Prost zum Feierabend

Grauer Alltag Henrik Hieronimus überraschendes kleines Debüt "Morgens an diesem Tag"

Das klingt wie eine unreine Mischung aus früher Werkkreisliteratur der Arbeitswelt und Jörg Fauser, dem früh verstorbenen Anarcho-Poeten und Bukowski-Jünger: "Es war ein Baugebiet direkt hinter einem Truck Stop, den ganzen Tag über wehte der Geruch von altem Fett und Buletten hinüber, und wenn man halb ausgehungert die Steine in den Sand warf, lechzte man selbst danach." So liest sich der Auftakt zu einem bunten Reigen kurzer und kürzester Geschichten, die der 1979 in Marl (Ruhrgebiet) geborene und mit diesem Band debütierende Henrik Hieronimus zusammengestellt und - gottlob - nicht gleich Roman genannt, sondern schlicht mit Geschichten vom Leben untertitelt hat.

Ein Leben ganz im Hier und Heute, im tiefen Westen der Republik und auf dem Bau; mal wird ein wenig gekifft, meist aber nach Feierabend, wenn nicht Müdigkeit von der Plackerei sich breit macht oder - in helleren Momenten - der Schreibwunsch aufkeimt, viel Bier - Reißdorf nämlich - konsumiert. Im Grunde genommen werden in diesen Geschichten trostlose Alltagsexistenzen geschildert, deren Ausbruchswünsche und Phantasien schon an der nächsten Straßenecke platzen. Hieronimus schafft es, Underdogs - wobei das erzählende Ich durchaus pars pro toto steht - eine Stimme zu geben und in kleine Geschichten zu verstricken, was beide, die Typen wie ihre Geschichten, irgendwie liebenswert aussehen lassen.

Damit gelingt ihm sicher auch noch ein weiteres kleines Kunststück in der aktuellsten deutschen Gegenwartsliteratur. Ohne den Ruf nach der vielfach traktierten und totdiskutierten Realitätshaltigkeit zu bemühen, muß man diesem wahrhaft anachronistischen Buch doch seine stupende Bemühung um die erzählerische Konturierung der Farbe Grau (des Alltags, der Wirklichkeit, der Existenz) hoch anrechnen. Erinnern wir uns dabei wieder einmal daran, dass einer der ganz Großen und hier Ungenannten gerade in der Beschäftigung mit dieser Unfarbe die höchste und zentralste Aufgabe von Literatur gesehen hat - dazumal.

Hieronimus versucht´s für seine Generation und mit seinen (bescheideneren) Mitteln neu. Und man möchte ihm zurufen: weiter so! Wenn auch vielleicht nicht ganz so gestelzt wie im letzten Satz: "Mit einem Prost begrüßte ich den Feierabend, den wankenden Endspurt dieses poetischen Achselzuckens, auch Alltag genannt."

Henrik Hieronimus: Morgens an irgendeinem Tag. Geschichten vom Leben. Jung und Jung, Salzburg und Wien 2003, 114 S., 16 EUR


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