Allmählich fällt es auf: Fast im Wochenrhythmus verteilen US-Richter Milliarden um – meist weg von europäischen Banken, Aktionären und Steuerzahlern hin zum amerikanischen Fiskus. Nach einer Schätzung der Credit-Suisse steht der Pegel der ausgesprochenen und angedrohten Bußen inzwischen bei 104 Milliarden Dollar. Am härtesten trifft es die französische Banque Nationale Paribas (BNP) mit einer Buße von zehn Milliarden wegen der Umgehung von US-Sanktionen. Die schweizerische UBS dürfte wegen Devisenmanipulationen fünf Milliarden bluten, und die Credit-Suisse ist wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung zu 2,8 Milliarden Dollar verdonnert worden.
Im Vergleich dazu sind die 1,5 Milliarden, die der New Yorker Richter Thomas Griesa von de
esa von den argentinischen Steuerzahlern zum US-Hedgefonds-Manager Paul Singer verschieben will, schon fast Peanuts. Aber der Fall hat es in sich. Dieser Richterspruch könnte das ganze Kartenhaus der Staatsschulden zum Einsturz bringen – oder die Staatengemeinschaft zwingen, endlich eine vernünftige Lösung für das Abwickeln derselben zu finden.Doch der Reihe nach. Die erste Frage, die sich bei dieser Bußorgie stellt, lautet: Warum eigentlich immer die USA? Woher nehmen die das Recht? Man stelle sich vor, Gerichte in der Schweiz oder Nigeria würden ähnliche Urteile fällen. Die Reaktion der Finanzmärkte wäre klar: Mit Ländern, in denen derartige richterliche Willkür grassiert, kann man nicht wirtschaften. Investoren würden um solche Standorte einen weiten Bogen machen. Weil die örtlichen Behörden das wissen, haben sie ihren Richtern längst die Flügel gestutzt.Die USA hingegen können sich dagegen fast alles erlauben. Allenfalls wird über die Höhe des Bußgelds diskutiert. Dabei dreht sich die Debatte meist um die Frage, ob für den Delinquenten das Leben nach der Buße weitergehen kann oder die Pleite droht. Man gewinnt den Eindruck, genau dies ist für US-Gerichte das Kriterium, wenn sie die Bußgelder bemessen. Augenscheinlich gesteht die globale Investorengemeinde den Amerikanern das Recht zu, den Mehrwert abzuschöpfen. Die Rechtsgrundlage ist dabei offenkundig Nebensache. Im Falle der BNP-Buße etwa sind die beklagten Transaktionen nie über die USA gelaufen. Die Zuständigkeit der US-Richter gründet sich allein darauf, dass die Zahlungen in Dollar abgewickelt worden sind. Das genügt scheinbar als Rechtsgrundlage, weist aber auf die Machtfrage hin: Internationale Zahlungen werden fast immer in Dollar – und damit unter US-Kontrolle – abgewickelt.Die BNP könnte es sich nicht leisten, ein US-Urteil zu ignorieren, weil sie sonst Gefahr liefe, ihre internationalen Geschäfte nicht mehr abwickeln zu können.Konkursrecht für Staaten Im Falle der argentinischen Staatsschulden ist die Rechtslage wenigstens insofern klar, als Argentinien die fragliche Anleihe in Dollar aufgenommen und die USA als Gerichtsstand anerkannt hat. Doch auch hier spielt die Machtfrage eine zentrale Rolle. Theoretisch könnte Argentinien sagen: Wir zahlen die 1,5 Milliarden nicht und beharren darauf, dass der 2001 durchgesetzte Schuldenschnitt von 70 Prozent auch für die Forderungen des Herrn Singer gilt. Alle übrigen Gläubiger hingegen erhalten die dieses Jahr fälligen Zinsen und Rückzahlungen von 832 Millionen Dollar. Genau das geht offenbar deshalb nicht, weil Argentinien diese Zahlungen nur über die USA abwickeln kann, was Richter Griesa die Handhabe gibt, diese Transaktion zu verbieten. Damit gerät Argentinien in Zahlungsverzug, was normalerweise die Vorstufe zur Pleite ist. Zahlt der südamerikanische Staat Singer hingegen aus, könnten auch alle anderen Gläubiger ihre Nachforderungen stellen. Aus den 1,5 Milliarden Dollar würden mehr als 100 Milliarden.Offensichtlich sind die USA das Nadelöhr, durch das alle globalen Transaktionen durch müssen. Und genau das ist es auch, was die Fälle von Argentinien, Banque Nationale Paribas, UBS und anderen weiter vereint: Amerika sitzt am längeren Hebel.Wie wird man aus dieser Erfahrung klug? Erstens: Parteien, die zum gegenseitigen Vorteil finanzielle Verpflichtungen eingehen, sollten dafür sorgen, dass sie diese nicht in Dollar und nicht mit Gerichtsstand in den USA abwickeln. Sonst riskieren sie, dass der Vorteil dieser Transaktion allein von den USA abgeschöpft wird. Es gibt ja noch andere Währungen wie den Euro. Zweitens: Auch Staaten müssen pleitegehen können, aber die Bedingungen eines solchen Konkurses dürfen nicht vom Richter eines beliebigen Gläubigerstaates diktiert werden. Vielmehr wird ein internationales Konkursrecht für Staaten gebraucht, das an neutralen Schiedsgerichten verhandelt wird. Dessen Aufgabe wäre es, im Falle einer Zahlungsunfähigkeit die Interessen aller Parteien abzuwägen und einen raschen und für alle verbindlichen Schuldenschnitt durchzusetzen.Über eine solche Institution wird schon seit Jahrzehnten diskutiert, ohne dass man einer Lösung nähergekommen wäre. Um zu vermeiden, dass die Welt der Finanzen weiterhin von US-Provinzrichtern regiert und durcheinander gewirbelt wird, bleibt wohl nur eine Möglichkeit: Der Dollar muss als Weltwährung abgesetzt werden. Fast jede Alternative ist inzwischen besser.