Ich wusste es. Das heißt: Ich glaubte es zu wissen. Heldenhafte Isländer würden alles in dieses Spiel hineinwerfen, aber am Ende würde – natürlich – die Fußballgroßmacht England siegen. Etwa so wie in einem Pokalspiel, wo ein tapferer Regionalligist einem Erstligisten fast neunzig oder gar hundertundzwanzig Minuten lang Paroli bieten kann, bis ein Lucky Punch des Favoriten den Hoffnungen des Underdogs ein Ende setzt.
Natürlich hatte Island in der Qualifikation zwei Mal die Niederlande besiegt und damit fast im Alleingang für das Aus der seit Jahrzehnten bei Welt- und Europameisterschafen zu einer festen Größe gewordenen Oranjes gesorgt. Island hatte zudem unbesiegt die Vorrunde überstanden und dabei immerhin Portugal ein Unentschieden abgetrotzt. Aber im Achtelfinale England besiegen? Let's get real…
Und es ging gleich entsprechend los. Gerade drei Minuten gespielt und schon verursachte Torwart Halldórsson einen unnötigen Elfmeter, der von Rooney souverän verwandelt wurde. Dass dies der einzige nennenswerte Auftritt des englischen "Superstars" bleiben sollte, war da noch nicht absehbar. Doch als ich mir noch überlegte, ob ich mir wirklich das anscheinend unvermeidliche Debakel der "Wikinger" weiter ansehen wollte, fiel schon der Ausgleich. Eine Viertelstunde später geschah das Unglaubliche: Islands Stürmer mit dem schönen sprechenden Namen Sigthórsson schoss das 2:1, das am Ende tatsächlich das Siegtor seiner Mannschaft sein sollte. Bis zu der Bestätigung dessen dauerte es aber noch mehr als siebzig lange Spielminuten. Während England wütend, aber uninspiriert gegen den Rückstand anrannte, hielten die Isländer dagegen und konnten gar noch den einen oder anderen gefährlichen Konter setzen. Die zunehmenden groben Patzer der Briten ließen in mir die Frage aufkommen, obvielleicht zuhause in Island in Kreisen weiser Frauen irgendwelche Zaubersprüche gesprochen würden, um die "Three Lions" in "Three Pussicats" zu verwandeln. Wer weiß … Wenn ja: Es hat geholfen.
Nun geht es also im Viertelfinale gegen den EM-Gastgeber. Diesmal bin ich mir aber sicher, dass sie das nicht gewinnen können. Oder doch?
May the Force be with you, Iceland!
Kommentare 13
England wird im deutschen Sportjournalismus hochgejubelt. Aber wenn man sich mal auf reale Ergebnisse bezieht kann von "Fußballgroßmacht England" keine Rede sein - nicht erst seit dem Islandspiel. Der letzte und einzige Titelgewinn ist längst Historie. Seit dem scheitert man regelmässig an völlig überzogenen Erwartungen.
Zum konkreten Spiel: Fanden sie die Leistung des Schiedsrichters eigentlich auch so mies? England wurde hier durch Fehlentscheidungen immer wieder bevorteilt und hat *nichts* daraus gemacht. Der Höhepunkt war eine Situation in der sich zwei Engländer gegenseitig umgegrätscht haben und dann auf Freistoß für England entschieden wurde ...
Island hat Ihre Hymne verdient. Danke sehr! Die Insel und ihre Fußballer erinnern übrigens an Bielefeld: etwa 300000 Einwohner und Spieler, die gewöhnlich zweit- oder drittklassig sind, aber mit Hilfe ihrer Fans auch mal über sich hinauswachsen können. Ein Match zwischen Island und Bielefeld könnte rasanten Fußball vorführen: bärtige Nordmänner mit weisen Frauen an ihrer Seite gegen eine Stadt, die durchweht ist vom Geist Luhmanns, der gezeigt hat, wie man komplexe Systeme dechiffriert.
Money can't buy you Pokal.
