700.000 Euro Taschengeld

Selbstbedienung als Routine Der Fall des Hermann-Josef Arentz und der moralische Zustand der CDU

Von RWE bezog er 14 Monatsgehälter à 4.254 Euro. Jährlich 14 Monatsgehälter - auf diese übertarifliche Bezahlung legte Hermann-Josef Arentz großen Wert. Der CDU-Landtagsabgeordnete in Nordrhein-Westfalen, der "profilierte Sozialpolitiker", der Bundesvorsitzende der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA) hatte seinen Preis. Auch die zusätzliche Naturallieferung von 7.500 Kilowatt kostenlosen Stroms war gut bemessen, sie reichte für den sorglosen Energieverbrauch im ganzen Jahr.

Arentz, seit 1980 Landtagsabgeordneter in Düsseldorf, auch stellvertretender Fraktionschef, war mit seinen weiteren Funktionen als CDA-Vorsitzender, als Mitglied des CDU-Präsidiums und als Vorsitzender des CDU-Bundesfachausschusses Sozialpolitik mehr als ausgelastet. Und so dürfen die insgesamt etwa 700.000 Euro, die er seit 1992 von der Rheinbraun AG, heute RWE Power AG, bekam, wohl als arbeitsloses Einkommen gelten. Als dieser Nebenverdienst ohne Gegenleistung zwei Tage vor dem CDU-Parteitag bekannt wurde, zeigte das "soziale Gewissen" der Partei keine Gewissensbisse. Im Gegenteil, Arentz rechtfertigte die Zahlung als ihm zustehenden, ja notwendigen Anspruch: Er könne seine "innere Unabhängigkeit" nur bei entsprechender finanzieller Unabhängigkeit bewahren.

Die 8.300 Euro als Landtagsabgeordneter reichten dazu nicht aus. "Da ich weder Beamter auf Lebenszeit noch von Hause aus reich bin, musste ich mir ein zweites Standbein schaffen." Weder sein sozialpolitisches Engagement noch seine christliche Einbindung - Familienbund der Deutschen Katholiken, Gesellschaft katholischer Publizisten, Hauptausschuss des Diözesanrates der Katholiken im Erzbistum Köln - vermittelten ihm Grenzen für seine routinemäßige, übertarifliche Selbstbereicherung. "Ich stehe dem Unternehmen jederzeit zur Verfügung, wenn ich gebraucht werde" - was er als Rechtfertigung vorbrachte, beschreibt ungewollt deutlich seine Käuflichkeit.

Bis zuletzt zeigte Arentz kein Unrechtsbewusstsein. Auf dem Düsseldorfer Parteitag kandidierte er weiter für das Präsidium. Erst als er durchfiel, begann die Kette seiner Rücktritte. Innerhalb von zwei Tagen war er politisch ein toter Mann. CDA-Vorsitz, CDU-Präsidium, Landtagskandidatur, zukünftiger Wirtschafts- und Sozialminister im Schattenkabinett der nordrhein-westfälischen CDU - alles vorbei.

Das fehlende Unrechtsbewusstsein gehört zur moralischen Grundausstattung seines politischen Milieus. CDU-Landesvorsitzender Rüttgers gab auf dem Parteitag die Parole aus: "Durchwählen". Auch die Landeschefs von Hessen und Niedersachsen, Roland Koch und Christian Wulff, signalisierten Unterstützung für Arentz. Uwe Schummer, CDU-Bundestagsabgeordneter, fand die Abwahl ungerechtfertigt: "Erstens ist ein solcher Nebenjob rechtlich vertretbar, zweitens war er lange bekannt." So ein "Job" sei "wie eine Rechtsschutzversicherung: Die Firma kauft sich Sozialkompetenz, auf die sie bei Bedarf zurückgreifen kann."

Keiner aus der CDU erklärte, dass Arentz´ Verhalten mit den Grundwerten der Partei und der parlamentarischen Demokratie unvereinbar sei. Oder wenigstens, dass es unmoralisch sei. Nur das Image-Problem zählte. Die CDA-Spitze verlautbarte zur RWE-Zahlung: "Das sieht bei der Basis nicht gut aus." CDA-Vize Ralf Brauksiepe befand: "Da wird eine Neid-Debatte angezettelt." Rüttgers drängte Arentz nur zum Rücktritt, weil er eine "Belastung" im Wahlkampf sei. Nach dem Abgang bekundete man ihm "Respekt". Aufschlussreich ist die dröhnende Stille gegenüber dem Zahlmeister: Kein CDU-Funktionär äußert auch nur die geringste Kritik am RWE-Konzern. RWE ist tabu. Vermutlich erhalten noch weitere Parteikollegen eine Zusatzversorgung - und nicht nur verbilligten Strom, wie CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer.

An die Öffentlichkeit kam der Fall Arentz durch eine anonyme Mitteilung an den Staatsanwalt in Köln. Der Kölner Stadt-Anzeiger, Verfechter des Merkel-Kurses, wusste sofort, dass hier nachzuhaken war. Die FAZ kürte Arentz 2003 zum "Blockierer des Jahres", nachdem er die Vorschläge der Herzog-Kommission als "sozial unausgewogen" bezeichnet hatte. So schnell seine zaghaften Ausfälle gegen schamlose Erhöhungen von Managergehältern im Sande verliefen, so unpassend war er doch für die Anti-Sozialstaats-Linie der Merkel-Führung. Schon beim letzten Parteitag hatte er mit 55 Prozent das schlechteste Ergebnis. Nun stand er zum Abschuss frei.

Der Arbeitnehmerflügel hatte seine Bedeutung in der Nachkriegs-CDU. Als Kampftruppe von Adenauers Sozialminister Katzer und Blüms Herz-Jesu-Marxisten band er einen beträchtlichen Teil der Arbeitnehmer an die christlich firmierte Partei, die ihrerseits das Geben und Nehmen verstand. Als Kurt Biedenkopf in den siebziger Jahren den "roten Genossenfilz" in NRW anprangerte, versickerte die Kampagne schnell: Die CDU wurde mit vielfältigen Vorteilsgaben von RWE und WestLB ruhig gestellt, die CDA eingekauft. Ein gewisser Helmut Kohl hielt bei Bedarf Druck- und Belohnungsmittel aus seinen schwarzen Kassen bereit.

Die Zuwendung für CDA-Auslaufmodell Arentz dürften an der unteren Grenze des Üblichen liegen. Mehr war er dem hart kalkulierenden global player RWE nicht wert, aber es genügte ja auch. "Die Grundwerte-Diskussion ist eine politische Goldader für CDU und CSU", hatte Arentz einst erklärt. Er weiß, dass seine Partei einen schönen Himmel braucht, wenn sie mit der anderen Volkspartei um die asozialste Politik wetteifert und von einem kollektiven Pressesprecher "der Wirtschaft" kaum noch zu unterscheiden ist. Die christlich-patriotische Färbung des Wertekanons, die "Heimatliebe", gesponsert von Konzernen, die Heimatlosigkeit zum Prinzip erklärt haben, muss nun allerdings ohne den guten Hermann-Josef auskommen.


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