Als die Berner Regierung am 21. Oktober in einer Sondersitzung beschloss, Maurice Papon an Frankreich auszuliefern - nachdem er sich bereits zehn Tage in der Schweiz aufhielt -, wurde dies als rechtsstaatliche Entschlossenheit dargestellt. In Wirklichkeit ist es so: der verurteilte Nazikollaborateur war in die Schweiz geflüchtet, weil dies der einzige Staat in Europa ist, der Verbrecher gegen die Menschlichkeit nicht ausliefert. Bei einem normalen rechtsstaatlichen Auslieferungsverfahren hätte die helvetische Rechtslage wegen der internationalen Aufmerksamkeit zur Blamage geführt.
Solche Abweichungen von westlichen Standards gelten in der Schweiz in mehrerer Hinsicht, so beim Bankgeheimnis, bei Steuerhinterziehung, bei der Einschaltung von Tarnfirmen und beim Schmuggel (Kunst, Waffen). Blocher und seine SVP verteidigen diese Konditionen des Wirtschaftsstandorts Schweiz besonders hartnäckig. Die Charakterisierung Blochers als "fremdenfeindlich" und "Europa-Gegner" ist deshalb unvollständig. Er ist ein milliardenschwerer und weltweit operierender Unternehmer, der keineswegs allein steht. Sein ursprüngliches Standbein ist die Ems-Chemie - mit 2.700 Beschäftigten größter Arbeitgeber im Kanton Graubünden, ausgestattet mit exzellenten Kontakten nach China. - Mit dem neuen "Finanz-Tycoon" der Schweiz, Martin Ebner, hat Blocher außerdem die BZ-Gruppe aufgebaut. Prominenter Mitmacher ist der Sozialdemokrat Kurt Schiltknecht, ehemals Direktor der Nationalbank. In scharfer Gegnerschaft zu den Großbanken bündelt die BZ-Gruppe die Gelder Hunderttausender Schweizer und ausländischer Anleger in Investmentfonds. "Jedem Schweizer ein Aktienpaket", so das Motto des Blocherschen Volkskapitalismus. Die BZ-Gruppe hat als Großaktionär inzwischen Einfluss in zahlreichen Unternehmen. Schließlich ist Blocher Aufsichtsratspräsident des Investmentfonds Pharma-Vision und beteiligt an Roche, Glaxo Welcome und Hoechst.
Er wurde zum Volkstribun, weil er "die Schweiz" bei den Angriffen wegen der "nachrichtenlosen Konten" (der Holocaust-Opfer) verteidigte: zum eigenen Überleben habe man im Zweiten Weltkrieg eben auch mit Gold gehandelt und Waffen geliefert. Blocher agitierte gegen die von der Regierung beschlossene "Solidaritätsstiftung": die Großbanken hätten im Krieg das große Geschäft gemacht, dann sollten sie auch zahlen, Steuergelder dürften dafür nicht missbraucht werden. Diese Feststellung, die gewiss nicht falsch ist, hat ihm viel Sympathie eingebracht.
Nach Blocher, einem überzeugten Deregulierer, sollen die profitablen Schweizer Sonderkonditionen auch in Zukunft gelten. Deshalb engagierte er sich gegen das Referendum zur Beschränkung des Rüstungsexports - schließlich verdient er als Zulieferer der Rüstungsindustrie. Sie ist in Spannungsgebieten zur Stelle, wo UNO oder EU zumindest zeitweise Hindernisse aufrichten. Blocher verteidigt das Schweizer Bankgeheimnis gegen Aufweichungen durch die jetzige Regierung, die ihm auch bei der Bekämpfung der Geldwäsche zu weit geht. Hier weiß er viele Banken und Großunternehmen hinter sich. Insofern ist Blocher auch kein "EU-Gegner". Die zahlreichen bilateralen Verträge der Schweiz mit der EU, etwa zu Verkehrsfragen, hat er mitgetragen. Wie die anderen bürgerlichen Parteien will er die Vorteile des Wirtschaftsraums nutzen. Vermieden werden soll nur die Einbindung in das europäische Rechtssystem, zum Beispiel die Menschenrechtskonvention und das Kartellrecht.
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