Verkürzte Kritik am Markt

Die Buchmacher Der Wirtschaftswissenschaftler Jürgen Freimann hat ein kluges, aber unvollständiges Buch über das freie Spiel von Angebot und Nachfrage geschrieben
Ausgabe 26/2017
Das emanzipatorische Potenzial des Marktes wird oft unterschätzt
Das emanzipatorische Potenzial des Marktes wird oft unterschätzt

Foto: Timothy A. Clary/AFP/Getty Images

Der Markt, so hören wir immer wieder, führt zu Gewinnern auf allen Seiten. Aus dem Spiel aus Angebot und Nachfrage erwachse Fortschritt, vielen Menschen werde erst durch den einsetzenden Preiskampf überhaupt der Zugang zu bestimmten Gütern gewährt. So weit die Lesart des dominanten Marktfundamentalismus. Die Rede ist vom Homo oeconomicus; der nutzenmaximierende rationale Mensch, der mit anderen nur nach Abwägung aller Vor- und Nachteile interagiert. Welche Spuren dieses Dogma in unseren Köpfen bereits hinterlassen hat, zeigte die marginale Kritik an Angela Merkels Plädoyer für eine „marktkonforme Demokratie“ – die Menschen haben demnach der Ökonomie zu dienen und nicht andersherum.

In diese Kerbe sticht das neue Buch Jürgen Freimann. Das Märchen vom gerechten Markt nennt der Gründer des Studiengangs Nachhaltiges Wirtschaften an der Uni Kassel das dominante Wissen um schlanke Staaten und deregulierte Märkte im Dienste des Gemeinwohls. Freimann legt ein kluges Buch zu wichtigen Fragen vor: Wie gerecht ist der Markt? Wer profitiert wirklich? Wie kann es heute noch gelingen, Marktstrukturen zu überwinden? Dabei gelingt es ihm, einen akademischen Diskurs aus den Sphären ökonomischer Theorie in die Arena des alltäglichen Handelns zu verlegen. Leider nicht, ohne an analytische Stärke einzubüßen. Während das Buch durch eine überwältigende Aneinanderreihung von Beispielen besticht, verliert es sich stellenweise in kulturpessimistischer Larmoyanz. Wichtige Punkte bleiben offen: „Nur wenn wir in unserem Verhalten Vernunft walten lassen, können wir dem Markt die Rolle zuweisen, die ihm eigentlich zukommt: die des Dieners.“ Was ist vernünftiges Handeln unter den gegebenen Umständen? Da heißt es nur grobschlächtig: „Wir müssen versuchen den Status des Herrn wieder zurückzugewinnen oder gar nicht erst aufzugeben. Sonst werden wir zu Knechten und der Markt zum Autokraten.“

Freimann unternimmt durchaus den Versuch, alternative Handlungsweisen aufzuzeigen. Doch die Rede vom bedingungslosen Grundeinkommen oder einer nötigen Finanztransaktionssteuer ähnelt angesichts der Wirkmächtigkeit des hier verhandelten Problems eher dem Griff in die Mottenkiste. Was fehlt, ist eine Auseinandersetzung mit den wahren Konstanten in diesem Spiel. Schließlich scheitert auch die Einhegung des Marktes weniger an der politischen Machbarkeit als an der Verteilung von Macht im Diskurs des Sagbaren. Das neoklassische Dogma verdankt seine Wirkung zuallererst der Tatsache, in ein wissenschaftliches Kleid zu hüllen, was meist blanke Ideologie ist.

Die Dimensionen der Macht im ökonomischen Diskurs ernst zu nehmen, ist der wohl wichtigste Schritt dahin, die wirklichen Probleme und Chancen zu sehen, die Märkte für freiheitliche Gesellschaften bieten. Klar, die Vorstellung vom gerechten Markt fußt auf fragwürdigen Vorstellungen von Individuen, die sich genau so verhalten, wie die Modelle es annehmen. Zugleich unterschätzt man leicht das emanzipatorische Potenzial des Marktes. Indem Marktteilnehmer primär auf die angebotene Leistung achten, bekommen auch jene Anbieter eine Chance, gegenüber denen ansonsten mitunter Vorurteile herrschen. Der Markt kann durchaus ein demokratisierender Ort sein, an dem Frauen, Männer, Andersgläubige oder Angehörige von Minderheiten die Möglichkeit haben, eine gewisse gesellschaftliche Anerkennung zu finden. Dieses Potenzial des Marktes sollten auch seine Kritiker ernst nehmen.

Info

Das Märchen vom gerechten Markt. Wie wir den homo oeconomicus überwinden können Jürgen Freimann Tectum 2017, 224 S., 18,95 €

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Geschrieben von

Jonas Weyrosta

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