Inflation? Hoffentlich!

Krise Wir haben uns zurückgehalten und die Amerikaner haben konsumiert. Jetzt ist es Zeit, die Staatsausgaben anzukurbeln, die Löhne zu steigern, und die Reichen zu besteuern!

Und wieder einmal wird die falsche Frage gestellt. Es geht nicht darum, ob der Staat die Hypo-Real-Estate-Aktionäre enteignen darf: Die Frage ist vielmehr: Muss und kann der Steuerzahler diese Zeche ganz allein zahlen? Enteignen? Lachhaft! Die HRE ist wertlos. Da gibt es nichts mehr zu enteignen. Dass die Bank an der Börse noch für wenige hundert Millionen Euro gehandelt wird, ist nur der Hoffnung auf die Erpressbarkeit des Staates zu verdanken. HRE-Chef Axel Wieandt hat den Erpresserbrief so formuliert: „Die Eskalation der Finanzkrise nach dem Fall von Lehman hat gezeigt, welche Auswirkungen Kettenreaktionen auf dem Finanzmarkt haben können.“

Richtig. Aber es sind auch andere Kettenreaktionen möglich: Der Internationale Währungsfonds schätzt in seinem neuesten Bericht, dass die Banken allein mit US-Papieren 2.200 Milliarden Dollar verlieren werden. Davon sind 800 Milliarden bereits gedeckt. Bleiben 1.400 Milliarden Dollar, die jederzeit neue Löcher in den Bankbilanzen aufreißen können. In Deutschland, in Spanien, vielleicht in Italien? Wie viel davon kann der Staat höchstens übernehmen – bis er zahlungsunfähig wird oder die Steuerlast verdoppeln muss? Kann man einem solchen Staat noch trauen? Sollte man sein Geld nicht vielleicht doch in der Schweiz in Sicherheit bringen? Oder in Liechtenstein?

Wie die Last dieser globalen Billionen-Pleite verteilen?

Im Moment geht es nur um HRE, morgen vielleicht um die Deutsche Bank, die auch nur noch 35 Milliarden Euro Eigenkapital aufweist. Doch dahinter steht eine Grundsatzfrage. Wie verteilen wir die Last dieser globalen 2,2-Billionen-Pleite (wenn es denn dabei bleibt), ohne dabei die Realwirtschaft vollends in den Abgrund zu reiten?

Dazu muss man sich in Erinnerung rufen, wie genau Real- und Finanzwirtschaft zusammenhängen. Zunächst: Die verlorenen Billionen sind nicht real. Alle Fabriken stehen noch, die Arbeitskräfte sind immer noch da, ihr Know-How auch. Die Welt hat weiterhin die Möglichkeit, Jahr für Jahr ein paar Prozent mehr zu produzieren. Aber etwas stimmt nicht mehr mit den Anteilscheinen, mit denen wir Ansprüche auf das Inlandsprodukt erheben können.

Davon können wir zwei Sorten unterscheiden: Erstens das Geld, mit dem man direkt Waren und Dienstleistungen kauft. Zweitens Wertschriften wie Aktien und Obligationen. Sie verkörpern Anrechte am produktiven Kapital und auf deren Ertrag, stellen also Ansprüche an Erträge der Zukunft dar. Wertschriften entstehen, wenn in einer bestimmten Periode mehr produziert als konsumiert wird, das heißt: ein Guthaben vorhanden ist, dem eine entsprechende Schuld gegenüber steht.

In Deutschland ist die Binnennachfrage fast zum Erliegen gekommen

In der Welt der Finanzen geht diese doppelte Buchhaltung immer auf. In der realen Welt gibt es ein Problem: Wertschriften sind nur werthaltig, wenn dahinter produktives Kapital steckt. Produktives Kapital ist aber nicht beliebig vermehrbar, es hängt von der Höhe des Konsums ab. Was nicht konsumiert wird, wird nicht produziert. In modernen Volkswirtschaften beträgt das Verhältnis etwa 20 zu 80. Für 80 Euro Konsum braucht es 20 Euro Investition. Spart man nun aber mehr, beispielsweise 25 Euro, und konsumiert entsprechend nur noch 75 Euro, dann nehmen die Investitionen nicht zu, sondern ab. Warum sollten die Unternehmen mehr investieren, wenn weniger konsumiert wird. Wird zuviel gespart, sinkt das Inlandsprodukt, es sei denn, das Zeug könnte exportiert werden. Genau dies ist in den vergangenen Jahren geschehen. In Deutschland etwa steht der einheimische Konsum praktisch still. Dafür hat man seit 2002 insgesamt 760 Milliarden Euro Leistungsbilanzüberschüsse erzielt und – genau wie China, Japan und die Schweiz – entsprechende Guthaben angehäuft, vor allem gegenüber den USA.

Selbstverständlich haben unsere Schuldner dieses Geld nicht produktiv investieren können. Wie denn? Auch in den USA haben die meisten Firmen ihre Investitionen bis vor kurzem locker aus den eigenen Gewinnen finanziert. Nein, das Geld floss via Hypothekarkredite in den Konsum der US-Haushalte. Was die Deutschen sparten, haben die US-Amerikaner wieder ausgegeben. Sie haben damit den Güterkreislauf geschlossen – und uns vor Arbeitslosigkeit verschont – vorerst.

Das Problem ist nicht, dass zuviel konsumiert worden ist, sondern dass der globale Warenkreislauf mangels Lohneinkommen durch einen einmaligen Kreditboom geschlossen worden ist. Dass wir das erst so spät gemerkt haben, liegt an den faulen Tricks der Banken, die vom Kreditboom gut gelebt haben. Doch das Grundübel liegt nicht bei den Banken, sondern im weltweiten Rückgang der Lohnquote.

Hypotheken, Maschinen und Fabriken sind wertlos, wenn die Nachfrage fehlt

Allgemeiner gesagt: Die Kaufkraft ist nicht mehr dort, wo die Nachfrage ist: 50 Prozent der deutschen Haushalte verfügen über 14 Prozent der Markteinkommen. Zehn Prozent besitzen 61 Prozent der Vermögen. Doch was heißt schon Vermögen? Die Vermögen der Reichen sind letztlich deren Nettoforderungen an die Armen. Hypotheken, Maschinen und Fabriken sind wertlos, wenn die Nachfrage fehlt. Soll nun der Staat die Forderungen der Reichen schützen, indem er Banken verstaatlicht? Er muss wohl, weil die Wieandts sonst das Chaos ausbrechen lassen, und weil sich in Deutschland immer noch eine Mehrheit reich fühlt. Gleichzeitig muss aber die Verteilungsfrage angepackt werden und zwar auch aus funktionalen Gründen: Damit der Güterkreislauf wieder geschlossen wird. Also: Staatsausgaben ankurbeln, Löhne rauf, Sozialstaat ausbauen, Reiche besteuern!

Führt das nicht zu einer weltweiten Inflation? Hoffentlich. Schließlich müssen ja noch 2.200 Milliarden Dollar fiktiv gewordene Vermögen – die bittere Frucht der Sparwut – irgendwie entwertet und enteignet werden. In dieser heiklen Lage ist Inflation wohl das kleinste aller denkbaren Übel.

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