Zwischen der Regierung einerseits und Gewerkschaften und sozialen Bewegungen andererseits hat sich in den letzten Wochen ein Schlagabtausch entwickelt, der in dieser Woche eine neue Stufe der Eskalation erreichte. Dabei verbinden sich branchenspezifische Tarifauseinandersetzungen mit der gemeinsamen Forderung nach der Zurücknahme der ohne Abstimmung durchs Parlament gepeitschten Arbeitsrechts"reform". On lâche rien – wir geben nicht nach – gibt die Stimmung wieder. In den letzten Tagen ist On bloque tout zur zentralen Devise geworden: Wir blockieren alles.
In der vergangenen Woche hatten sich nach den Eisenbahnern nun auch Fernfahrer und Hafenarbeiter in die Streikbewegung eingeschaltet und es kam zu ersten Blockaden von Raffinerien bzw. des Mineralöldepots. Inzwischen ist Benzinknappheit zu einem ernsten Problem geworden, zum Teil verschärft durch Hamsterkäufe streikerfahrener Franzosen.
Die Regierung versuchte, Härte zu demonstrieren und ließ zunächst zwei Blockaden von Depots, vorgestern in Cournon d'Auvergne und gestern in den frühen Morgenstunden in Fos-sur-mer nahe Marseille, von Polizei und CRS räumen. Die Antwort der Gewerkschaften war schon unterwegs, und inzwischen werden sämtliche Raffineriestandorte bestreikt.
Raffinerien bestreikt, Ölhäfen dicht ...
Dazu sind seit heute die Belegschaften der Ölhäfen von Le Havre (40% der französichen Ölimporte laufen darüber) und jetzt auch Marseille in unbefristeten Streik getreten.
Die Ölknappheit hat nicht nur Auswirkungen auf die Tankstellen, sondern auch für den Flugverkehr wird es langsam eng. Die Pariser Flughäfen Orly und Roissy sind direkt von der Versorgung aus Le Havre abhängig. Andererseits werden die Fluglotsen wohl auch in den Streik treten. Eigentlich macht es also nichts, wenn sie dort keinen Sprit mehr haben...
Zusätzlich werden praktisch für jede geräumte Blockade mehrere neue errichtet. Auch Logistikzentren von Supermarktketten sind seit heute betroffen. Dabei wurden auch schon Bauern mit ihren Traktoren gesichtet.
...und jetzt auch noch die AKWs
Dazu beginnen auch schon Streiks in französischen AKWs. In Nogent-sur-Seine wurde gestern beschlossen, den Betrieb des 2. Reaktorblocks (der erste ist bereits wegen Wartungsarbeiten heruntergefahren) ab Donnerstag zu stoppen. Auch Cattenom hat sich angeschlossen. Zu weiteren Arbeitsniederlegungen im Energiesektor wird von der CGT aufgerufen. Letztes Update: inzwischen wurde in 16 von 19 französischen AKWs für den Streik gestimmt. Das kann heiter werden.
Nächste Woche sollen ab 31. Mai bei den Staatsbahnen SNCF sowie ab 2. Juni beim Pariser Verkehrsverbund RATP ebenfalls unbefristete Streiks hinzukommen (RATP befördert täglich 8-10 Millionen Passagiere im Großraum Paris). Für Donnerstag, 26. Mai wird erneut zu landesweiten Streiks und Demonstrationen aufgerufen.
"convergence des luttes"
In all diesen Scharmützeln findet sich immer wieder die Bewegung der Nuit debout, die sich rasend schnell im Land verbreitet hat und in meist relativ kleinen, offenen Gruppen wie eine Hefe im Teig der sozialen Unruhe wirkt. Sie hat sich die convergence des luttes, die Zusammenführung der Kämpfe aus den verschiedensten gesellschaftlichen Bereichen, zum Ziel gesetzt. Der relativ kleinen Zahl aktiv Beteiligter – es mögen wenige Zehntausend in vielleicht 200 Städten sein – steht jetzt schon eine relativ große Wirkung gegenüber. Dass der weltweite Protesttag gegen Monsanto am 21. Mai in Frankreich besonders großes Echo fand, mag auch im Zusammenhang einer schon fast explosiven gesellschaftlichen Sensibilisierung stehen, die in Nuit debout einen Ausdruck findet.
Nuit debout ist schon jetzt in der Mainstream-Öffentlichkeit zu einem Label geworden, das einerseits im konservativen und rechten Lager zu den üblichen Hassprojektionen führt (jeder Stein, der geworfen, jedes Auto, das angezündet wird, ist das Werk von Nuit debout), im linksliberalen Lager bestenfalls hilflose, "verständnisvolle" Vereinnahmungsversuche hervorruft.
