Ein pfeilsicheres Lächeln

WELTSPIEL IM LIEBESSPIEL Brigitte Kronauers neuer Roman »Teufelsbrück«

Nein, sie sind einfach nicht die richtigen Männer für sie, weder der alternative Küster Specht noch der erfolgreiche Ingenieur. Der eine, Specht, geht ihr einfach auf die Nerven, weil er ihr zu aufdringlich ist und immer zu nahe auf die Pelle rückt, der andere mag lediglich für eine Nacht gut und tauglich sein. Mehr aber nicht. Nein, Maria Fraulob, Witwe in besten Jahren, Schmuckherstellerin und begnadete Erzählerin ihrer selbst, bildet keine Ausnahme von der Regel: skeptisch beäugt sie mit zunehmendem Alter die sich spreizende (Männer-) Welt ringsum, findet, was die anderen auch so empfinden, Männer ab vierzig nämlich entweder beschissen oder besetzt und scheint sich damit abgefunden zu haben.

Und dann passiert es eben doch noch: mit der Gewalt eines Erdrutschs reißt es ihr den Boden unter den Füßen weg. Plötzlich steht Leo da, Leo Ribbat, dort im Elbeinkaufszentrum - aber leider nicht allein, die ältere und alternde Zara, Zara Johanna Zoern, wie das Klingelschild beim späteren Besuch ausweist, an seiner jüngeren Seite. Ein Blick, ein konvulsivisches Zucken, ein Ausrutschen - schon ist es passiert, steht Maria in Flammen. Was sich im Rückblick der Erzählerin dann so liest: »Schon beim ersten Mal, im EEZ, als wir voreinander in komischer Verklammerung knieten, zusammengeschossen, zwei Magnethündchen, gehorsam einer befehlenden Anziehungskraft, stempelten sich, zur Eröffnung einer langen Reihe, dieser erste unserer markanten Auftritte in mich ein. Wie könnte ich Sturz, Kacheln, Umarmung fremder Arme je vergessen, auch wenn Leo es vielleicht kaum registrierte.»

In ihrem neuen, umfänglichen Roman lässt Brigitte Kronauer ihre Erzählerin Maria ein ebenso dichtes wie feines ironisches Gespinst weben, worin die Geschichte der kurzen Affaire mit Leo, ihrer Romanze, wie sie es selbst einmal nennt, verdichtet ist. Dabei hält sie sich immer hart an der Oberfläche der Dinge und aller menschlich-männlichen Wesenheiten auf, baut auf die Irritationen der Sichtbarkeit und verweigert (sich) konsequent (der) die psychischen Tiefendimensionen. So entsteht ein faszinierend-betörender Text über Altbekanntes und Vertrautes, den alltäglichen Liebesbeziehungsstress, den wir aber eben so noch nie vernommen haben. Denn Maria Fraulob, diese moderne Scheherazade, die an neun langen Abenden ihrem Gegenüber, einer älteren Frau, die - man weiß es bis zum Schluß nicht genau - immer mehr Züge von Zara annimmt, die Dramaturgie ihrer Leo-Geschichte enthüllt, sie zeigt uns zugleich neue (Sprach-)Welten, andere Schichten auf. Ein Beweis für große Literatur: sie lässt uns Bekanntes neu sehen!

Wie ist das nun aber mit der Liebe? Sie ist da, urplötzlich, mit einem Paukenschlag und Augenaufschlag, in jenem Augenblick, da sich Blicke unauflöslich ineinander verhaken. - Hat man schon einmal solche Augen gesehen, die bei Maria »ein Zittern, Aufschrecken, Zusammenziehen, Flattern, Erweitern, Verfärben, um den Hauch einer vergänglichen Änderung« auslösen? Einen solchen Mann, in dessen Gegenwart ihr das, was sie ausmacht, schier dahinschwindet? Ein solches »pfeilsicheres Lächeln« ins Körperinnere hinein? Dann schließlich diese Hände, die, als es darauf ankommt, »schwer fallend, gleichzeitig leichtfüßig federnd«, vor allem »dumm zudringlich« alles Wesentliche packen? Leo heißt der Mann ihres Begehrens, ihres (mit dem Titel des neuen Romans von Dieter Wellershoff) »Liebeswunsches«. Dass es da noch die andere, ältere Lebensgefährtin Leos gibt, mindestens noch eine weitere Geliebte, Sophie, die aus Liebeskummer erst ihn, Leo, erschießt und danach sich selbst, dies alles interessiert Maria nur eigentlich am Rande, wenn sie, was ihr selten zwar, aber immerhin gelingt, endlich mit sich eins ist, sich »ganz auf einen einzigen Punkt zusammengerückt« empfindet.

Doch Vorsicht! Der Roman beschreibt keine Idylle, keine verquaste Liebe in Zeiten der Finsternis, stimmt auch kein hohes Lied des Körpers und der Sexualität an - im Gegenteil. Der Witz und eine der Pointen besteht gerade in der Diskrepanz, im Missverhältnis von Selbsteinschätzung und Erwartung, Wahrnehmung und Beobachtung, deren Untiefen Kronauers Sprache und Marias Erzählung auf grandiose Weise ausleuchtet: »Etwas, eine Frage? Bedauern? Gar Reue? Entfernte sich aus seinem Blick. Dann wanderte dieser veränderte Blick abwärts. Ich bin nicht der Meinung, es gäbe viel über meinen Körper zu sagen, hoffte jedoch, es existierte für Leos Augen ein konventionelles Ziel, dem erotischen Brauchtum gemäß ein Stop in Höhe jener dunkel markierten Zentralzone, die ich ihm, glaube ich, mit instinktiver Höflichkeit leicht entgegenhob. Vergeblich allerdings, und so bemühte ich mich, durch eine Bewegung der Hüften sie doch noch im letzten Moment als unweigerlichen Blickfang zu offerieren.« Da kann man mit der erstaunten Erzählerin sich nur fragen, wundern, bisweilen sogar lächeln, »was einem, auch wenn man in dieses Hin und Her auf den Laken voll involviert ist, gleichzeitig bis auf eine kleine Lücke durch den Kopf geht, zumindest als simultane Grundstimmung.« Eben, genau: im Liebesspiel versucht Kronauers Maria, das ganze Weltspiel, ihre kleine Lebensbühne, unterzubringen. Und was hat darin und darauf nicht alles Platz: ein Zaubergarten ebenso wie eine märchenhafte Schuhsammlung, Wundertiere und phantastische Vögel, skurrile Figuren - Dinge, die dem Kronauer-Leser bereits aus anderen Texten schon vertraut sind und sich untergründig, rhizomartig durch das Erzählwerk ziehen.

Auf die Frage: Was ist Schönheit? hat Brigitte Kronauer einmal mit einer Miszelle für die NZZ geantwortet: »Sie ist flüchtig, anarchisch, trügerisch. Kurzum: Sie ist eine Himmelsmacht. Das Euphorisierende, Paradiesverheißende, jenseits der konventionellen Tugenden, schlechthin.« Ich denke, daß die Erzählerin ihres neuen Romans dem unbedingt und im Blick auf den Mann ihres Begehrens wohl zugestimmt hätte. Und ich kann mich im Blick auf Kronauers neuen, großartigen Roman dem nur anschließen.

Brigitte Kronauer: Teufelsbrück. Roman. Klett-Cotta-Verlag, Stuttgart 2000, 512 S., 44.- DM

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