Zwei Tische und ein verschlossener Stahlschrank, der Raum in Brüssel ist spartanisch eingerichtet. Grelles Neonlicht scheint von der Decke, Fenster gibt es nicht. An einem Tisch sitzt ein EU-Beamter und wacht über das Geschehen. Der andere Tisch ist für Abgeordnete des Europäischen Parlaments vorgesehen. Zwei Stunden lang können sie hier die geheimen Verhandlungsdokumente zum geplanten Freihandelsabkommen TTIP einsehen. Zuvor müssen sie Taschen und Telefone abgeben. Fotografieren ist ausdrücklich verboten. Keine Information darf nach außen dringen, das müssen die Abgeordneten schriftlich bestätigen. Dabei geht aus den Dokumenten nur die aktuelle Verhandlungsposition der Europäischen Union hervor. Der Standpunkt der USA bleibt weiterhin selbst für EU-Abgeordnete geheim.
Vor kurzem war Michel Reimon von den Europäischen Grünen im Leseraum. Ihm wurde zuvor ein TTIP-Dokument zugespielt; nun will er prüfen, ob es echt ist. Allerdings hat er das Papier bereits vor Betreten des Leseraums auf seine Internetseite gestellt. Auf diese Weise verstößt Reimon nicht gegen die Schweigeerklärung, so hofft er zumindest. Veröffentlicht habe er schließlich vor und nicht nach seinem Besuch im Leseraum. Ob er dennoch eine Strafe der Parlamentsdirektion zu erwarten hat, wisse er nicht genau. Sollte er künftig keinen Zugang mehr zum Leseraum haben, werde er dagegen vorgehen.
Aus der Bewegung ins Parlament
Reimon ist Überzeugungstäter. Mit der Geheimhaltung der Pläne zum TTIP-Vertrag müsse endlich Schluss sein, fordert der Österreicher. „Das schadet der gesamten EU.“ Schon vor seiner parteipolitischen Karriere beschäftigte er sich mit Handelsfragen. Als Aktivist in der globalisierungskritischen Bewegung und Sprecher eines Bündnisses gegen das Dienstleistungsabkommen GATS traf er viele EU-Abgeordnete – und lobbyierte für die gute Sache. Doch irgendwann reichte ihm das nicht mehr. „Ich wusste, ich könnte das besser machen, und wechselte auf die andere Seite des Schreibtisches“, sagt der 43-Jährige heute.
Im vergangenen Jahr schaffte er den Sprung ins Europaparlament. Dort erregt er nun Aufmerksamkeit, indem er zwei geheime Verhandlungspapiere des TTIP-Vertrags zwischen der EU und den USA veröffentlichte. In dem einen geht es um die sogenannte „regulatorische Kooperation“. Es soll ein Gremium mit Vertretern von US-Behörden und US-Konzernen errichtet werden, um künftig europäische Gesetze bereits in der Planungsphase hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf den internationalen Handel prüfen zu können. Das Gleiche gilt entsprechend für die Regulierung in den Vereinigten Staaten. Noch bevor die Öffentlichkeit oder die Parlamentarier überhaupt von Gesetzesvorhaben erfahren, sollen die Wirtschaftsvertreter darüber beraten. „Die Finanzmarktkontrolle fällt damit in die Hände der Banken und Lobbyisten“, sagt Reimon.
Noch mehr Macht für Schiedsgerichte?
Das andere Geheimpapier befasst sich mit den umstrittenen Schiedsgerichten. Bislang war bekannt, dass diese den Investitionsschutz garantieren sollen. Ein Konzern könnte dann einen Staat verklagen, wenn er durch Regulierung seine Investition in Gefahr sieht. Aus Reimons Dokument geht jedoch hervor, dass die Schiedsgerichte auch weitere Streitfälle klären sollen, etwa wenn sich die USA und die EU nicht einig sind, wie der TTIP-Vertragstext auszulegen ist. Das bedeutet letztlich, dass auch Fragen der Produkt- und Lebensmittelsicherheit von Schiedsgerichten verhandelt werden sollen. Das Schiedsgericht besteht dabei aus je einer Person der beiden Vertragsparteien und einer dritten Person, auf die sich beide Parteien einigen. Entschieden wird am Ende möglichst im Konsens, ansonsten per Mehrheit. Das Abstimmungsverhalten bleibt dabei geheim.
