Dreitausend Arbeitsplätze weniger, das ist selbst für eine große Stadt wie Bochum eine kleine Katastrophe. Doch wie hätte man die Werkschließung verhindern können? Mit noch mehr Kurzarbeit, mit noch tieferen Löhnen, mit Investitionshilfen oder Steuerrabatten? Offenbar war da kein Spielraum mehr.
Irgendwie muss man die Konzernleitung von General Motors verstehen: Die Nachfrage ist offenbar nicht mehr da, zumindest nicht in Europa und sicher nicht für Mittelklassewagen. Am oberen Ende der Preisskala geht noch mehr. Aber Bochum spielt nicht mehr in der obersten Liga.
Dass in der Mittelklasse nichts mehr läuft, das haben sich die Opel-Kapitäne, die Gewerkschaften und Berlin selber zuzuschreiben. Die einen haben es gewollt und die anderen haben es zugelassen, dass Leiharbeiter am Fließband von Opel nur 7,20 Euro die Stunde erhalten. Das durchschnittliche Jahrespensum eines deutschen Arbeitnehmers liegt bei 1.410 Stunden. Multipliziert mit 7,20 Euro ergibt das ein Jahreseinkommen von gut 10.000 Euro. Arbeitet der Ehepartner mit, kommt man auf ein Familieneinkommen von 20.000 Euro. Wie viel Auto kann man sich mit solchen Löhnen noch leisten? Eigentlich gar keines.
Ein wenig Schadenfreude
Auf diese materielle Grundlage also hat die Berliner Niedriglohnpolitik die deutsche Industrie gestellt. Das ging ein paar Jahre gut – tiefe Lohnkosten sichern Exporterfolge. Doch nun zwingt Angela Merkel diese Niedriglöhne auch den anderen Euro-Staaten auf, und die Bosse nehmen den Steilpass gerne auf. Kein Wunder, dass jetzt die Exportmärkte schrumpfen.
Aus der Sicht der südlichen Nachbarn mag sogar ein wenig Schadenfreude aufkommen. Wer jährlich rund 150 Milliarden Euro Leistungsbilanzüberschuss erzielt, arbeitet auf Kosten fremder Nachfrage. Er darf sich deshalb nicht wirklich darüber beklagen, wenn zur Abwechslung die Arbeit einmal dorthin ausgelagert wird, wo auch noch konsumiert wird – wenn auch meist nur noch auf Kosten staatlicher Schulden und Subventionen.
Den betroffenen Opelanern nützen solche globalen Gerechtigkeitserwägungen wenig. Sie wollen wissen, woher denn neue Jobs kommen sollen, wenn schon wieder eine Industrie abwandert. Auf diese Frage hört man zwei Antworten: Die Linke fordert lauthals: grüne Jobs. Von rechts erschallt der Ruf nach „innovativen Produkten“. Berlin müsse durch den Abbau von Bürokratie, durch höhere Abschreibungssätze und tiefere Unternehmenssteuern endlich die „privaten Produktivkräfte“ entfesseln. Was man sich unter diesen „innovativen Produkten“ vorstellen muss, darüber hört man höchstens leere Schlagwörter von einem neuen Silicon Valley.
Neue Produkte, alte Bedürfnisse
Mit den innovativen Produkten ist es so: Wer sie zuerst entwickelt, kann in der Tat neue Stellen schaffen. Doch in aller Regel stillen neue Produkte nur alte Bedürfnisse, und zwar mit weniger Arbeitsaufwand. In der Gesamtschau vernichten sie meist Arbeitsplätze, statt neue zu schaffen.
Mit den „Green Jobs“ sieht es ein wenig besser aus. Die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung schätzt, dass Investitionen in den Umweltschutz bis 2030 rund 1,3 Millionen zusätzliche Jobs schaffen könnten – falls sich eine Finanzierung findet.
Es gibt bessere Alternativen. Da sind zunächst einmal die herkömmlichen Produkte für herkömmliche Leute. Auch Hartz-IV-Empfänger und Niedriglöhner würden sich gerne wieder mal eine Mahlzeit im Restaurant, einen Yoga-Kurs, einen Besuch im Theater oder Ferien im Sauerland leisten. Opel-Arbeiter träumen von einem getunten Neuwagen. Das sind lauter Produkte und Dienstleistungen von Deutschen für Deutsche und entsprechend Arbeit von Deutschen für Deutsche, die dank der Agenda 2010 wegexportiert wurden.
Arbeitszeit reduzieren
Diese Jobs müssen nicht von trendigen Entrepreneurs neu erfunden werden. Alles, was es dazu braucht, sind deutlich mehr soziale Sicherheit und Löhne, die der Produktivkraft der deutschen Wirtschaft würdig sind. Der von den Gewerkschaften geforderte Mindestlohn von 8,50 Euro entspricht in etwa der Produktivkraft von Bulgarien.
Mindestens ebenso wichtig ist eine weitere Reduktion der Arbeitszeiten. Der Sachverständige Peter Bofinger hat vorgerechnet, dass der Anstieg der Beschäftigung um etwa zwei Millionen seit 2000 komplett an der Verkürzung der mittleren Arbeitszeiten um 5,4 Prozent liegt.
Das heißt: Wer in Anbetracht der tendenziell steigenden Produktivität Arbeitsplätze sichern oder schaffen will, muss die durchschnittlichen Arbeitszeiten weiter reduzieren. Doch diese Reduktion muss politisch organisiert werden. Überlässt man sie wie bisher dem Markt, geschieht dies: Im Kampf um die schwindende Arbeitszeit ziehen ausgerechnet die den Kürzeren, die eh schon weniger haben und für weniger Geld arbeiten müssen. Das führt nur zum weiteren Abgleiten der Unter- und der Mittelschicht.
Bochum ist nur eines von vielen Symptomen einer auf Export und Wettbewerbsfähigkeit ausgelegten Wirtschaftspolitik. Doch Bochum zeigt auch, wohin die Reise gehen muss: Kürzere Arbeitszeiten und Löhne, die der Produktivkraft des Landes entsprechen.
Werner Vontobel ist Ökonom und Journalist. Er lebt in der Schweiz
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