Das Geheimnis der Familie

Kolportage In Kristof Magnussons Debüt-Roman sucht der junge Lárus ein "Zuhause"

Er heißt Lárus Lúdvigsson und ist der Ich-Erzähler in Kristof Magnussons Romandebüt Zuhause. Er ist Ende 20, schwul, und möchte Weihnachten bei und mit alten Freunden seiner Kindheit und Jugend in aller Ruhe und Gemütlichkeit auf Island verbringen. Bis dann natürlich doch alles ganz anders kommt als geplant. Dass ihn sein Freund Milan in Hamburg, seiner derzeitigen Heimat, verlassen hat und auch nicht - wie ursprünglich verabredet - Lárus hinterherreist, ja sich überhaupt nie wieder blicken lässt, wird schnell klar. Auch dass der plötzlich aufgetauchte Schulfreund Dagur "some kind of strange" ist, springt gleich in die Augen. Doch dass es dann knüppeldick hagelt - und der Erzähler sich gleich mehrere Blessuren zuzieht -, davon konnte man zunächst nicht ausgehen. Was ist also geschehen?

Dagur, ebenso verzogen-verzärtelter wie just dagegen ohnmächtig rebellierender Spross aus schwerstreichem isländischen Geldadel, verliebt sich halsüberkopf in den zwischen Trauer und Trotz schwankenden Lárus und nimmt sich - enttäuscht darüber, dass sein Liebeswunsch und -begehren nicht erfüllt worden ist - das Leben: Er rast mit seinem Land Rover Defender frontal in Fastfood-Restaurant Pizza Hut. Auftakt - wiewohl bereits in der Mitte des Romans - für einen Krimi; denn der Tod bringt eine Lawine ins Rollen, bei der schließlich alle dunklen Punkte in der Familiengeschichte Dagurs, die ihre Ursprünge auf eine altisländische Saga, jenen Egill aus dem 9. Jahrhundert, zurückzudatieren weiß, offenbar werden.

Und die sind heftig: Es stellt sich heraus, dass Dagur und Lárus Cousins sind, was noch nicht so schlimm wäre, wäre Dagur nicht gleichzeitig dem seit Jahrhunderten bestgehüteten Geheimnis seiner Familie auf die Spur gekommen - und Lárus am Ende daher sogar zum Vollstrecker geworden - : dass nämlich der tragende Grund, die Legende beziehungsweise der Egill-Mythos dank einer aufgefundenen Handschrift sich als Fälschung erweist. Aus der Traum von der Macht und Übermacht der Familie. Lárus kehrt, ernüchtert, aber auch erleichtert, ebenso seinem alten Zuhause auf Island wie seinem Hamburger Domizil, in dem der Vater mit der neuen Stiefmutter wie auch die Schwester mit ihrer Familie in aller Naivität und scheinbar unbelastet von der dunklen Vergangenheit wohnen, den Rücken. Mit unbekanntem Ziel wohin.

Magnusson hat seinen Roman hübsch und geradlinig erzählt, mit deutlichen Anleihen beim Krimi und der entsprechenden Suspense-Technik samt einem Ende ohne offen-ungeklärter Fragen. Viel wörtliche Rede und dazu Generationentypisches lassen den Text zum Pageturner werden für Angehörige der Jahrgänge 1975ff. Diesseits und jenseits jedoch der Island-Klischees von den Elfen bis zu Björk bleibt die Insel merkwürdig blass. Man kann sich den Roman als Drehbuchvorlage eines mit - sagen wir - zwei Sternen ausgezeichneten, am Ende noch preisgekrönten deutschen Fernsehspiels des Jahres 2006 bestens vorstellen. Es geht um Handlung, um die Plotorientierung und die Inszenierung des Unverhofften, weshalb sich Magnusson auch gar nicht groß um kolportagehafte Elemente in seiner Erzählung (etwa der Selbstmord von Dagur, verschiedene Angriffe auf Lárus, die Entdeckung der Handschrift) schert. Das alles hat dem 1976 in Hamburg geborenen Autor, der am Leipziger Literaturinstitut studiert hat und jetzt in Berlin lebt, in diesen Tagen den Rauriser Literaturpreis beschert.

Si no è vero è bene trovato. In diesem Sinne: Wenn man sie denn mag, solche Konfektionsware, dann wird man unterhaltungsmäßig gut bedient bei dem jungen Herrn Magnusson.

Kristof Magnusson: Zuhause. Roman. München, Kunstmann, München 2005., 320 S., 19,90 EUR


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