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Euro Griechenland wird die deutschen Steuerzahler sehr viel Geld kosten. Ein ausgeglichener Bundeshaushalt wird zur Illusion. Und das ist noch nicht einmal das größte Problem
Die Grundrechenarten zu beherrschen, ist das Mindeste
Die Grundrechenarten zu beherrschen, ist das Mindeste

Foto: Aris Messinis/AFP/Getty Images

Vordergründig geht es um die noch nirgends verbuchten zusätzlichen 13,5 Milliarden Euro, die die EU Griechenland hinterher schmeißen muss. Darüber hinaus geht es geht um mindestens 80 Milliarden längst verlorene Euro, die Griechenlands Gläubiger ehrlicherweise abschreiben müssten. Bundeskanzlerin Angela Merkel muss den deutschen Steuerzahlern endlich reinen Wein einschenken: Die Rettung des Euro kostet viel Geld. Ein ausgeglichener Bundeshaushalt bleibt eine Illusion. Die Staatsschulden werden weiter steigen.

Nachdem sie vor einer Woche gescheitert sind, unternehmen die EU-Finanzminister (ECOFIN) heute einen weiteren Versuch, sich über die Finanzierung des griechischen Debakels zu einigen. Und alles spricht dafür, dass an einem radikalen Schuldenschnitt für die so genannten öffentlichen Gläubiger kein Weg vorbei führt. Die EZB und der Internationale Währungsfonds (IWF) wollen die Gesamtverschuldung Griechenlands bis 2020 auf 70 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung drücken – also mehr als "nur" halbieren. Ohne den ganz großen Verzicht der öffentlichen Gläubiger wird das kaum zu machen sein. Also muss sich vor allem Deutschland bewegen. Bisher quittierten Kanzlerin Merkel und Finanzminister Schäuble einen solchen Schuldenerlass aus Angst vor den Konsequenzen in den eigenen Reihen mit einem entschiedenen Veto.

Doch der Überlebenskampf Griechenlands ist nur ein Symptom der andauernden Euro-Krise. Das eigentliche Problem ist die auf Exportüberschüsse fixierte deutsche Wirtschaftspolitik. Auch im laufenden Jahr werden sie 150 Milliarden Euro betragen. Allein in die übrigen Euro-Staaten werden für 60 Milliarden Euro mehr Güter und Dienstleistungen exportiert als von dort importiert. Seit 2002 haben die Euro-Partner so ein Defizit von rund 700 Milliarden Euro gegenüber Deutschland aufgebaut. Weil diese deutschen Forderungen für das Finanzsystem Gift sind, werden sie über das Verrechnungssystem Target2 inzwischen bei der Europäischen Zentralbank endgelagert.

Über den eigenen Schatten springen

Nun gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder gibt man EZB-Chef Mario Draghi alle Vollmachten und lässt ihn sein Endlager ausbauen. Das geht bestenfalls noch ein paar Jahre gut. Oder man baut die Forderungen ab – und dazu muss Deutschland wieder Leistungsbilanzdefizite zulassen.

Das ist das heiße Eisen, das Merkel endlich anpacken müsste, auch wenn das im Wahljahr denkbar unwahrscheinlich ist. Nur ein lang-fristiger Plan zum Abbau der deutschen Guthaben kann die Märkte und die Massen nachhaltig beruhigen. Dazu müssten einige Politiker und Funktionäre über ihren Schatten springen. Ohne neues Personal – auch in der EU-Kommission – ist das nicht zu machen.

Aber sind wir mit den Sparprogrammen nicht bestens unterwegs? Sinken nicht in allen Süd-Ländern schon die Löhne und die Leistungsbilanzdefizite? Bloß nützt das weder dem griechischen Volk noch seinen Gläubigern. Die Sparprogramme ermöglichen es den Unternehmen, die Lohnkosten massiv zu senken und die Preise dennoch leicht zu erhöhen. Daraus erwächst den griechischen Unternehmen ein Milliardenüberschuss. Doch weil es für das Geld im Land mangels Nachfrage keine Verwendung gibt, wird ein Großteil ins Ausland gebracht – sozusagen mit freundlicher Unterstützung der Troika.

Gefüllte Unternehmertaschen

Diese Milliarden fehlen natürlich den Konsumenten, den Banken und dem Staat. Aus der Sicht der Gläubiger Griechenlands ist das eine äußerst dumme Sache: Mit dem Geld, das sie dank ihrer Sparprogramme dem griechischen Staat und der Bevölkerung abnehmen, füllen sie zunächst einmal die Taschen der griechischen Unternehmen. Ähnliches gilt für Spanien, Italien, Irland und so weiter.

Für Deutschland ist die Bilanz von zehn Jahren Export-Modell verheerend: für rund 1.000 Milliarden Euro mehr exportiert als importiert, das Finanzsystem kaputt gemacht und Europa politisch destabilisiert. Höchste Zeit für einen Kurswechsel.

Werner Vontobel ist Journalist und Ökonom. Er lebt in der Schweiz

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