Es war einmal ein Debütant

Ende gut, alles schlecht Auch in seinem neuen Buch "Da kann man nichts machen" liebt Ingomar von Kieseritzky die Versager

Eine Archäologie des Alltags - immer natürlich verknüpft mit petite histoire". So hieß es einmal eingangs eines Textes Ingomar von Kieseritzkys, unlängst auch bloß Kieseritzky, jetzt wieder "von". Und man könnte darunter so etwas wie eine Selbstermunterung des Schreibenden wie dessen poetologischen Vor- und Bodensatz verstehen. Das würde schließlich auch erklären, warum man Kieseritzkys Bücher, Romane, Erzählungen, Novellen und Hörspiele, einfach nicht nacherzählen kann: nicht so ohne weiteres jedenfalls, denn wofür Kieseritzky in Da kann man nichts machen 269 Seiten, im Kleinen Reiseführer ins Nichts sogar 357 Seiten benötigt, dafür braucht ein öder Prosaiker wie gewissenhafter Rezensent bestenfalls die doppelte Länge. Dabei hätte er dann nur ein dürres Gerippe jener "petites histoires" abgehaspelt, die Kieseritzky, diese "Abnormität in der deutschen Literatur" (so Heinrich Vormweg anlässlich des Berliner Literaturpreises von 1992), genialisch miteinander verzwirbelt. Anyway.

Ein anderer jener seltenen Humoristen von Jean Pauls Gnaden, Ludwig Harig, hat Kieseritzkys Werk rezensierend seit frühesten Tagen begleitet und dann auch die Laudatio auf den Preisträger des Kasseler Literaturpreises für Grotesken Humor des Jahres 1999 gehalten. Das kommt nicht ungefähr, denn auch Harigs frühes Werk - die Sprechstunden für die deutsch-französische Verständigung (1971) und die Allseitige Beschreibung der Welt (1974) - inszeniert das Pandämonium der Welt (samt Germanicums) als gigantisches Sprach- und Wörterspiel, radikal künstlich und gnadenlos konstruiert, eine einzige humoristische Digression. Ähnlich wie Harigs Kosmologie erstreckt sich auch Kieseritzkys Kosmos so weit, wie der Wahnsinn der Vernunft reicht, die der Humorist und Hochkomiker grimassierend und feixend überführt.

Kieseritzkys Helden - allesamt "Sterne gegen die Gesellschaft" (mit Franz Jung zu sprechen) - sind Alkoholiker und Hurenböcke, Erfinder und andere Verrückte, dilettierende Genies und Systematiker wie delirierende Schriftsteller und Künstler ihrer selbst. In einem Wort und mit der allfälligen Antwort Kieseritzkys auf die entsprechende Frage im FAZ-Fragebogen: Ihre Lieblingsgestalt in der Geschichte? - Die Versager. Alfred Kacz zum Beispiel, Protagonist des Kleinen Reiseführers ins Nichts, lebt die längste Zeit fröhlich saufend in Brighton, bis ihn die Botschaft des im fernen Berlin leidenden, scheinbar todkranken Vaters und Bestattungsunternehmers erreicht, doch tunlichst nach Hause zurückzukehren. Wo das Elend dann seinen unaufhörlichen und ungeahnten Lauf nimmt, weil der arme Kacz junior, heftig drangsaliert vom Senior, noch durch andere Figuren - Krankenschwester und Ärzte sowie andere Rat- und Trostgeber - gepiesackt wird, bis sein "System" zusammenbricht (Vater tot, Erbe futsch) und er im Hospital landet: Ende gut, alles schlecht. Fortan hält sein "Aufschreibsystem" fest, was ihm einzig noch erzählenswürdig ist: "Schließlich muß man sich vernünftigerweise an die Erinnerungen halten, die man hat und darf nicht Phantome jagen, die keinerlei Bedeutung haben." Letzter Satz. Überleitung. Nächstes Buch.

Denn genau in jenem opaken Zwischenraum der Phantasie, die bekanntlich die ärgsten Kapriolen schlägt, wenn sie einmal - mit und ohne Alkoholika - frei vagierend durchs Erinnerungsgelände stromert, ist Da kann man nichts machen angesiedelt. Hier bemüht sich nämlich der gute Herr Randolf v. K., Noch-Buchhändler aus Berlin, darum, als Schriftsteller zu debütieren, weshalb er sich auf Anraten seiner alten Tante Milly - Vorsicht vor alten Tanten, wie wir aus einem anderen Buch Kieseritzkys mit dem bezeichnenden Titel Unter Tanten wissen - aufs Genre des Familienromans legt, aber nicht weit oder tief - oder wie immer man mag - vor- beziehungsweise zurückdringt, sondern vom plötzlichen Tod auf dem Abort im Zug Berlin-Wien ereilt wird. Das vorhandene Manuskript wird vom tschechischen Schaffner Vicovic geborgen, gelesen, wenn auch nicht für gut befunden: Bis auf den ersten Satz, der "schön im Bau" und "viel zu sagen" hatte. Er ermuntert Jaroslav Vicovic dazu, nun seinerseits mit der Schriftstellerei zu beginnen, genauer: mit dem Erzählen. "Nach einer halben Stunde intensiver Kontemplationen und verworfener Wörter schrieb er seinen ersten Satz. - Es war einmal..." So endet Kieseritzkys neuer Roman. Der Kreis hat sich geschlossen, wieder einmal - aber an jedem einzelnen Punkt auf der Kreislinie könnte es von neuem beginnen. Wer weiß.

Never ending story oder - mit Kieseritzky zu reden - les petites histoires, die der Humorist da aus seinem Phantasiehut und Erzählsack hervorzaubert, um keinen Kalauer verlegen ("Die Trapper durch die Wüste ziehen, der Trippa färbt det Hemde jrün"), keine kleinen Bosheiten scheuend ("Als Gottes Atem leiser ging, schuf der den Grafen Keyserling"), Wissenschaften und Philosophie traktierend sowie gute und schlechte Literatur zitierend. Wieder einmal treibt Kieseritzky ein raffiniertes Spiel mit verschiedenen Erzählern und unterschiedlichen Perspektiven, verwirrt mit sardonischem Lächeln seine Leser und spielt dabei den Narren: Figuren treten auf und wieder ab, leben noch gar nicht und werden doch schon erzählt, sind in der x-ten Inkarnation vorhanden.

Wer da nach Referenzen sucht und nach einem irgend gearteten Realismus fragt, hat das Spiel der Literatur schon verloren - ein Spiel, das da heißt: il faut être absolument comique! Und wem schon nicht die Lachfalten um die Mundwinkel spielen bei der bloßen Vorstellung, dass einem Frauenliebhaber beim ersten, noch schüchternen Annäherungsversuch an die Begehrte sich deren Hund an das Gemächte dieses Liebhabers heranmacht (und genüsslich verspeist), der sollte sich Kieseritzkys Darstellung dieser Szene erst gar nicht genau anschauen. Da kann man halt nichts machen!

Ingomar von Kieseritzky: Da kann man nichts machen. Roman. Beck-Verlag, München 2001, 268 S., 38,- DM
Kieseritzky: Kleiner Reiseführer ins Nichts. Roman. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 1999, 357 S., 41,99 DM

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