Habermas, Raab und Augstein im Gespräch

Kanzlerduell Ein fiktives Streitgespräch zwischen Philosoph Jürgen Habermas, TV-Moderator Stefan Raab und TV-Polittalk-Dauergast Jakob Augstein über Demokratie und TV-Talk

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Deutschland drohe eine Raab-Republik, so die Überschrift der aktuellen SPON-Kolumne Jakob Augsteins http://www.spiegel.de/politik/deutschland/debatte-um-stefan-raab-als-moderator-im-tv-duell-der-kanzlerkandidaten-a-883972.html.

Der Kolumne geht ein Artikel der ZEIT voraus, die den "Meinungshasadeur" und "linken Millionär" Augstein in guter Gesellschaft weiterer Stammgäste des öffentlich-rechtlichen Polittalks, der Politikinszenierung bezichtigt. In bester Platzhirsch-Manier holt Augstein zum Gegenschlag aus und warnt vor der Bedrohung der Medien- und Informationsdemokratie durch Personen wie Stefan Raab, der die Finger von der "ernsten Sache" Politik lassen solle.

Da der Philosoph Jürgen Habermas sich auch in dem vorausgegangen Artikel der ZEIT missverstanden fühlte, bat er alle Beteiligten nun zu einem Gespräch:

Habermas: Herr Augstein, wie komme ich zu der Ehre von Ihnen zitiert zu werden?

Augstein: Da bereits meine Kollegen der ZEIT auf Sie als richtungsweisenden Denker für eine deliberative und partizipative Ausgestaltung der Demokratie verwiesen, lag es nahe Sie ebenfalls für mein Anliegen zu Rate zu ziehen.

Habermas: Und was genau befürchten Sie nun? Die "vermachteten Arenen" des Polit-Talks sind durch Personen wie Stefan Raab bedroht?

Augstein: Ganz richtig! Politik ist eine erste Sache und bedarf präziser Expertise und Eloquenz. Ein Stimmungsmacher wie Stefan Raab ist stets verleitet die Gespräche auf ein Unterhaltungsniveau zu drücken, das der Politik nicht gerecht wird. Denn hier geht es um weitreichende und fundierte Entscheidungen, die zum Wohle der Zuschauer und Zuschauerinnen gefällt werden.

Habermas: Herr Raab, wissen Sie wer ich bin?

Raab: Ich sag mal so, in meinen Dunstkreisen sind sie kein Bestseller. Aber für Politik, oder Politische Wissenschaft, interessiere ich mich sowieso noch nicht sehr lange. Aber ist das denn so wichtig? Die Politik soll doch für die Menschen, die vor den TV-Geräten sitzen gemacht werden, also sollten diese doch auch verstehen worüber diese Experten da sprechen. Mein Gefühl ist, in den üblichen Politiktalkshows wird eine Sprache gesprochen, die nichts mit der Realität da draußen zu tun hat.

Habermas:Da mögen Sie Recht haben Herr Raab. Auf diese Thematik bin ich in Teilen meiner Werke ebenfalls eingegangen. Gewisse gesellschaftliche Teilbereiche, sogennante Subsysteme, verfügen über ein eigenes Sprachmedium, das im Falle des Subsystems Politik eine zweckrationale Kommunikation darstellt, die durch Eindringen ihrer Funktionslogik in die gesellschaftliche Lebenswelt, die Menschen zunehmend mit der Rationalisierung aller Lebensbereiche konfrontiert.

Raab: Ja wenn Sie das sagen, wird das schon stimmen. Das ist mir aber ziemlich egal. Ich habe Bock das Kanzlerduell zu moderieren, ich traue mir das auch zu. Und wenn durch mich mehr junge Leute und Zuschauer, die bisher keine oder wenige politische Fernsehsendungen sahen, einschalten, kann sich doch keiner von uns beschweren, oder Herr Augstein?

