Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte. Es scheint, als wählten Moon Jae-in und Kim Jong-un, die Staatchefs Süd- und Norkoreas, eine andere Variante: Wenn zwei sich einig sind, wird es leichter mit dem Dritten. Gerade hatte US-Präsident Donald Trump seinen für den 12. Juni in Singapur vorgesehenen Gipfel mit Kim wegen dessen angeblichem „ungeheurem Groll“ und „offener Feindseligkeit“ abgesagt – und diese Absage bald schon wieder relativiert –, da trafen Moon und Kim am Wochenende überraschend ein weiteres Mal zusammen: im Grenzort Panmunjom, dieses Mal auf der nordkoreanischen Seite.
Südkoreas linksliberaler Präsident Moon und seine Regierung sind „mit Geduld und Augenmaß“ bemüht, Trump & Co. klar zu machen, dass mit dem Norden Gespräche geführt werden müssen; Nordkorea werde bei Zusicherung seiner territorialen Integrität abrüsten und wolle seine Wirtschaft aufbauen. Zwar hat auch Nordkorea mit seiner zwischenzeitlichen Absage von Regierungsverhandlungen, die praktische Schritte der Kooperation wie die Anbindung der Schienennetzes betrafen, Fehler gemacht. Insgesamt aber wirkt Pjöngjangs Strategie weitaus koordnierter und überlegter als all die aus Washington vernehmenbaren widersprüchlichen Angaben zu den Vorbereitungen des Singapur-Treffens.
Libyen? Unpassender Vergleich
Aus eigener Sicht hat Nordkorea große Vorleistungen erbracht, vor allem die Zerstörung eines Atom-Testgeländes genau an dem Tag, als Trump den Gipfel zunächst absagte. Es kann durchaus sein, dass der Norden über die Technologie verfügt, Tests im subkritischen Bereich durchzuführen, die Rückschlüsse auf die „große Bombe“ ergeben, jene Anlage also gar nicht mehr braucht. Doch abgesehen vom fraglichen Wahrheitsgehalt solcher Vermutungen war deren Zerstörung ein wichtiger symbolischer Schritt.
Von Symbolgehalt ist auch das, was Trumps Sicherheitsberater John Bolton vorschwebt: das Libyen-Modell – Singapur als Canossa, Kim soll nicht mit dem Flugzeug, sondern auf Knien kommen. Konkret bedeutet das: völlige nukleare Abrüstung, danach Bürgerkrieg mit ausländischer Intervention, Ermordung des Führers, zerbröckelnder Staat. Pjöngjang stört dabei weniger die Drohung als die Gleichsetzung mit Libyen, welches im Gegensatz zu Nordkorea über keine einsatzbereiten Nuklearwaffen verfügte; das Land erwartet deshalb Gespräche auf Augenhöhe.
Washingtons apodiktische Forderung nach einer „umfassenden, nachweisbaren, irreversiblen“ Denuklearisierung – das heißt: alles und zwar sofort – ist verhandlungsschädlicher Theaterdonner. Die US-Regierung trägt somit die Forderung nach „Denuklearisierung“ wie einen Fetisch vor sich her und weigert sich beharrlich, größere Zusammenhänge zu berücksichtigen. Denuklearisierung kann nur Ziel, nicht Vorbedingung für Verhandlungen sein; und auch den USA ist eigentlich sehr wohl klar, dass ein solcher Prozess Jahre dauert und dass an ihm alle Beteiligten konstruktiv mitwirken müssen, auch die USA selbst. Auf ihrem Gipfel im April erklärten Moon und Kim eine nuklearwaffenfreie koreanische Halbinsel zum Ziel, und dabei sollten beide ihre „ihre jeweiligen Rollen und Verantwortungen erfüllen“. Die Verantwortung der USA – Sicherheitsgarantien zu geben – steht aus Sicht Kims freilich in Frage, nicht nur wegen des derzeitigen Hin und Hers, sondern vor allem in Bezug auf Iran: Wie können Sicherheitsgarantien der USA glaubhaft sein, wenn deren Präsident Verträge wie das Atomabkommen kündigt, weil er sie eben für schlecht hält?
Lassen Bolton, Trump und die USA Südkoreas Präsidenten Moon scheitern, so würde das den Norden in seiner Einschätzung bestätigen, der Süden sei nur Minipartner der USA und habe im Zweifelsfall nichts zu sagen. Besonders schädlich für den Gang der Dinge wäre, wenn Pjöngjang Seoul bestraft, weil es über Washington verärgert ist. Mit dem innerkoreanischen Gipfel vom April in Panmunjom sollte eine „neue Ära des Friedens“ beginnen – im Mai gab es ein großdimensioniertes Luftwaffenmanöver der USA und Südkoreas, die einen Angriff auf den Norden übten. Dessen Regierung wirft der im Süden vor, bei den USA keinen Verhaltenswandel bewirkt zu haben, für Pjöngjang sei sie „ihrer Rolle und Verantwortung“ nicht nachgekommen. Es ist noch immer die alte Tragik Koreas: Außenabhängigkeit und Binnenstreit verstärken sich wechselseitig.
Jener Gipfel im April machte Hoffnung, nun endlich sei die Erkenntnis durchgedrungen: Solang es keine Normalisierung zwischen beiden Staaten gibt, bleiben sie extrem abhängig und Spielball ausländischer Interessen. Wenngleich beim ersten Härtetest diese koreanische Gemeinsamkeit Schaden nimmt, dann ist auch dieser Schaden gesamtkoreanisch.
Rechte Hand auf Reisen
Mit dem Treffen von Kim und Moon am vergangenen Wochenende aber könnte das beginnen, woran ein gravierender Mangel bestand: gesamtkoreanische Initiativen. Weitsichtige frühere Präsidenten wie Kim Dae-jung und Roh Moo-hyun haben trotz gewaltigem Systemgegensatz stets auf gemeinsame Interessen hingewiesen. Der Druck der Trumpisten mag jetzt helfen, dass Seoul und Pjöngjang sich auf diese konzentrieren. Beide Koreas sollten Eckpunkte oder den Entwurf für einen Friedensvertrag vorlegen, um den Rahmen zu erweitern.
Derweil hofft Moon Jae-in auf ein Dreiertreffen zwischen ihm, Trump und Kim nach deren Gipfel – oder aber bereits bei diesem, sofern er stattfindet. Darauf deutete zuletzt hin, dass sich Kims rechte Hand Kim Yong Chol auf den Weg nach Peking und dann in die USA gemacht haben soll, Trump soll außerdem bald Japans Premier Shinzō Abe treffen. Wichtig ist in jedem Fall der Einbezug Chinas. China wird eine dominierende Macht im asiatischen Raum sein, eine gedeihliche Zusammenarbeit zwischen den USA und beiden Koreas wäre also im Interesse von Washington, Seoul, Pjöngjang und auch Tokio. Derzeit wartet Russland ab, ist Japan verunsichert, die EU wieder einmal ratlos und China profitiert.
Noch scheint alles möglich zu sein; kommt es trotz der gesamtkoreanischen Bemühungen nicht zu dem Gipfel oder aber endet dieser mit einem Eklat, dann wäre eine große Chance vertan.
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