Die Botschaft von Nuit debout wird dabei natürlich nicht vermittelt: Man hat verdammt die Schnauze voll von diesem System. Die Arbeitsgesetzreform ist nur der sprichwörtliche Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Contre la Loi Travail et son monde, gegen das Arbeitsgesetz und die Welt, für die es steht, ist die zentrale Aussage. Nuit debout hat von vornherein klargemacht, dass es mit der Rücknahme des inzwischen per Artikel 49.3 "angenommenen" Gesetzentwurfs nicht getan sein wird. Es geht um einen Systemwechsel, das Ende der Lohnarbeit, die Wieder- und Neuschaffung der Commons (nicht zufällig war auch Richard Stallman, Gründer der Free Software Foundation, als Gastredner auf der Plaçe de la République), die Sozialisierung der Produktionsmittel, eine den Prinzipien einer Räterepublik folgende politische Ordnung. Ein Kommunismus, der nicht mit seinem – von Freund und Feind beschmutzten – Namen genannt, aber nicht nur mit einem graffito an einem Metroausgang der République beschworen wird: "que revive la commune" - dass die Commune wiederauferstehe!
Der lange Atem
Vieles wird davon abhängen, ob dieses "utopische" Moment von Nuit debout nicht nur beibehalten werden kann – denn sie ist eine heterogene Bewegung ohne führende Köpfe oder festgeschriebenes Programm – und wenn ja, ob sie ihren revolutionären Überschuss nachhaltig im Bewusstsein weiterer Teile der Bevölkerung verankern kann. Es kann dabei durchaus nicht egal sein, ob das unmittelbare Ziel der Streik- und Protestbewegung, die Rücknahme des Gesetzes, erzwungen werden kann oder nicht. Mir scheint dieser Konflikt inzwischen etwa den Stellenwert des britischen Bergarbeiterstreiks unter Margaret Thatcher zu haben. Dessen Niederlage führte zum Triumphzug des Neoliberalismus in Europa. Es wäre enorm, wenn jetzt in Frankreich umgekehrt dessen Untergang eingeläutet würde
Eingebetteter Medieninhalt
Kommentare 31
glücklicheres land, wo widerstand nicht
als für den "produktions-standort un-dienlich!" gilt.
danke für den wichtigen Beitrag, man erfährt in deutschland wenig (ein Schelm, wer das für einen Zufall hält) über die proteste in Frankreich.
besonders freut mich, dass es der Staat scheinbar nicht geschafft hat, den protest gleich zu beginn mit massiver Gewalt zu beenden. Das Timing für die Streiks ist mit 2 Wochen vor der EM optimal gewählt.
Das könnte klappen und stimmt mich sehr hoffnungsfroh.
Aus Frankreich kann ich nur antworten : Gut getroffenen Beschreibung der Situation.
Live:
https://www.rt.com/on-air/anti-labor-protest-paris/
Und wenn man noch berücksichtigt, dass Deutschland mit seinen Arbeitsgesetzen, Arbeitszeiten usw. zumindest ein Mitverursacher der französischen Misere ist.
Ein Nachbarland und wie groß die Unterschiede! Da möchte man doch glatt Franzose sein. Wie würde unsere Regierung wohl reagieren, den Notstand ausrufen und die Bundeswehr im Inneren einsetzen?
Wenn das in Frankreich der Fall wäre, könnte ich mir gut vorstellen, dass der größere Teil des Militärs sich weigern würde; dagegen bei uns ...
Der rechts-sozialdemokratische und kapital-faschistische Verrat -- im Macht- und Herrschaftsinteresse der deutschen Finanz- und Monopolbourgeoisie -- und als Deutschland wurde , wie es ist
Info.-Empfehlung:
Der Verrat
1918/1919 - als Deutschland wurde, wie es ist
von Sebastian Haffner / Verlag 1900 Berlin
Wenn Gewaltmittel eingesetzt werden um Macht zu erhalten, hat der Machtinhaber seinen Machtanspruch verwirkt. Wahre Macht und wahre Autoriät entsteht duch Legitimation, durch Liebe und Fürsorge, eine, die auch bei dem Kleinsten ankommt. So wie es in der Schweiz, in Dänemark, Norwegen und den Niederlanden bspw. ist. Diese Nationen sind in jedem World Happiness Report in den Top 10. Deutschland hinter Rang 30.
Le Pen ist nur eine Frage der Zeit. Heiner Flassbeck prophezeit Le Pen als Präsidentin 2017, und Flassbeck ist keine Befürworter! Ganz im Gegenteil!
