Sie hätten Klartext reden können, die Dinge beim Namen nennen können, politische Prinzipientreue demonstrieren können und mutig die Leitlinien der deutschen Außenpolitik neu bestimmen können.All das ist nicht passiert. Im Zusammenhang mit der politischen Krise in Bolivien um die Wiederwahl von Präsident Evo Morales am 20. Oktober dieses Jahres duckten Sie sich weg – kein Wort zu der offenen Gewalt der Oppositionsanhänger und ihrer Anführer aus dem ultrarechten Lager. Auch als sich die Lage weiter zuspitzt, es Tote und Verletzte gibt, die Schlägertrupps und Rollkommandos der faschistischen Unión Juvenil Cruceñista unverhohlen Jagd auf Funktionäre der regierenden MAS-Partei machen, deren Wohnhäuser in Flammen aufgehen und sich die rassistischen Übergriffe der von Carlos Mesa dirigierten „Opposition“ sich ungehindert Bahn brechen, als die Menschenrechte der Opfer dieser Hetzjagden fundamental verletzt werden, sie geschlagen, getreten und öffentlich gedemütigt werden – kein Ton aus dem Auswärtigen Amt. Nicht einmal ansatzweise signalisieren sie diplomatische Unterstützung bei dem Versuch des amtierenden Präsidenten Evo Morales, weitere Opfer zu vermeiden und die Ergebnisse der Wahlprüfung durch die OAS (Organisation Amerikanischer Staaten) abzuwarten. Keine Hilfe aus Berlin, als Morales noch einen Schritt weitergeht und Neuwahlen zusagt. Kein Telefonat mit ihrem bolivianischen Amtskollegen Diego Pary, den Sie noch am 28. Mai 2019 im Rahmen der Lateinamerika-Konferenz in das Auswärtige Amt nach Berlin eingeladen haben. Und als der Staatsstreich schließlich gelingt und Morales – um sein Leben fürchtend – Hals über Kopf in das mexikanische Asyl flüchten muss, nachdem also vollendete Tatsachen geschaffen worden waren, da überlassen Sie es dem Regierungssprecher Seibert und einem ihm beigeordneten Sprecher ihres Ministeriums, von einem „Rücktritt“ Morales‘ und nicht von einem Putsch zu sprechen. Wenn es noch irgendeines Beweises bedurft hätte, dass die deutsche Außenpolitik in ihrer moralischen Verkommenheit nur mehr Machtpolitik ist, und Werte wie Demokratie und Menschenrechte missachtet, dann ist er hiermit erbracht worden. Aber keine Sorge, Sie befinden sich ja in guter Gesellschaft. Auch die Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, Federica Mogherini, spricht in ihrer Erklärung zu den Vorgängen in Bolivien weder von Putsch noch von einem Bruch der institutionellen Ordnung. Nur einmal waren Sie, Herr Maas, schneller als der Rest Europas, als Sie sich vor wenigen Monaten als erster EU-Vertreter mit dem brasilianischen Präsidenten Bolsonaro trafen, der keinen Hehl daraus macht, ein Rassist, Frauenhasser und Anhänger der Lynchjustiz zu sein. Dass Sie durchaus in der Lage sind, Prioritäten zu setzen, haben Sie auch bewiesen, als Sie vor dem Hintergrund der anhaltenden innenpolitischen Spannungen in Chile am Dienstag dieser Woche mit Ihrem chilenischen Amtskollegen Ribera telefoniert und versichert haben, dass „Deutschland auch in schwierigen Zeiten an der Seite Chiles steht“ – an der Seite einer Regierung, die Militär und Polizei auf das eigene Volk schießen lässt. Ein ernst gemeinter Rat meinerseits: Stehen Sie doch einfach dazu, sagen Sie es klar und deutlich. In Bolivien lagern die weltgrößten Vorräte an Lithium, dem wichtigsten Bestandteil aufladbarer Hochleistungsbatterien zum Betrieb von E-Autos. Die Ausbeutung dieses Rohstoffs geht höchstwahrscheinlich leichter von der Hand, wenn in La Paz eine neoliberale Rechtsregierung installiert wird. Nur hören Sie auf, vollmundig von einer neuen Lateinamerika-Politik der Bundesregierung zu sprechen, die nach wie vor ausschließlich die Kapitalinteressen deutscher Großkonzerne schützt. Das einzige, was Sie dazu brauchen, ist Geradlinigkeit, Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit und Rückgrat, allerdings allesamt Eigenschaften, die sowohl im Auswärtigen Amt als auch in der Führungsriege der SPD so selten vorkommen wie Lithium in Deutschland.
