Großes Herz und harte Hand

Kolumbien im Demobilisierungs-Taumel Die ultrarechten Paramilitärs rüsten ab und steigen auf. Ihre Verbrechen bleiben ungesühnt

Die ultrarechten Paramilitärs in Kolumbien legen ihre Waffen nieder. Und Präsident Uribe Vélez erklärt zum "erfolgreichen Friedensprozess", was in Wirklichkeit ein politischer Schachzug ist, um die im Dienste ökonomischer Interessen und des Drogenhandels stehenden Privatarmeen politisch zu legalisieren - zur Unterstützung seines autoritären Regimes in Bogotá.

Kaum eine Woche vergeht, da nicht irgendwo zwischen Bogotá und Medellín paramilitärische Einheiten ihre Waffen an Vertreter der Regierung oder der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) übergeben und ihre Demobilisierung verkünden. Die Medien überbieten sich mit euphorischen Meldungen über die freiwillige Entwaffnung jener Verbände, die seit Jahren für schwere Menschenrechtsverletzungen verantwortlich zeichnen.

Schon wenige Monate nach dem Antritt der rechtskonservativen Regierung von Alvaro Uribe Vélez Anfang August 2002 hatte der neue Staatschef Gespräche mit den Paramilitärs der so genannten Vereinigten Selbstverteidigungsgruppen Kolumbiens (AUC) angekündigt - eine "harte Hand und ein großes Herz" versprach er seinen Landsleuten, um den seit vier Jahrzehnten andauernden Bürgerkrieg einzudämmen.

Dass ihm Verhandlungen nicht schwer fallen würden, stand außer Zweifel. Alvaro Uribes besondere Nähe zu den inoffiziellen Waffenträgern mit ultrarechter Gesinnung geht zurück auf seine Zeit als Gouverneur der Provinz Antioquia (Hauptstadt Medellín), als er die Bildung der Convivir vorantrieb, ländlicher "Sicherheitskooperativen" im Dienst der Bekämpfung von Aufständischen, wie es offiziell hieß. Der jahrelange AUC-Führer Carlos Castaño, im vergangenen April von seinen eigenen Leuten umgebracht, bekannte kurz vor seinem Tod ganz offen: "Uribe ist der Mann, der unserer Philosophie am nächsten steht".

Schleichende Unterwanderung bis zur "Eroberung" der Universitäten

Der Regierungswechsel von Präsident Andrés Pastrana zu Uribe vor zweieinhalb Jahren war keines der üblichen Revirements innerhalb des kolumbianischen Establishments, sondern ein Systemwechsel. Mit messianischem Eifer und autoritärer Wucht baut Uribe seither an einem "kommunitären Staat", der sich von der Idee her bei Benito Mussolini ebenso wie bei George W. Bush bedient. Wobei den Paramilitärs, teils auch den regulären Streitkräften, die Mission zufällt, alle Stimmen und Bewegungen auszuschalten, die diesem Projekt gefährlich werden könnten.

Seit 1994 verübten die Paramilitärs der AUC einen Großteil der etwa 2.000 Massaker im Land, mit insgesamt mehr als 10.000 Opfern. Unzählige Verbrechen wie Entführungen, Verstümmelungen und Vertreibungen werden ihnen angelastet. Seit 1985 beträgt die Zahl der kolumbianischen Binnenflüchtlinge mehr als 3,2 Millionen, deren Entsiedelung größtenteils auf Operationen der Paras zurückzuführen ist. Allein in den vergangenen sieben Jahren haben deren Formationen im Auftrag ihrer Gönner über fünf Millionen Hektar Land von Kleinlandwirten und Kooperativen enteignet.

Andererseits kann nicht geleugnet werden, dass ein nicht geringer Teil der Bevölkerung den Kampf der Paramilitärs mit Sympathie betrachtet. Ausschlaggebend dafür sind einmal der enorme Prestigeverlust der beiden Guerilla-Organisationen FARC und ELN (s. Kasten) in den vergangenen Jahren, zum anderen ein Gefühl von Sicherheit, das die AUC einer kriegsmüden Bevölkerung vermittelt.

