Angst vor Nähe

Spirallinie In Ulrich Peltzers neuem Roman "Teil der Lösung" hat sich die alte Linke längst aufgelöst

Das muss man halt können: klug Motti setzen. Gelungen klingt es dann, wenn man veranlasst wird, darüber nach - und weiterzudenken, noch überzeugender dagegen, wenn man als Leser irritiert ist. Im Falle von Ulrich Peltzers neuem Roman Teil der Lösung wirkt das dem Buch vorangestellte Joseph-Conrad-Zitat geradezu wie ein Schlüssel zum Text - mehr noch - erscheint das erzählte Geschehen wie um das Motto herum gebaut worden zu sein: "Wir leben, wie wir träumen - allein."

Berlin, hier und jetzt. Schemenhaft zeichnen sich einzelne Figuren ab, tragen auch Namen, Fiedler oder Kremer zum Beispiel, bleiben aber blass. Bloße Funktionsträger, Rädchen und Schräubchen eines gewaltigen, ubiquitären Überwachungsapparates, der den urbanen Raum umspannt hat. Sie hocken an Bildschirmen, stundenlang, bis die Augen tränen, warten, dass etwas Ungewöhnliches passiert - oder aber auch nicht. Die Wirklichkeit - und das ist das Bedrückende - ist das, was aufgezeichnet wird, was digitalisiert ist. Big Brother ist überall, hört, sieht und nimmt auf.

Vor diesem Hintergrund hat Ulrich Peltzer seine Geschichte entwickelt: eine einfache Geschichte zunächst um Liebe und Leidenschaft, der hintergründig aber noch generationstypische Probleme und Schicksale eingeschrieben werden. Der Leser begegnet nämlich mehreren Personengruppen, die unterschiedliche Generationen repräsentieren. Auf der einen Seite sind da die beiden Freunde Christian und Jakob, Anfang/Mitte 40, der eine, Jakob, der blitzgescheite Intellektuelle, habilitierter Hochschullehrer und auf der Suche nach einer geeigneten Professur, der andere, Christian, ein mehr oder minder freier Journalist, der sich mit "odd jobs" durchschlägt und plötzlich die Idee hat, Interviews mit militanten Altlinken aus dem Umfeld der italienischen Roten Brigaden zu führen und in einer anschließenden Reportage zu verarbeiten. Eine Schlüsselfigur, so glaubt er, könnte Carl, ein inzwischen hochangesehener, unmittelbar vor seiner Emeritierung stehender Professor für Romanistik, ein 68er also, sein, der ihm Kontaktmöglichkeiten verschafft.

Auf der anderen Seite dann die Studentin Nele, in die sich Christian verliebt, eine Musterschülerin von Jakob; sie schreibt gegenwärtig an ihrer Magister-Arbeit über den romantischen Schriftsteller Jean Paul, wenn sie nicht, wie sich im Laufe der Geschichte herausstellt, mit ihrer kleinen revolutionären Zelle oder Gruppe, die irgendwie und ideologisch irgendwo irrlichternd den Globalisierungsgegnern nahe zu stehen scheint, Aktionen plant oder durchführt. Als roter Faden zieht sich durch den Roman die Suche Christians nach dem geeigneten Gesprächspartner, was Peltzer erzählerisch noch die zusätzliche Chance bietet, Anleihen beim Krimi-Genre zu nehmen. Bis sich dann alles - ja: worin eigentlich auflöst?

Nele erfährt, dass ihre Gruppe - natürlich - observiert worden ist und bei einer Aktion auffliegt; es kommt für Christian zu keiner befriedigenden Begegnung, und am Ende, so zumindest könnten es für einen kleinen Augenblick die letzten Sätze des Textes vermuten lassen, sollte es dann doch noch einen harmonischen Ausklang für das Liebespaar geben. Nele sieht im Inneren eines Cafés, in dem sie sich treffen wollten, Christian sitzen und zögert zunächst hineinzugehen: "Nele wischte sich die Tränen von den Wangen und atmete laut ein und aus, fast ein Stöhnen. Ach Christian. - Dann ging sie hinein."

Peltzer hat mit seinem neuen Roman einen großen Text geschrieben, der ganz traditionell und ebenso klassisch als Liebesroman gelesen, aber zugleich auch als (postmoderner) aktueller Zeit- und Politroman, ja Krimi verstanden werden kann. Verschiedene Lesarten, zu denen man mühelos noch die Großstadt- beziehungsweise Metropolendiskurse samt Beschäftigung mit verschiedenen Szenen und differierenden "Jargons der Eigentlichkeit" zählen kann, sind möglich; dabei fällt immer wieder Peltzers bemerkenswerte Fähigkeit zur Aussparung ins Auge. Neben einem seit dem großen Berlin-Roman Stefan Martinez (1995 ) immer wieder konstatierbaren nuancierten Detailrealismus, neben Aufzählungen, Reihungen und minuziösen Beobachtungen und Beschreibungen, ja sozusagen als deren Passepartout wirken untergründig und bestenfalls in Andeutungen die großen Themen der Zeit weiter: die Befindlichkeiten des Subjekts beziehungsweise die Beschädigungen des Individuums, ein unausrottbarer Wunsch nach Nähe bei gleichzeitiger Erkenntnis von deren Unmöglichkeit - einer Unmöglichkeit, die sich nicht nur in der je anderen Sprache, unterschiedlichen Jargons und verschiedenen ideologischen Präferenzen, sondern so ganz banal wie basal in der Angst eben vor dieser Nähe zeigt.

Manchmal hat man den Eindruck, in Peltzers Texten ein spätes Nach- und Weiterwirken der Literatur der neuen Subjektivität der siebziger Jahre, von Autoren wie Brinkmann, Born oder auch Handke, erkennen zu können. Allerdings auf einer anderen Ebene, gleichsam auf fortgeschrittener Position jener Spirallinie, die wir Zeit nennen könnten. Längst hat sich die alte Linke entweder aufgelöst oder verwaltet sich (und ihr Erbe) bloß noch, existieren neue Leitbilder, andere Allianzen, Strategien und Taktiken - bloß die Gegner sind die alten geblieben, außen und innen. Heißt dann auch, dass die Kämpfe wiederum an beiden Fronten geführt werden müssen: gegen die Bedrohung von außen ebenso wie im Inneren der Subjekte.

An zwei Stellen erzählt Christian Nele etwas von einem geplanten Roman, an dem er seit längerer Zeit schon arbeite; darin soll es um die Auflösung des Ich gehen, wie er schon zuvor einmal Jakob berichtet hat, und zwar so, dass nur noch ein "Man" (der Philosophiekundige wird sich sogleich an Heideggers Kategorie erinnert fühlen!) erkennbar ist: "es handele sich um Stimmen, Stimmen aus allen Bereichen, oben, unten, die in wechselnden Tonlagen ein Alltagspanorama, Alltäglichkeit in allen ihren Facetten, entwerfen würden, wobei sich die einzelnen Geschichten durchaus überschneiden könnten, also, die überschnitten sich auch, weil sie ab und zu eine Sache, einen Gegenstand, aus verschiednen Blickwinkeln aufrollten, zwei Stimmen, die von demselben Ereignis berichteten, Verkehrsunfall, Wohnungsräumung, was wisse er, eine Begegnung auf der Straße."

Was bleibt? Wenig. Zumindest an Gemeinsamkeiten. "Ein Vorrat an Bildern, den man teilte, Überschneidungen in Raum und Zeit, Gerüchte, Bewertungen."

Ulrich Peltzer: Teil der Lösung. Roman. Zürich, Ammann, 2007, 455 S., 19,90 EUR


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