Wenn die Lehre aus solchen Spielen ist, dass gute Leistung eher aus Leidenschaft erwächst denn aus großen Geldsummen, dann wäre das ein riesiger Fortschritt - und zwar nicht nur für den Fußball...!
(Es erinnert an den alten Witz: Wie fängt ein BWLer einen Löwen? - BWLer jagen grundsätzlich nicht; aber sie sind überzeugt, dass der Löwe sich freiwillig stellen würde, wenn ihm nur genug geboten würde.)
"Alles, was ich über Moral und Verpflichtungen weiß, verdanke ich dem Fußball."
Albert Camus
Der Urtraum des kleinen Mannes ist es, dem großen, eitlen Dreck- und Geldsack zu zeigen, dass er ihm etwas Besseres entgegen zu setzen hat. Das setzt gewaltige Kräfte frei. Umgekehrt ist es die Urangst des großen, eitlen Dreck- und Geldsacks, dass er von einem Underdog vorgeführt werden könnte. Und am Ende gehen die Sigthórssons zu Bayern München und versauern auf der Bank. Alles, was ich über den Kapitalismus weiß, verdanke ich dem Fußball. Aber warum halte ich den Deutschen die Stange?
und versauern auf der Bank
hach ja ... es gab Zeiten in meinem Leben, in denen ich dort für dieses Entgeld auch gerne versauert wäre^^
hach ja ... es gab Zeiten in meinem Leben, in denen ich dort für dieses Entgeld auch gerne versauert wäre
Der Marktwert eines Spielers ist erheblich wichtiger als das auf der Bank ersessene Geld. Ein geringer Marktwert schlägt beim Vereinswechsel auch auf das Gehalt durch. Die Reservebank ist daher kein guter Ort für einen Spieler.
das mag so sein, aber die Spielergehälter auf der Reservebank bei den Bayern beginnen bei etwa 100 k€ monatlich^^ da versauert es sich unbeschwerter als bei 431 € monatlich
...die durchweht ist vom Geist Luhmanns...
Daraus drängt die für mich interessante Frage sich auf: Was wäre Bielefeld ohne Luhmann?
Wenn ich mich recht erinnere, sagte der Reporter des Spiels, dass die isländischen Kicker im Jahr so viel verdienten wie die englischen in einer Woche, nämlich zwischen 100.000 und 200.000 Euro.
Die Frage verdiente eine ausführliche Antwort, für die hier weder Platz und Zeit ist. In der gebotenen Kürze also: mehr als nichts, z.B. Oetker, Horst Wessel, Wehler, Koselleck, Ingolf Lück, Stopper Schulz and so on. Von Luhmann sollen die Verse stammen. Nirgendwo auf dieser Welt/ist's geiler als in Bielefeld. Aber das kommt selbst mir etwas übertrieben vor.
Ja, also eine bunte Mischung aus jeder Kultur-, Politik- und Sportecke, wobei, wenn du Willi Schulz meinst, hier wohl die herausragendste der genannten Persönlichkeiten ist. Vor Jahren, das will ich an dieser Stelle mal kolportieren, besuchte ich das Theater dieser Stadt. Vielleicht sagte Luhmann diesen Satz (Nirgendwo auf dieser Welt/ist's geiler als in Bielefeld.), als er gerade aus einer Aufführung in diesem Gebäude kam.
"...wie in einem Pokalspiel, wo ein tapferer Regionalligist einem Erstligisten fast neunzig oder gar hundertundzwanzig Minuten lang Paroli bieten kann, bis ein Lucky Punch des Favoriten den Hoffnungen des Underdogs ein Ende setzt."
Fast jeder kennt Lucky Luke, aber wer ist Lucky Punch? Bei welchem Erstligisten spielt der denn?
Ich weiß, ich weiß… aber sich hinziehende große Turniere versetzen einen auf Dauer in alberne Zustände.
Ansonsten ist dem Tenor des Beitrags natürlich nur zuzustimmen.