Der Aufstieg der "Paras" begann Mitte der neunziger Jahren mit der Übernahme kommunaler Machtpositionen. Parallel dazu wurden Stiftungen wie Genossenschaften gegründet und staatliche Institutionen unterwandert. Eine Schlüsselstellung nahm die "Eroberung" von Universitäten ein. Dank dieser Usurpationen lag irgendwann die reale Macht in einer Region oder Provinz in den Händen der Paramilitärs. Es existierte faktisch keine Opposition mehr, die Kriminalitätsrate sank, die sozialen Projekte der neuen Autoritäten konsolidierten sich. In diesem Stadium befanden sich Ende 2004 große Teile der Departements Córdoba, Cesar und Magdalena. Es konnte kaum verwundern, wenn die Paras gerade dort die Demobilisierung forcierten, da sie letzten Endes militärische Präsenz gegen reale Macht eintauschen konnten.

Massaker mit Motorsägen und Kultur der Straflosigkeit

Antworten auf die Frage, ob die Demobilisierungen dem inneren Frieden Kolumbiens dienen, variieren je nach der politischen und menschenrechtlichen Position der Befragten. Ana Teresa Bernal, Gründerin des Friedensnetzwerkes Redepaz: "Wenn Sie mich fragen, ob ich damit einverstanden bin, dass etwa 15.000 Männer ihre Waffen niederlegen, muss man natürlich mit einem klaren Ja antworten. Je weniger Kolumbianer bewaffnet herumlaufen, umso besser. Das Problem ist, wie diese Demobilisierung abläuft. Paramilitärische Kommandos haben unzählige Massaker verübt, bei denen alle möglichen Waffen bis hin zu Motorsägen eingesetzt wurden. Man hat damit Menschen zerstückelt - auch Frauen und Kinder. Oft wurden bis zu 40 Personen auf einmal getötet. Das alles kann doch nicht von heute auf morgen vergeben sein."

Auch die UNO und die OAS kritisieren mit Blick auf den Staatschef die erneute Verbeugung vor der Kultur der Straflosigkeit. Selbst unter Uribes Tross regt sich Widerstand. Die Interamerikanische Menschenrechtskommission (CIDH), die im Auftrag der OAS die Demobilisierung begleitet, bedauerte Ende Dezember in einem ersten Bericht, dass man "noch keine Bemühungen bemerken kann, die Wahrheit über das Vorgefallene und über das Ausmaß der staatlichen Verbindung mit dem Paramilitarismus herauszufinden". Und die EU hat kürzlich wissen lassen, sie werde diese Konversion nur dann finanziell abfedern, wenn es dabei auch eine juristische Seite gäbe. Alvaro Uribe wird dem nur Folge leisten, wenn das entscheidende Motiv der Zivilisierung des Paramilitärischen - bislang informelle Strukturen offiziell als Stütze präsidialer Macht nutzen zu können - davon wenig beeinträchtig wird.

Nicht nur das berechtigte Misstrauen des Auslands ist ein Problem für die Regierung. Sie muss auch der Tatsache ins Auge sehen, dass sich in letzter Zeit immer mehr Drogenhändler - die eine subtile Nähe zu den "Paras" auszeichnet - in deren Führungsstrukturen eingekauft haben, um auf diese Weise in den Genuss der erwarteten Amnestie und damit Straflosigkeit zu kommen. Die kolumbianische Zeitschrift Semana spricht von Preisen zwischen sechs und neun Millionen Dollar für die höchsten militärischen Ränge in den Autodefensas Unidades de Colombia.


Paramilitarismus - ein traditionelles Phänomen

In den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts begannen Großagrarier im Sog des kolumbianischen Bürgerkrieges Privatarmeen zu rekrutieren, um ihre Besitztümer gegen sozialrevolutionäre Forderungen abzuschotten und von der mangelnden Präsenz des Staates im ländlichen Raum zu profitieren. Neben dem Bezug auf wirtschaftliche Interessen besaß Kolumbiens Paramilitarismus stets auch klare politische Komponenten, was nicht zuletzt in arbeitsteiligen Strukturen mit staatlichen Sicherheitskräften zum Ausdruck kam. So richtete sich der Kampf der in den Autodefensas Unidades de Colombia (AUC/Vereinigte Selbstverteidigungsgruppen) zusammengeschlossenen Formationen seit 1980 gegen Funktionäre der Linksallianz Patriotische Union, aus der über 3.000 Aktivisten ermordet wurden, gegen Führer von Gewerkschaften, Bauernbewegungen und indigenen Völkern. Die Paramilitärs selbst begründeten ihre Existenz mit der Notwendigkeit von Counterinsurgency (Aufständischenbekämpfung). Tatsächlich gelang es den AUC, die Guerilla-Verbände der linksorientierten ELN (Ejército de Liberación Nacional) und FARC (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia), von einigen ihrer traditionellen Bastionen zu vertreiben.

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