Dann haben sich das die Franzosen verdient und dann müssen sie, zumindest 4 Jahre, damit leben. Aber eines könnte gefährlich sein: Wenn Le Pen wirklich vieles von ihren "guten" Vorhaben umsetzt und das andere EU-Staaten sehen, dann könnte die Demokratie den Rechtsruck vollenden. Ein braunes Europa gegen den US-Imperialismus und der Finanzoligarchie. Das hatten wir übrigens schon mal.
Zum ersten Punkt nur ein paar Zahlen von Eurostat: die sog. Armutsgefährdungsquote ist lt. Eurostat in Deutschland von 12,2% (2005) auf 16,7% (2014) gestiegen. In Frankreich ist sie dagegen in diesem Zeitraum mit 13% auf 13,3% nahezu gleich geblieben. Das spricht glaube ich Bände.
Hauptsächlich ist diese niedrigere Quote zu einem guten Teil einer besseren sozialen Abfederung zu verdanken (ohne Sozialleistungen wäre das Armutsrisiko in F tatsächlich höher als in D). Und eben diese Schranke soll - Agenda 2010 lässt grüßen - mit der "Reform" des Arbeitsgesetzes eingerissen werden.
Was die Repression angeht: in der Tat würde unser kastriertes Streikrecht vieles, wenn nicht das meiste, was sich französische Gewerkschaften herausnehmen, nicht zulassen. Ich möchte nicht wissen, wie bei uns auf Blockaden wie in F reagiert würde. Auch die Öffentlichkeit (im Gegensatz zur veröffentlichten Meinung) nimmt die Blockaden offenbar mehrheitlich positiv auf, obwohl sie natürlich Probleme verursachen.
Was einen möglichen Armeeeinsatz angeht, weiß ich nicht recht. Frankreich ist ja tatsächlich noch im Ausnahmezustand, was man angesichts dieser Protestwelle kaum glauben mag, und es gibt auf der Rechten genug Leute, die danach rufen, den jetzt auch endlich mit harter Hand durchzusetzen. Da auch F eine Berufsarmee hat, wäre ich mir über deren Verhalten in Ernstfall nicht so sicher. Und auch bei Polizei und CRS, wo wohl mehrheitlich FN gewählt wird, könnte es einige geben, die im Zweifelsfall für einen Rechtsputsch zu haben wären.
Am Place dlR in Paris versuchen tatsächlich einige tausend junge Menschen ihre Ideen auszutauschen, sich nicht instrumentalisieren zu lassen und auf die Eigenverantwortung eines jeden Menschen in einer anarchischen Struktur hinzuweisen. Diese führungslose Struktur ist oberstes Prinzip für diese sympathischen Artgenossen. Doch praktisch täglich gibt es versuche das Ganze Nuit Debout zu kapern, zu ideologisieren.
Die Polizei spielt eine ganz eigene Rolle, unvermittelt und in wechselnden Abständen gibt es ganz harte Provokationen in verschiedenen Bereichen, man könnte es Eskalationsstrategie nennen.
Jene die ich als die wahren Freigeister wahrnehme, versuchen möglichst jeglicher Gewalt aus dem Weg zu gehen, sie packen notfalls schnell ihre Sachen und weichen der Gewalt aus - doch es gibt natürlich auch Gruppen die nur zu gerne das Gewaltangebot annehmen (ich möchte nicht wissen wieviele Bullen in Zivil darunter sind!).
On bloque tout kommt aus der Ecke der Gewerkschaften.
Man sollte das nicht vermischen - wobei die Menschen von Nuit debout natürlich froh wären, würden Gewerkschaften nicht mehr zu Verteilungskämpfern, sondern zu Transitionskräften.
Ich fürchte allerdings diese Träume werden bald wieder in die stillen Nischen kleinster Gruppen zurückweichen, Gruppen die schlicht versuchen ihre Leben ohne das System zu gestalten.
Die Mehrheiten werden sich dem System weiter willig zur Verfügung stellen und sich gegenseitig die Köpfe einschlagen, ob nun am Arbeitsplatz im täglichen Mobbinggetriebe oder auf der Straße - Polizist gegen Aktivist mit Steinen und Tränengas - und wohl bald auch wieder verstärkt ideologisch geimpfte Irre, die sich gegenseitig niederprügeln - oder noch schlimmer marodierend durch die Städte marschieren und sich ihre wehrlosen Opfer suchen.
Leute - ich weiß ich langweile Euch, nun die kommenden Jahre dürften Euch nicht langweilen!
"Ich fürchte allerdings diese Träume werden bald wieder in die stillen Nischen kleinster Gruppen zurückweichen, Gruppen die schlicht versuchen ihre Leben ohne das System zu gestalten."
Es soll "Kleinstgruppen" mit nur einer Person geben.
