Kind nach Maß

Downsyndrom Die neuen Bluttests versprechen mehr Selbstbestimmung für Schwangere. Dabei wird oft vergessen, dass Leben mit Behinderung einer Kosten-Nutzen-Rechnung unterzogen wird

Fluch oder Segen, Freiheit oder Zwang? Die aktuelle Debatte um Pränataldiagnostik macht deutlich, vor welchen weittragenden Entscheidungen werdende Eltern heute oft zwangsläufig stehen. Mit den neuen Bluttests, wie der PraenaTest der Firma LifeCodexx, haben Eltern die Wahl: Möchten wir ein Kind mit Trisomie 21, auch bekannt als Downsyndrom, oder treiben wir es ab? In einem aktuellen Feature der Zeit zum Thema Pränataldiagnostik und Downsyndrom kommen Eltern zu Wort, die sich für oder gegen ein Kind mit Downsyndrom entschieden haben. Alle Eltern eint, egal wie die Entscheidung ausfällt, dass sie auf wenig Zuspruch aus ihrem unmittelbaren Umfeld stoßen, sei es von Seiten der Ärzte, oder der Familien. Ein Kind mit Behinderung steht heute offenbar den hohen Werten der Selbstverwirklichung und freien Lebensgestaltung entgegen. Entscheidungen wollen also wohlüberlegt sein.

Durch eine einfache Untersuchung des Blutes der Mutter kann eine Trisomie mit hoher Wahrscheinlichkeit diagnostiziert werden. Sicher können die Eltern jedoch nicht sein. Für eine hundertprozentige Diagnose bedarf es weiterer Untersuchungen des Fruchtwassers in der Gebärmutter. Der Bluttest ist noch keine Kassenleistung, rund 20 gesetzliche wie private Krankenkassen haben die Kosten für den PraenaTest auf Basis von Einzelfallentscheidungen jedoch bereits übernommen. Der Gemeinsame Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen soll Medienberichten zufolge noch in diesem Jahr über eine einheitliche Regelung beraten. Damit würden die Bluttests zu einem selbstverständlichen Teil jeder Schwangerschaftsuntersuchung.

Die Kosten eines Bluttests belaufen sich in Deutschland gegenwärtig auf rund 500 Euro. Das ist wenig Geld, bedenkt man, dass die Zukunft als junge Familie dadurch besser planbar wird. Ein Kind mit Behinderung auf die Welt zu bringen bedeutet schließlich noch immer einen Mehraufwand, strukturell wie emotional. Welche Schule nimmt mein behindertes Kind auf? Sind Therapien nötig, die mit den eigenen Arbeitszeiten korrelieren? Werde ich überhaupt noch arbeiten können?

In der rechtlichen Handhabe unterscheidet sich der Bluttest maßgeblich von der in Deutschland streng regulierten Präimplantationsdiagnostik (PID). Während die nicht-invasiven Bluttests mit einer Blutprobe der Mutter ausgeführt werden können und daher keine primäre Selektion eines ungeborenen Lebens darstellen, ist die Selektion einer genetischen Anomalie aufgrund molekulargenetischer Untersuchungen rechtlich verboten. Lediglich bei einem begründeten Verdacht auf chronische Erkrankungen oder bei erhöhtem Fehlgeburtrisiko darf die PID angewendet werden. Die Selektion eines Kindes mit Trisomie 21 wird daher in einer rechtlichen Grauzone möglich.

Die Entscheidung gegen die Geburt eines Kindes mit Downsyndrom ist in Deutschland theoretisch bis zum Tag vor der Geburt möglich. Immer kann die Mutter ihr körperliches oder seelisches Wohl als Grund gegen die Geburt eines behinderten Kindes anführen. Das ist ein respektables Gut der Mutter. Mit verpflichtenden Beratungsangeboten soll die Mutter bei ihrem Entscheidungsprozess unterstützt werden. Doch auch von Seiten der Ärzte ist mit wenig Zuspruch zu rechnen, wie das Zeit-Feature zeigt. Der frühe Zeitpunkt der Diagnose droht ein dienbarer Grund für die Abtreibung eines behinderten Kindes zu werden. Gemäß dem Motto: „Ihr hattet doch die Wahl, wieso dieses Kind dann überhaupt austragen?“

Je selbstverständlicher die Untersuchungsmethoden werden, desto dezidierter werden die Eltern vor eine solche Entscheidung gestellt. Gesellschaftlicher Zwang wird somit zur Schattenseite der Freiheit. Ähnliches lässt sich für das sogenannte Social Freezing feststellen. Es ermöglicht Frauen, ihre Karrieren fortzuführen und nicht durch Schwangerschaften zu unterbrechen. Der Kinderwunsch ist künftig mit der Unternehmensführung abzustimmen. Auch das ist eine Freiheit, die schon bald eine Selbstverständlichkeit sein kann.

Daran wird deutlich, dass wir Fortpflanzung und Gesundheit längst freiheitlich denken, aber immer häufiger ökonomisch darüber entscheiden. Opfer dieses Effizienzdenkens sind die ungeborenen Kinder mit Downsyndrom. Zumal das Downsyndrom nicht zwangsläufig eine schwere Behinderung ist. Es führt weder pauschal zu Arbeitsunfähigkeit oder einem Therapiemarathon, noch sind kostenintensive Hilfsmittel nötig. Menschen mit Downsyndrom können ein „normales“ Leben führen. Die Technik scheint jedoch eine Entwicklung einzuleiten, die hinter zurückliegende Bemühungen aus Politik und Gesellschaft um Inklusion und Teilhabe zurückfällt.

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