten Deutschlands deutlich darunter.

Im SPD-Parteitag zeigte sich die ganze Zerrissenheit der Partei. Schulz wurde zwar mit ca. 82% wiedergewählt, in Anbetracht der Tatsache, dass er keinen Gegenkandidaten hatte, ein denkbar schlechtes Ergebnis. Nicht zu vergessen, Schulz kommt von 100%, was wiederum zeigt, wie verzweifelt diese Partei bei seiner damaligen Nominierung schon sein musste.

Der Partei fehlt es an jeglicher Orientierung. Jetzt wurde ja von Schulz in seiner Grundsatzrede der europäische Gedanke aufgegriffen. Schulz malt sogar die Vision der „Vereinigten Staaten von Europa“ an die Wand, weil die Problemstellungen nur europäisch und eben nicht national gelöst werden können. Schulz macht also einen auf Macron, der ja mit seinen Vorschlägen zur Reform der EU in aller Munde ist.

Mit Verlaub: Nur wer in der Lage ist, die nationalen Problemstellungen zu lösen, die in weiten Teilen unabhängig von den europäischen Fragstellungen sind, dem traut man auch zu, die nächste Ebene zu erreichen. Schulz kommt mir so vor wie ein Hochspringer, der zweimal an der 1,80 m Höhe scheitert, um dann beim letzten Versuch die 2,30 m überspringen zu wollen.

Bei den Parteidelegierten herrscht mehrheitlich ein tiefes Misstrauen gegenüber dem Parteivorstand. Jeder Schritt muss vorher abgestimmt werden und am Ende soll die Parteibasis entscheiden. Wenn dann am Ende eine GroKo herauskommt, dann hat ja die Parteibasis zugestimmt. Mit anderen Worten, wer seinen eigenen Untergang beschließt, der ist letztendlich selbst schuld. Fest steht dann nur, dass einige Spitzenfunktionäre ihr Schäfchen ins Trockene gebracht haben.

Die Struktur folgt der Strategie und nicht umgekehrt

Auf dem Parteitag wurde sehr viel über organisatorische Maßnahmen gesprochen. Der neue Generalsekretär Klingbeil steht sinnbildlich für diese Neuausrichtung. SPD++ lässt grüßen. Die digitalen Möglichkeiten sollen besser genutzt werden.

Alles schön und gut. Nur ohne eine grundlegende strategische Neuausrichtung bringen diese organisatorischen Maßnahmen überhaupt nichts.

Vielleicht hilft ein Blick zurück in die Zeit, in der SPD noch stark war. Es waren die klassischen Industriearbeiter und Angestellten, die das Rückgrat der SPD bildeten. Diese Zielgruppe hat sich aber über die Jahrzehnte drastisch reduziert. Heute spricht man vom so genannten Dienstleistungsprekariat, von zeitlichen Befristungen, Zeit- und Leiharbeit bis hin zu Werkverträgen. Diese Zielgruppe fühlt sich im Stich gelassen und sie wählt nicht etwa die Linkspartei, sondern die Union bzw. die AfD.

Wenn also die SPD Wähler zurückgewinnen will, dann doch diese Personen, die in den letzten 20 Jahren keine Reallohnzuwächse zu verzeichnen hatten und sich mit anschauen mussten, wie die reichsten 10% der Bevölkerung immer reicher wurden. Wenn man sich um diese Zielgruppe ernsthaft bemüht, dann entsteht auch nicht der Eindruck, dass die Flüchtlinge über Gebühr bevorzugt werden.

Daran anschließend ergeben sich folgende Fragestellungen:

• Was bringt der Mindestlohn, wenn ein Gehalt für die Miete draufgeht?

• Was bringt ein Gehalt von 2.500 € brutto, wenn ich dann im Alter unter der Armutsgrenze leben muss?

• Was bringt mir die Riester-Rente, wenn ich dafür kein Geld zu Verfügung habe oder 100 Jahre alt werden muss, bis die Rückflüsse mein eingezahltes Kapital erreichen?

• Warum soll ich brav Steuern zahlen, wenn Unternehmen und Superreiche ihre Gewinne und ihr Vermögen in Steueroasen bringen und praktisch keine Steuern zahlen?

• Wer setzt den Großkonzernen so enge Grenzen, dass diese sich nicht aus der Verantwortung stehlen können und selbst bei einer guten Auftragslage sich aus strukturschwachen Gebieten zurückziehen können, weil die Aktionärsrendite Vorrang hat?

u.v.m.

Fazit

Aus meiner Sicht sind nur die Optionen Neuwahlen oder GroKo realistisch. Merkel ist nicht so dumm, eine Minderheitsregierung anzuführen, in der sie systematisch zerrieben wird, auch von ihren eigenen Leuten. Die SPD hat sich machttaktisch betrachtet in eine ausweglose Situation gebracht. Verweigert sie die GroKo, dann riskiert sie Neuwahlen mit einem höchst ungewissen Ausgang. Geht sie in die GroKo, ist ein Erneuerungskurs nur sehr schwer vorstellbar und die Quittung kommt spätestens in 2021. Neuwahlen sind m.E. die bessere Option, weil ich dem Juso-Vorsitzenden Kühnert Recht geben muss, dass eine wirkliche Erneuerung nur außerhalb der GroKo möglich ist. Die SPD muss sich verabschieden vom dem „ein bisschen“

• ein bisschen mehr Mindestlohn

• ein bisschen mehr Rente

• ein bisschen weniger Flexibilisierung bei Arbeitsverträgen

• ein bisschen weniger Privatisierung

Die inhaltliche Erneuerung der SPD kann m.E. nur mit Personen erfolgen, die eine wirkliche Kehrtwende anstreben. Eigentlich wäre dies die Stunde von neuen Gesichtern, die im Parteiapparat zwar verankert sind, sich aber gedanklich von der neoliberalen Grundidee verabschiedet haben. Vom Alter würde ich es generell nicht abhängig machen, jedoch könnten ein paar junge und frische Gesichter nicht schaden.

„ Wer mit dem Rücken zur Wand steht, kann sich nur noch nach vorne verteidigen“ oder kurz gesagt „Vorwärts“.

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