Offener Brief an Heiko Maas
Putsch in Bolivien
In diesen Tagen hat sich für Sie und Ihre Partei, die SPD, die Chance ergeben, Ihr Profil zu schärfen.
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18:15 13.11.2019
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Kommentare 11
Bravo (wäre man geneigt auszurufen, wenn es nicht alles so demoralisierend traurig wäre)!
Trotzdem: richtige, wichtige Worte, die nur beim Adressaten kaum Wirkung/Eindruck erzeugen werden.
Bolivien: Ausfegen des Hinterhofes Neue Todesursache: Am Frieden sterben.
"Regierungssprecher Seibert: Der erzwungene Rücktritt von Morales sei "ein wichtiger Schritt hin zu einer friedlichen Lösung“. Der außenpolitische Sprecher der Grünen Omid Nouripour flankiert: "Das Militär habe die richtige Entscheidung getroffen sich auf die Seite der Demonstranten zu stellen."
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Die enormen Lithium Vorkommen in der Salzwüste Uyuni lassen viele ausländische, vor allem auch deutsche Interessenten hellwach werden. Nach einem weitreichenden Abkommender Regierung Morales mit einer deutschen Firma hat es gewaltige Proteste der umliegend wohnenden Indigenas gegeben, die entgegen anderer Andeutungen, leer ausgehen sollten. Morales, dessen Interpretation des nationalen Wohls keineswegs umstandslos und zwingend mit der Behebung der Armut einhergeht, sah sich schließlich gezwungen, die Proteste anzuerkennen und die Abkommen rückwirkend zu Beginn dieses Monats 11/2019 zu stoppen. Damit- eben auch mit einem bescheidenen Wohlfahrtsprogramm - verstößt Morales eklatant gegen die Interessen der weißen Oberschicht, vornehmlich der Großgrundbesitzer.
Es handelte dabei um ein Joint-Venture (abgeschlossen 12/2018) zwischen dem Staatsunternehmen YLB und der baden-württembergischen Firma ACI Systems. Pablo Solon, ehemaliger UN-Botschafter Boliviens führt an: "Das Gesetz 3738 (Basis des Vertrages)ist für Bolivien wenig vorteilhaft." Sollte man im Detail nachlesen. Zudem sei eine Gewinnabgabe für die Region, in der Lithium gewonnen wird, nicht vorgesehen. Es ist nicht bekannt, dass die Bundesregierung das armselige Dasein der Protestler um die Ortschaft Potosi herum beklagt hat. Im Gegenteil. Beklagt hat sie, dass nun einstweilen der Zugriff deutscher Firmen auf das bolivianische Lithium ausgesetzt ist..."
Eine halbe Revolution wird mit einer ganzen Konterrevolution beantwortet.
Die Indigenas werden wieder nach La Paz marschieren und die evangelen Faschisten, die die Macht an sich gerissen haben, vertreiben
Die Revolution in Bolivien wird sich radikalisieren. Der Putsch wird sich als Schuß nach hinten erweisen
No Paseran, Paseremos
Ich befürchte allerdings, solange keine potente Anzahl von Menschen, der Gewalt praktisch dort in die Quere kommt, wo sie ihren Ursprung hat, also in den Zentren des US/EU Imperialismus, bleibt das leider ein frommer Wunsch.
Ich denke, dass Ziele des "buen virir" unabhängig von Regimes weiter existieren und entwickelt werden können. Aber natürlich sind Regierungen nicht unwichtig, sie können der Zerstörung eines Landes, damit meine ich AUCH: eines lebenswerten Sozialgefüges, Vorschub leisten oder helfen, sie aufzuhalten.
Langzeitig gesehen hat der Kaputtalismus fertig. Kurzzeitig muss immer wieder mit Rückschlägen gerechnet werden, absterbende Imperien schlagen wild um sich bevor sie endgültig nicht mehr herrschen können.
