Berlinale: Den' Pobedy - Victory Day

Dokumentation Regisseur Sergei Loznitsa zeigt die Feierlichkeiten am Sowjetischen Kriegerdenkmal in Berlin: Blumenberge und Bier.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Der neue Film des in Berlin lebenden Regisseurs Sergei Loznitsa beginnt mit einem seiner stärksten Bilder: Sechs Jungen in Uniform versuchen vergebens zu marschieren. Immer wieder geraten sie aus dem Takt, erst fliegen die Arme nicht mehr gleichzeitig nach links und rechts, dann wird auch schnell das Stapfen ihrer schweren Stiefel zu polyphon. Sie geben auf, scheren aus der Reihe und organisieren sich neu. Diese Szene spielt auf maximal 20 Metern Steinplattenweg ab. Immer wieder. Auf beiden Seiten von Platanen eingesäumt, können sich die Jungen nicht entscheiden, wie ernst sie sich nehmen wollen. Sie schaffen es nicht, sich gänzlich aufs Marschieren einzulassen und genauso wenig können sie das hilflose Herumstapfen sein lassen. Und so wirkt es tragisch und komisch zugleich, wie diese jungen Männer unbeholfen zwischen den Gräbern tausender russischer Soldaten auf- und abtrampeln. Die, die links und rechts begraben liegen, waren, als der Krieg begann, der sie das Leben kostete, oft nicht viel älter als die, die da heute in Uniform neben ihren Gräbern umherstiefeln.

Diese Szene fängt viel von der Absurdität aber auch von der Notwendigkeit ein, die hinter dem Gedenken steckt, das der in der Sowjetunion aufgewachsene Regisseur Sergei Loznitsa mit seinem neuesten Film „Den' Pobedy – Victory Day“ dokumentiert. Jedes Jahr am 9. Mai treffen sich hunderte Menschen am Sowjetischen Kriegerdenkmal im Treptower Park in Berlin um den Sieg der Roten Armee über den Faschismus zu feiern. Und Loznitsa zeigt sie alle: Menschen in Uniform, in Zivil, in Tracht. Biker, Punks, Kinder. Es herrscht Anarchie in dem Sinne, als dass es keine übergeordnete Instanz gibt, die die Feierlichkeiten organisiert, sie aber dennoch organisiert sind. Es redet, wer reden mag, es singt, wer singen mag. Eine Prozession bildet sich, alle scheinen es zu wissen, aber niemand führt sie an. Ein älterer Herr spielt Akkordeon umringt von Frauen mit Liedzetteln, die voller Inbrunst singen: „… hoffentlich wirst du siegen/ dann kommst du zurück/ zurück nach Hause“. An den Statuen werden Blumen und Kränze abgelegt, Bilder von Großvätern gezeigt und Flaggen geschwenkt, auf den Steinbänken wird gepicknickt, Wodka getrunken, gesungen und getanzt. „Den Pobedy“ zeigt Kirche und Kirmes, Blumenberge und Biere, andächtige Stille und lautes Hurra.

Der Film kann das nur so nebeneinanderstellen, weil er sich selbst komplett in den Hintergrund stellt. Der Zuschauer ist immerzu so sehr mitten im Geschehen, dass es teilweise schmerzt. Der Regisseur hilft dem Zuschauer beim Einordnen und Verstehen der Bilder kaum. Er kann das auch nicht. Sergei Loznitsa hat einen Film mit Protagonisten gedreht, die er vor dem Dreh noch nie gesehen hatte. Protagonisten, die das Skript selbst nicht ganz gelesen hatten. Die Schauspieler, die Loznitsa da filmt, laufen auch mal direkt vor die Linse und verdecken das Bild für einige Sekunden. Aber Loznitsa lässt es zu. Dass Loznitsa von vornherein wusste, dass er seinem Publikum keine Lektürehilfe geben möchte, sieht man auch an den Kameraeinstellungen. In seinen Bildern sind alle Ebenen gleich scharf, der Blick wird nicht durch irgendeinen optischen Fokus gelenkt, sondern allein durch das Geschehen vor der Kamera. Das überfordert leicht. Vor allem, wenn man sauber erzählte Geschichten gewohnt ist. Aber nur so kann Sergei Losnitza neutral bleiben. Denn „Den' Pobedy“ verhandelt hoch politische Themen, brisante Auseinandersetzungen, er zeigt einschüchternde Biker und kommunistische Reichsbürger. Es geht um nichts Geringeres als kollektive Erinnerung, Identität und politisches Erbe. Aber „Den Pobedy“ ermöglicht es dem Zuschauer, sich dem 90 Minuten hinzugeben, ohne Abstand und doch in Sicherheit. Das ist Loznitsas großer Verdienst.

Den' Pobedy - Victory Day von Sergei Loznitsa auf der Berlinale: Freitag, 23.02. um 15:30Uhr in der Akademie der Künste | Sonntag, 25.02. um 20.00Uhr im Colosseum.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden