Wäre Fußball schöner ohne Béla Réthy?

Kein Kommentar Die WM ist vorbei. Endlich keine Béla-Réthy-Sprüche mehr. Aber wäre Fußball wirklich schöner ohne Kommentatoren? Ein Vorschlag zur Güte

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Er ist weg
Er ist weg

Foto: Franck Fife/AFP/Getty Images

Die Fußballweltmeisterschaft ist vorbei. In den letzten Wochen standen nicht nur die mit dem Ball Spielenden unter verschärfter Beobachtung, sondern auch die, die währenddessen mit den Worten spielten. Kein Spiel im deutschen Fernsehen, bei dem auf deutschen Sofas nicht über die Kommentatoren geschimpft wurde.

Wahlweise ist die Stimme aus dem Abseits zu parteiisch oder zu unparteiisch, sie erklärt vollkommen Offensichtliches, schätzt Spieler falsch ein und spricht deren Namen falsch aus. Auf jeden Fall aber macht sie irgendwas falsch. In dieser Hinsicht teilen Béla Réthy und Jogi Löw ein trauriges Schicksal: Alle zwei Jahre beschäftigen sich Millionen Menschen intensiv mit ihrer Arbeit und die meisten wären die besseren Bundestrainer beziehungsweise Sportreporter. Die Stimme des Kommentators weckt offensichtlich einen Instinkt, den uns die arbeitsteilige Gesellschaft größtenteils abgewöhnt hatte – er lässt Menschen denken: „Das kann ja jeder/ ich/ sogar ich.“ Wie bei moderner Kunst – nur schlimmer. Wenn die Leute über Damien Hirst reden, schwingt wenigstens noch etwas Bewunderung mit: „Ach wäre ich nur vor ihm auf die Idee gekommen, Diamanten auf Skelette zu kleben, dann würde ich jetzt in seinen Millionen schwimmen.“ Bei Fußballkommentatoren denken sie nur: „Wie kommt jemand auf solche Vergleiche und wieso bekommt er dafür Zehntausende?“.

Die Kritik an Kommentatoren mag an vielen Stellen unberechtigt, wenig hilfreich und an einigen Stellen auch vollkommen daneben sein. Oft genug aber trifft sie einen wunden Punkt. Vielleicht sind 12.000 Euro pro Monat an öffentlich-rechtlichen Gebührengeldern eben doch ein bisschen viel, wenn sie dann mit Sätzen wie diesem vergolten werden: „Nicht jede Berührung ist gleich ein Foul. Wir sind hier immerhin nicht beim Schach!“. Warum fiel dem wichtigsten Sportreporter in Deutschland beim kläglichen Ausscheiden der deutschen Mannschaft gegen Südkorea nicht viel mehr ein, als alle paar Minuten zu betonen, wie wichtig diese oder jene Grätsche von Hummels oder Hector war? Es schien, als traue Bela Réthy seinen Schäfchen vor den Empfangsgeräten die traurige Wahrheit nicht zu: Hummels und Kameraden schieden vollkommen verdient aus. Réthy wagte es, wenige Sekunden vor Schluss und mit zwei Toren Rückstand für Deutschland auszusprechen: „Es ist vorbei.“ Die meisten seiner Zuhörer ahnten das zu diesem Zeitpunkt schon sehr, sehr lange.

Trotz der Misere am Mikrofon scheinen aber weder die deutschen Fernsehsender, noch ihr Publikum zu nennenswerten Abweichungen von der Norm bereit zu sein. Da wirkt die Beharrlichkeit, mit der sich das ZDF zwischen seine Kommentatorin Claudia Neumann und den sexistischen Mob stellt, fast schon wie ein Akt emanzipatorischen Aufbäumens. Dabei würde etwas personelle Veränderung der deutschen Kommentatorenriege sicher gut tun. Und ich meine damit nicht, dass auch mal eine Frau ans Mikro darf. Es kann eigentlich nur interessanter werden. Wie spannend wäre es etwa, einen Kommentator mit spanischem Akzent zu hören? Oder einen, der in Tunesien gelernt hat, das Spiel zu beschreiben? Ganz sicher würde das die anderen Schnarchnasen vor ihren Mikrofonen aufwecken. Aber so ein Experiment würde eben leider auch die Bildschirmbluthunde wieder dazu bringen, wütend mit ihren Tastaturen zu klappern.

So traurig das auch sein mag, die öffentlich-rechtlichen Sender werden allein schon deshalb keine derartigen Innovationen wagen, die Privaten erst recht nicht. Zum Glück aber gibt es eine ansprechende Kompromisslösung: Das „announcerless game“.

Am 20. Dezember 1980 fand in der American Football-Liga ein ganz besonderes Spiel statt. Die New York Jets spielten gegen die Miami Dolphins und es ging um nichts. Beide Teams hatten die Playoffs verpasst und das Spiel versprach nicht viel mehr als den Abschluss einer enttäuschenden Saison und miserable Einschaltquoten. NBC-Mann Don Ohlmeyer, damals Produzent der Übertragung, konnte das nicht zufriedenstellen. Aber er sah die Chance, ein Experiment durchzuführen, mit dem er schon lange geliebäugelt hatte: Ein Footballspiel ohne Kommentatoren.

Und so verteilte die NBC rund ums Spielfeld viele zusätzliche Mikrofone, der Stadionsprecher wurde ermuntert, sich möglichst oft zu Wort zu melden und kurze Kommentare von Spielern und Trainern wurden vorproduziert. Die NBC wollte sogar Mikrofone an die Spieler selbst anheften, scheiterte damit aber am Widerstand der Liga. Während der Übertragung wurden immer wieder Graphen und Statistiken eingeblendet – damals ein Novum. Und Ohlmeyers Konzept ging auf: Ein Spiel, das mit Kommentatoren nur eingefleischte Fans gesehen hätten, erzielte ohne Kommentatoren überdurchschnittliche Einschaltquoten.

Nicht weil dieses Experiment so unglaublich gut funktioniert hätte, sondern eben weil es ein Experiment war. Die Menschen waren gespannt, wie es wohl sein würde, nichts zu hören, als das Aufeinandertreffen der Körper, das Jubeln des Publikums und die Ansagen des Stadionsprechers. Unter besonderer Anspannung standen die beurlaubten Kommentatoren: Dick Enberg, damals einer der wichtigsten US-amerikanischen Sportkommentatoren, erinnerte sich 2010 in einem Interview mit ESPN, er hätte das Spiel mit mehreren Kollegen zusammen gesehen: “We all gathered together, hoping that Ohlmeyer was dead wrong. I mean, he was flirting with the rest of our lives. What if this crazy idea really worked?” Ohlmeyers Plan ging zwar auf, aber er machte die Kommentatoren nicht arbeitslos. Die Quoten waren mehr als zufriedenstellend gewesen und nach dem Spiel riefen bei der NBC über tausend Zuschauer an, von denen eine knappe Mehrheit Zustimmung zu Ohlmeyers Versuch signalisierte. Die US-amerikanische Öffentlichkeit war sich aber schnell sicher, dass das anouncerless game einmalig bleiben sollte. Die Washington Post titelte etwa am nächsten Tag: „Announcerless football game too quiet for average fan”. Für die Chicago Tribune berichtete der Reporter über „a game with no context played by men with no past”. Die Kommentatoren wurden mehrheitlich vermisst und durften vor die Mikrofone zurückkehren. Das announcerless game hatte sie aber eine Lektion gelehrt. "It improved me," gab Enberg viele Jahre später zu: "Consciously, to this day, there are moments in every sport that I do when I kind of throw up my hands as if to say to myself and to my partner, 'Let's not talk. This moment is special, we don't need to talk. Let's let it play.'"

Ich wünsche mir ein „unkommentiertes Spiel“ im deutschen Fernsehen. Zumindest einmal. Sky-Nutzer können schon heute den Kommentar ausblenden und nur dem Publikum lauschen. Aber das ist zu wenig, um die Kommentatoren ernsthaft herauszufordern. Ich glaube, Ohlmeyers Ansatz war richtig – er war nur seiner Zeit voraus. Heute haben wir die technischen Möglichkeiten, Ohlmeyers Ideen umzusetzen. Wir haben Kameras und Mikrofone, die bessere Töne und Bilder liefern, die weitaus mobiler sind und sehr viel weniger kosten als damals. Wir könnten so viel mehr Stadion in die Wohnzimmer holen, Menschen näher an den Spielfeldrand bringen. Wir sollten testen, ob wir dafür noch Kommentatoren nötig haben. Oder vielleicht, wie viel Kommentar wir brauchen. Wir haben die Möglichkeiten. Wir haben Drohnen, wir haben Smartphones. Wir brauchen nur Mut.

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