"Langzeitig gesehen hat der Kaputtalismus fertig. Kurzzeitig muss immer wieder mit Rückschlägen gerechnet werden, absterbende Imperien schlagen wild um sich bevor sie endgültig nicht mehr herrschen können."
In Lateinamerika entwickelt sich langsam eine vorrevolutionäre Situation: In Chile, die Presse, auch der Freitag, berichtet nicht darüber, fordert ein Generalstreik die Einberufung einer verfassunggebenden Versammlung. Auf Haiti gibt es schon wochenlang Hungerrevolten. In Argentinien haben die Linksperonisten die Wahl gewonnen. Trotzt Wirtschaftskrieg, Ölpreisverfall und Sanktionen hält sich Venezuela tapfer, dank einer regierungstreuen Armee und den Milizen des Chavismus. In Bolivien wird sich nach dem Sturz von Evo die Revolution radikalisieren. Intigenas beginnen sich zu bewaffnen. Rufe wie"Es ist Zeit für einen Bürherkrieg" sind dort zu hören. Das Imperium ist schwach, nicht stark. Letztlich unterstützen aus geopolitischen Gründen Länder wie Russland und China die revolutionären Prozesse in Lateinamerika. Die UdSSR verweigerte Allende einen Kredit, was zu seinem Sturz beitrug...
>>Letztlich unterstützen aus geopolitischen Gründen Länder wie Russland und China die revolutionären Prozesse in Lateinamerika.<<
Was wieder zu Abhängigkeit von Imperien führt, die nicht das das Wohl der dortigen Bevölkerung als primär ansehen, auch wenn sie zur Zeit im Vergleich zu EU/USA irgendwie "sanfter" wirken.
buen vivir
Den idealen Weg gibt es nicht in dieser vom Kaputalismus beherrschten Welt, was sollen sie tun?
>>Den idealen Weg gibt es nicht in dieser vom Kaputalismus beherrschten Welt...<<
Vielleicht ist ein vorsichtiger Weg möglich.
"Vielleicht ist ein vorsichtiger Weg möglich."
Es wäre zu wünschen, aber ich weiß nicht wie. Immer wenn unsere Leute ein ganz zartes Pflänzchen der sozialen Gerechtigkeit gepflanzt hatten, wurden sie verfolgt, terrorisiert, gefoltert etc. überall in Lateinamerika.
Ich glaube auch nicht, daß sich hierzulande die Oberschicht mit dem Stimmzettel besiegen läßt. Es wird in Europa zu Aufständen wie den der Gelbwesten kommen. In der BRD wird nichts dergleichen passieren, hier wird irgantwann das Chaos regieren. Ich fürchte darauf müssen sich unsere Kinder vorbereiten, wir beide sind dann schon tot.
Der Pakt der weißen Eliten
BERLIN/SANTIAGO DE CHILE (Eigener Bericht) - Die Bundesregierung stärkt Chiles Präsident Sebastián Piñera in seinem Abwehrkampf gegen anhaltende Massenproteste den Rücken. Man teile mit Chile "grundlegende Werte", heißt es im Auswärtigen Amt; Außenminister Heiko Maas sagt seinem chilenischen Amtskollegen zu, Deutschland stehe "auch in schwierigen Zeiten an der Seite Chiles". In dem südamerikanischen Land toben seit Wochen Massenproteste, als deren eigentliche Ursache die dramatische Armut und die eklatante soziale Ungleichheit im Land gelten. Piñera, Milliardär und Angehöriger der alten Eliten, lässt die Proteste mit blutiger Gewalt durch Polizei sowie Militär niederschlagen. Die chilenischen Streitkräfte verfügen über zahlreiche Waffen aus deutscher Produktion. Piñera, mit dessen Partei Renovación Nacional die CSU-nahe Hanns-Seidel-Stiftung seit Jahren kooperiert, obwohl zu ihren Funktionären erklärte Pinochet-Anhänger zählen, stützt die alten, weißen Eliten auch in anderen Ländern Lateinamerikas - etwa in Venezuela. Berlin tut es ihm mit der Anerkennung des venezolanischen Putschisten Juán Guaidó und mit Lob für den Putsch in Bolivien gleich.