Augstein: Zunächst möchte ich Herrn Habermas zustimmen und hinzufügen, dass ich den Kern seiner Demokratietheorie - die ideale Sprechsituation, die kommunikativ erzeugte Macht in administrative Macht transformieren soll - als realisiert erachte, solange man den öffentlich-rechtlichen Polit-Talk vor Stimmungsmache a la Stefan Raab schützt. Aber ja Herr Raab, natürlich sind mehr Zuschauer besser als weniger Zuschauer. Natürlich ist mehr Interesse an Politik besser als wenig Interesse. Aber ich bezweifle, dass Sie ihre Rolle als Politik-Moderator ernsthaft ausfüllen können, sondern sich an platten BILD-Schlagzeilen entlanghangeln, die mit dem realen politischen Diskurs nichts zu tun haben.

Habermas: Lassen Sie mich an dieser Stelle noch einmal intervenieren, da ich befürchte von Ihnen, Herr Augstein, erneut fehlgedeutet zu werden. Zunächst ist in politischen Talkshows der herrschaftsfreie Diskurs nicht gewährleistet, da diese nur gewählte politische Repräsentanten und (nicht gewählte) journalistische Experten einladen. Somit ist, wie im übrigen im Parlament auch, eine institutionelle Hürde der Vermachtung, dem deliberativen Diskurs vorgeschaltet und verzerrt diesen. Des weiteren verfügen die Diskutanten weder über gleichverteilte Rederechte, noch sind sie alle umfassend und ausreichend informiert. Selbstkritisch muss ich an dieser Stelle hinzufügen, dass dieses Diskursszenario idealtypisch ist und in der Realität schwer zu gewährleisten ist. Demnach sollten Sie vorsichtig sein, mich in dieser Debatte als Denkschablone zu nutzen. Lassen Sie mich noch eine Frage hinzufügen, die Ihnen Herr Augstein bewusst machen soll, welche Macht diesen Politikinszenierungen, wie es Ihre Kollegen der ZEIT nannten, beiwohnt: Wer gibt Ihnen die Macht, Woche für Woche ihre Meinung in diesen Gesprächsrunden kundzutun?

Raab: Da bin ich jetzt auch einmal gespannt...

Augstein: Meine journalistische Pflicht und mein intellektueller Ehrgeiz veranlassen mich dazu. Natürlich kann ich das nur, da ich in exponierter Rolle im deutschen Medienbetrieb agiere.

Raab: Aber Augstein, was hat denn ihr Expertentalk zu befürchten? Während ihr Experten dort die Weisheit mit Löffeln fresst, müsst ihr doch ein paar flapsigen Fragen standhalten können? Ich fühle mich weniger meiner journalistischen Pflicht, als meinem bürgerlichen Verstand verpflichtet, Fragen stellen zu dürfen, wenn ich etwas nicht verstehe. "Ernste Sache Politik" hin oder her, das bessere Argument wird sich schon durchsetzen?

Habermas: Sehr richtig Herr Raab. Nur der "zwanglose Zwang des besseren Arguments" kann ein zufriedenstellendes und legitimes Resultat eines politischen Streigesprächs darstellen. Wer dies durch Zugangsberechtigungen für einzelne Personen verhindern möchte, handelt nicht im Sinne der demokratischen Willensbildung.

Augstein: In gewisser Weise sind wir uns da auch alle einig. Nicht umsonst, setze ich mit meinem Blatt auf eine partizipative Öffentlichkeit und versuche die "Machthierarchie" zwischen dem redaktionellem Eiffelturm und Internetcommunity abzubauen.

Habermas: Umso absurder ihre Forderung Herrn Raab den Zugang zu diesem Kanzlerduell zu untersagen. Das wäre als verböten Sie allen Lesern der BILD die Kommentarfunktion in der Freitag-Community.

Raab: Wenn es Sie beruhigt Herr Augstein, kann ich Ihnen versprechen, dass ich mit Ausnahme des Kanzlerduells keine Ambitionen habe im öffentlich-rechtlichen Politikzirkus mitzumischen. Sie können also beruhigt den grauen Expertenzirkeln von Montag bis Donnerstag beiwohnen, ohne dass Ihnen der Mob des Privatfernsehens den Platzhirsch-Status streitig macht.

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Geschrieben von

Jonas Weyrosta

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