Heini Hampelmann

Zeitbombe Kerstin Hensels neuer Roman "Falscher Hase"

Heinrich Theodor Paffrath, so der Name des Vaters, Feuerwehrhauptmann, heimlicher Bastler und selbsterklärter Erfinder; Heini dagegen, der Sohn, Polizist und sonst nichts. Darin steckt bereits das ganze Dilemma. Denn: "Heinrich Theodor, ein echter, ein starker Name. Kein kleingetaufter Kosename wie Heini, sondern eine Mannesbezeichnung mit Anklängen an Herrschaft und Gott, im Ganzen siebensilbig - was für ein ausdauernd stolzer Klang!"

In ihrem neuen Roman erzählt Kerstin Hensel, die erst vor zwei Jahren mit Im Spinnhaus ein breites historisches Panorama gezeichnet hat, wiederum rund 70 Jahre deutscher Geschichte: und wieder von unten, wieder als Alltagsgeschichte. Beide nämlich, Vater wie Sohn Paffrath, Nachfahren von Heinrich Manns Untertan Diederich Heßling, verkörpern für ihre Zeit und jeweilige Generation das Muster des angepasst-unauffälligen Kleinbürgers. Vater Paffrath mogelt sich als Feuerwehrmann so durch die Zeitwenden und verschiedenen Systeme, erhält auch einmal den persönlichen Dank von Propagandaminister Goebbels, um dann doch - Pflichtmensch durch und durch - gegen den von der SA angeordneten Befehl zu handeln, in der Kristallnacht die Schläuche ruhen zu lassen, indem er eben doch zu diesen greift.

Der Sohn hingegen, abgebrochener Physik-Student der TU Berlin, siedelt endlich, um seiner (eingebildeten) Liebsten, der Zahnarzthelferin Maschula, näher zu kommen, unmittelbar nach dem Mauerbau in die DDR über und wird dort Polizist. Bis - ja bis er, nachdem auch die DDR längst untergegangen ist und er auch im wiedervereinigten Deutschland sein ruhiges Polizistendasein weiterführen darf, in Rente geschickt wird.

Doch dann passiert es - bricht es geradezu in ihm aus, und in Rückblicken wird erzählt, was da alles bis zum Tag der Pensionierung - dem Tag, der den Ausgangs- wie Endpunkt einer klassischen Rahmenhandlung bildet - geschehen und unter der Decke gehalten worden ist. Wahre Abgründe tun sich auf: nicht nur (möglicherweise noch) belächelnswerte Gewalt- und Mordphantasien Heinis ob der Zurückweisungen und Schmähungen durch die ferne Maschula, sondern auch ein wirkliches Verbrechen, ausgelöst durch einen Brandsatz, mit dem er die Wohnung eines kurzfristig mit ihm befreundeten Pärchens, Eva und Bogumil, das sich angesichts von Heinis ungelenken, ja geradezu desaströsen Annäherungsversuchen ganz schnell wieder zurückzog, abgefackelt hat.

Was durch den penibel strukturierten und geregelten Alltagsverlauf - immer dasselbe Lieblingsessen ("Falscher Hase") in immer derselben Eckkneipe mit immer derselben Kodderschnauzenbedienung Märrie - hindurchscheint, sind keineswegs bloß harmlose Idiosynkrasien oder verzeihliche Macken, sondern geradezu fürchterliche Untiefen. Merke: das vermeintliche Abseits des Alltags kann nie ein sicherer Ort sein; eine machtgeschützte und -gestützte Innerlichkeit lässt zwar die Oberfläche und Außenseite glatt und poliert aussehen, doch darunter brodelt, gärt und rumort es unablässig, gewaltig und gewaltsam. Bereits der Vater erscheint zunächst als Muttersöhnchen, um danach von seiner Frau beherrscht zu werden, und der Sohn hat es nie gelernt, seine wahren Gefühle zu zeigen, geschweige denn sie wirklich zu leben. Der Kleinbürger als tickende Zeitbombe.

Ob er´s am Ende eingesehen hat? Offensichtlich jedenfalls kann er mit den Schuldgefühlen nicht weiterleben. Oder ist es nicht vielmehr doch die Einsicht, dass es "das Beständige, dem er zeit seines Lebens auf der Spur (war)", in eben diesem (und unser aller) Leben niemals geben wird? "Heini Paffrath", so endet der Roman, "bittet um etwas anderes. Mit der linken Hand krempelt er den rechten, mit der rechten den linken Jackettärmel hoch. Dann streckt er dem Kollegen Stefanek die blanken Handknöchel entgegen."

Kerstin Hensel: Falscher Hase. Roman. Luchterhand, München 2005, 220 S., 19 EUR


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