In den öffentlichen Anhörungen war lediglich von Schiedsgerichten zum Investitionsschutz die Rede, das Dokument zeigt andere Planungen. Für Reimon ist das ein Skandal. „Was EU und USA wissen, muss nicht vor der eigenen Bevölkerung geheim gehalten werden.“ Die Verhandlungen über Schiedsgerichte im Investitionsschutz wurden wegen überwältigender Ablehnung in der europäischen Bevölkerung zunächst ausgesetzt. In den Mitgliedsstaaten wirbt die liberale EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström jedoch weiterhin für diese Schiedsgerichte. Der öffentliche Rückzug sollte wie ein Zugeständnis wirken. „Ihr war das Thema für den Moment einfach zu heiß“, meint Reimon. Er will weitere geheime Dokumente veröffentlichen.
Für seine Überzeugung ist der Grünen-Politiker zu vielem bereit, nicht nur gegen TTIP. Im vergangenen Jahr war er auf einer Delegationsreise im Nordirak und berichtete mit einem Video über die Situation der Jesiden. Reimon war an Bord eines Helikopters, um Frauen, Alte und Kinder der jesidischen Minderheit auszufliegen und mit Lebensmitteln zu versorgen. Er half, die Menschen an Bord zu ziehen. Als auch viele Männer versuchten, in den Hubschrauber zu gelangen, stieß er einen jungen Mann zurück, um eine ältere Frau zu retten. „Ich musste eine Entscheidung treffen, von der ich nicht wusste, ob ich sie vielleicht mein Leben lang bereuen werde.“ Noch heute stocken seine Worte beim Erzählen.
Er erinnert sich, wie ihn damals in einem Live-Bericht für das österreichische Fernsehen die Wut überkam. Statt von Waffenexporten zu reden, forderte Reimon den österreichischen Außenminister Sebastian Kurz von der konservativen ÖVP auf, umgehend eine Million Euro aus dem Nothilfefonds in die Krisenregion zu überweisen. Kurz reagierte prompt, am nächsten Tag war das Geld unterwegs. „Wenigstens etwas hat meine Reise damals gebracht“, sagt Reimon.
Im Kampf gegen das TTIP-Abkommen stehen die Erfolge noch aus.
Kommentare 11
Merkel hat es doch bereits vor Jahren öffentlich und klar ausgedrückt, - es soll eine "marktkonforme Demokratie" errichtet werden in der EU. Ich bin da zwar eher für einen demokratischen Markt, aber ich habe als Bürger dazu auch nichts zu melden. Und wie Merkel weiterhin so sagt - wir müssen uns von der Vorstellung verabschieden das wir eine Demokratie auf ewig haben werden. Solche u.a. Sprüche von ihr - öffentlich geäußert - kann man seit Jahren auch im Net finden, aber sichtlich sind die Meisten der Bürger damit grundlegend einverstanden, sonst würden diese Merkel nicht stetig wieder wählen. Also, - die deutschen Wähler bekommen was sie wollen. Nun meckert dann aber nicht, denn TTIP und CETA sind der schnellste und beste Weg genau zu euren Wünschen.
Guter Mann , guter Artikel.
Das gilt auch für diesen Beitrag: Das jüngste Weltgericht
Vielen lieben Dank für den Beitrag.
Die Notwendigkeit von Geheimverhandlungen für Freihandelsabkommen erschließt sich einfach nicht. Es ist klar, dass die internationalen Firmen starke Interessen haben und ihre Interessen stark vertreten können, dass demokratische Staaten und Staatenverbindung sich dem ergeben, ist und bleibt aber höchst undemokratisch. Wie solle denn ein vernünftiger Meinungsbildungs- und Vertragsbildungsprozess entstehen, wenn nur die Unternehmensvertreter und ein paar wenige vage (über Ecken) demokratisch legitimierter Verhandlungsführer überhaupt wissen, was genau da ausgehandelt werden soll? Verrückt.
Vergessen wir TISA nicht:
http://www.tagesschau.de/wirtschaft/tisa-102.html
http://www.zeit.de/2014/42/tisa-slavoj-zizek-handelsabkommen
Gebt TTIP keine Chance!
Ein Inkrafttreten des TTIP wäre gleichbedeutend mit dem Eintreten in das post-demokratische Zeitalter. Spätere Historiographen hätten die Weltgeschichte einzuteilen in die Vor-TTIP- und Nach-TTIP-Zeitrechnung.
