Deutschland ist kein Volk von Kapitalisten. Nicht einmal jeder 14. Haushalt hierzulande besitzt Aktien. Und unter der kleinen Minderheit von Aktionären der Deutschen Bank gibt es wohl nicht viele, deren Wohlergehen davon abhängt, wie hoch die Dividende ausfällt oder wie sich der Aktienkurs des Instituts entwickelt. Trotzdem herrscht gerade große Aufregung um die Deutschen Bank, weil ihr neue Milliardenstrafen drohen und zugleich eine Debatte um ihre künftige Strategie tobt. Warum nur der Wirbel?
Nun, das Drama führt dem Publikum vor, wie schlecht es moralisch und wirtschaftlich um die wichtigste Industrie des Landes bestellt ist. Wichtig nicht wegen der Wertschöpfung, sondern wegen der ökonomischen Macht, die in dieser Branche im Allgemeinen und in diesem Institut im Besonderen konzentriert ist. Der Fisch stinkt vom Kopfe her. Das zeigen nicht zuletzt die Ermittlungen wegen der Kursmanipulationen beim Libor-Zinssatz, dem Markt in London, wo die kurzfristigen Raten im internationalen Bankenverkehr fixiert werden. Die Deutsche Bank hat kriminelle Machenschaften zugegeben, sie muss laut einem Vergleich mit britischen und US-Behörden eine Strafe von 2,5 Milliarden Dollar zahlen. Zudem sind gerade heikle Dokumente wegen des mutmaßlichen Steuerbetrugs im Handel mit CO2-Zertifikaten aufgetaucht. Und in München läuft nun ein Strafprozess gegen den Co-Chef des Instituts, Jürgen Fitschen, und gegen drei ehemalige Vorstände und einen Ex-Aufsichtsrat. Es geht um Prozessbetrug, um wissentlich falsche Angaben.
Kriminelle Machenschaften bei einer Großbank? Dass ein solcher Reputationsschaden heute nicht mehr tödlich ist, illustriert das tiefe moralische Niveau des ganzen Bankensektors und zugleich die Macht der wenigen Institute, die die Finanzkrise von 2008 überlebt haben. Als es unter anderem noch die Dresdner Bank, Sal. Oppenheim und die Postbank gab, war zur Not noch um die Deutsche Bank herumzukommen. Das ist schwieriger geworden.
Allerdings können Fitschen sowie sein Vorstandskollege und Rivale Anshu Jain strafmildernde Umstände geltend machen. Berufsrisiko! Als Investmentbanker bewegen sie sich in einer weitgehend fiktiven Welt. Sie handeln mit Wertpapieren, mit rechtlichen Ansprüchen auf künftige Gewinne. Und sie wetten mit Derivaten auf künftige Veränderung dieser Gewinne. Es hat sich herausgestellt, dass Kurschwankungen und Gewinnchancen größer sind, wenn ganze Firmen gekauft, fusioniert oder wieder auseinanderdividiert werden. Oder wenn wenigstens entsprechende Spekulationen in den Markt einspeist werden.
In dieser Welt sind Gewinne und Verluste immer nur Momentaufnahmen. Klar, Kurse werden immer beeinflusst, das ist Teil des Geschäftsmodells. Wo ist da die Grenze zur Manipulation? In der Welt des Investmentbankings gibt es die Kategorie Unrechtsbewusstsein nicht. Unterschieden werden nur Verlierer und Gewinner, nicht Opfer und Täter.
Zwei Varianten
Also spekulieren Fitschen und Jain weiter. Sie wollen die Deutsche Bank neu ausrichten, mit dem Werkzeugkasten, den sie eben kennen: Fusionieren, zerstückeln, spalten, neu zusammensetzen. Zur Zeit stehen zwei Varianten zur Diskussion. Entweder wird die 2009 übernommene Postbank wieder verkauft und zugleich ein Drittel der 740 Filialen der Deutschen Bank geschlossen. Übrig bliebe eine Investmentbank mit angehängtem Privatkundengeschäft. Oder das Geschäft mit Privathaushalten und kleinen bis mittleren Unternehmen wird samt Postbank an der Börse verkauft. Die Deutsche Bank würde so zur reinen Investment- und Vermögensverwaltungsbank.
Welche der beiden Varianten ist betriebswirtschaftlich sinnvoller? Diese Frage stellt sich nicht. Entscheidend ist letztlich die Bewertung durch die Schwarmintelligenz der Börse. Die aber ist zu differenzierten Überlegungen gar nicht fähig. Das kollektive Bauchgefühl des Marktes wird entscheiden, ob sich „Diversifizierung“ oder „Fokussierung“ besser verkaufen lässt. Möglich, dass dabei für den Aktionär ein hübscher Zusatzgewinn herausspringt, wenn er die Aktie schnell wieder verkauft. Aus Sicht der er Wirtschaft und Gesellschaft ist die zweite Variante klar zu bevorzugen. Anders als das Investmentbanking hat das Privatkundengeschäft viel mit der Realwirtschaft zu tun. Es kann dem Land nur gut tun, wenn die größte richtige Bank nicht mehr von Glücksspielern dominiert und vom Investmentbanking getrennt wird. Vielleicht schafft das sogar die Voraussetzungen, um dem Investmentbanking eine neue, adäquate rechtliche Grundlage zu verpassen – indem man es dem Glücksspielgesetz unterstellt.
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