Soll man vielleicht Gabriel wählen? Diesen Volksverräter, der sagte, die Deutschen wären alle Hysteriker, weil sie TTIP ablehnten? Dann die Bitte an die Journalisten, diesen Satz nicht zu veröffentlichen. Na, wenn die asiatischen und südamerikanischen Länder den Dollar abgewählt haben, wird eh alles anders.
Das in Belgien beheimatete westliche SWIFT bietet mehr als zehntausend Finanzinstituten rund um die Welt ein bis 2013 für sicher gehaltenes Kommunikationsnetzwerk, über das alltäglich Transaktionen von Billionen US-Dollar abgewickelt werden. Die UdSSR trat diesem globalen Interbankensystem im Jahr 1989 bei. Seit Auflösung der Union wurde die Russische Föderation zu einem der aktivsten Nutzer. Im Jahr 2013 wurde dann bekannt, dass der US-Geheimdienst NSA alle über SWIFT laufenden Geschäftsbeziehungen und Geldtransaktionen elektronisch ausspionierte.
Man kann davon ausgehen, das USA fertig hat und es nur noch um letzte, verzweifelte Zuckungen geht. Der Krug geht so lange zu Wasser, bis er bricht.
Soll man vielleicht Gabriel wählen? Diesen Volksverräter, der sagte, die Deutschen wären alle Hysteriker, weil sie TTIP ablehnten? Dann die Bitte an die Journalisten, diesen Satz nicht zu veröffentlichen. Na, wenn die asiatischen und südamerikanischen Länder den Dollar abgewählt haben, wird eh alles anders.
Das in Belgien beheimatete westliche SWIFT bietet mehr als zehntausend Finanzinstituten rund um die Welt ein bis 2013 für sicher gehaltenes Kommunikationsnetzwerk, über das alltäglich Transaktionen von Billionen US-Dollar abgewickelt werden. Die UdSSR trat diesem globalen Interbankensystem im Jahr 1989 bei. Seit Auflösung der Union wurde die Russische Föderation zu einem der aktivsten Nutzer. Im Jahr 2013 wurde dann bekannt, dass der US-Geheimdienst NSA alle über SWIFT laufenden Geschäftsbeziehungen und Geldtransaktionen elektronisch ausspionierte.
Man kann davon ausgehen, das USA fertig hat und es nur noch um letzte, verzweifelte Zuckungen geht. Der Krug geht so lange zu Wasser, bis er bricht.
Stimmt, und heute ist dann zu lesen, dass die Russen ein alternatives SWIFT-System entwickeln wollen könnten, weil ihnen mit Ausschluss aus dem System und damit mit einem ähnlichen Schicksal wie dem Iran gedroht wird.
http://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2015/02/22/russland-plant-alternativen-fuer-das-swift-system/
"Geheim" sind sowohl freihandelsverhandlungen als auch verhandlungsmandate nicht ohne grund - sie wiedersprechen den offiziellen doktrin vom freien markt und setzen auf "absprachen" zum vorteil für die "marktführer" und nachteil für die soziale gemeinschaft.
Eigentlich geht es also ums genaue gegenteil dessen, was verlautbart wird - statt "freihandel" sollen märkte geschaffen werden, die dauerhaft im sinne des grosskapitals geregelt sind. Denn nichts anderes besagt die idee von der "regulatorischen kooperation".
Abgesehen von dieser "verkehrung" wäre aber selbst dann, wenn es ihn wirklich gäbe, freihandel immer allein im interesse der technologisch bzw. produktivitätsbezogen überlegenen seite. Er würde also dazu führen, unterschiede auszuweiten. Genauso wie die EU keine gemeinschaft zur angleichung der wohlstandsniveaus unter ihren mitgliedern ist, ist die weltsirtschaft keine harmlose wohlfahrtsveranstaltung, sondern ein ort erbarmungsloser konkurrenz...die - wo immer es geht - zugunsten der grosskonzerene "geregelt" werden soll.
Solche Menschen mit Zivilcourage gehören in die Jahresrückblicke!
Dass nun auch die Auslegung des TTIP-Vertrags an sich vor Schiedsgerichten verhandelt werden darf lässt die heutige Charme-Offensive Gabriel mit Frau Malström in der SPD-Zentrale als Hohn erscheinen. Gabriel ist eine NULL! Die SPD-Abgeordneten sollen ihm und Bundeskanzlerin Merkel endlich das Vertrauen entziehen.