Stimmt
Mich hätten die Franzosen enttäuscht, wenn sie sich still und duldsam verhalten hätten. Ich denke aber mit großem Mißtrauen an eine Instrumentalisierung dieser Gegenwehr durch die Rechten.Ich habe aber keinen Einblick in die Gewerkschaftskräfte und alle Strömungen fernab der Rechten.
In Frankreich wissen sie auch,daß das was einmal abgeschafft worden ist,nicht wieder kommt.Deutschland-Paradebeispiel
"Ein braunes Europa gegen den US-Imperialismus und der Finanzoligarchie. Das hatten wir übrigens schon mal."
Was erzählen Sie hier für einen Blödsinn. Sie plappern Schmitt'sches Gedankengut nach. Die Nazis bentuzten das als rassistisches Argument gegen Juden und ließen sich wie auch der Spano-Italo- Faschismus von "Kapitalisten" sponsern und plünderten Konten (...).
@Wetterleuchten
"Es kann dabei durchaus nicht egal sein, ob das unmittelbare Ziel der Streik- und Protestbewegung, die Rücknahme des Gesetzes, erzwungen werden kann oder nicht. Mir scheint dieser Konflikt inzwischen etwa den Stellenwert des britischen Bergarbeiterstreiks unter Margaret Thatcher zu haben. Dessen Niederlage führte zum Triumphzug des Neoliberalismus in Europa. Es wäre enorm, wenn jetzt in Frankreich umgekehrt dessen Untergang eingeläutet würde."
An dem Punkt kann ich nicht folgen, denn es bedurfte schon ein bißchen mehr. Zum Beispiel "New Labour". Was Blair als "Third Way" verkündigte war eine Neoliberalisierung der Labour-Party, für die nicht Thatcher resp. ihre Politik verantwortlich ist, sondern die Labour-Party (...), so wenig wie Thatcher dafür verantwortlich ist, dass die Schröder-SPD mithalf die Märkte zu deregulieren. (...)
Wenn der FN an die Regierung kommt, dann kann sich Le Pen all die Gesetzesänderungen zu eigen machen, die die Vorgängerregierungen durchgestzt haben. Und dann: tssssssssssssss
"die sog. Armutsgefährdungsquote..." - ich habe mit diesem euphemistischen Begriff, der in unseren ÖR sehr gerne benutzt wird, gewaltige Probleme. Kürzlich war im SPON ein Test, der es ermöglichte, festzustellen, ob man arm, also eine Stufe weiter, ist. Ich bin dafür, den Begriff "Armutsrisiko" als irreführend in die Tonne zu treten, da die Aussagekraft erstens gleich null ist und zweitens suggeriert, es gäbe keine Armen sondern "nur" ein paar, die mit dem Risiko leben, eventuell arm zu werden.
Was wäre, wenn Patienten, die an einer Krebserkrankung versterben, als Menschen mit einem Krebstodrisiko oder Opfer von tödlichen Verkehrsunfällen als Verkehrsteilnehmer mit Verkehrstodrisiko benannt würden?
>>...dagegen bei uns ... <<
Heimatschutz
>>Wenn Gewaltmittel eingesetzt werden um Macht zu erhalten, hat der Machtinhaber seinen Machtanspruch verwirkt.<<
Boah, jetzt sind die Machtinhaber aber erschrocken!
>>Man hat verdammt die Schnauze voll von diesem System.<<
Wenn das so ist, dann kann man aber nicht nur gegen die Regierung und ihr Gesetz kämpfen: Erstes Ziel muss dann die Entmachtung der dahinter stehenden Profiteure sein.
Aktuelle französische Kristalisationspunkte zur Unterscheidung von Rechts und Links:
Der Front National findet eine, nun ja, soziale Bewegung völlig nach seinem Geschmack
"Zeiten sozialer Auseinandersetzungen sind keine angenehmen Perioden für den Front National (FN). Als Partei, die seit ihrer Gründung 1972 – jedenfalls auf nationaler Ebene – stets Oppositionskraft war, kann sie kaum die Regierung unterstützen, da es ihrer Agitation gegen die „Altparteien“ den Boden entziehen würde. Aber auch Gewerkschaften und soziale Bewegungen, zumal wenn Linke in ihnen eine Rolle spielen, kann die neofaschistische Partei kaum ihre Unterstützung antragen, zumal sie zurückgewiesen würde.
Beinahe hätte man also sagen können, dass die extreme Rechte in Frankreich sich zwar mit viel sozialer Demagogie als Alternative zum Bestehenden darzustellen versucht, aber im aktuellen Kontext zugespitzter klassenpolitischer Konflikte – rund um die geplante, für die Lohnabhängigen höchst regressive „Reform“ des Arbeitsrechts – keine soziale Bewegung unterstützt. Aber nur beinahe. Denn nun findet sich doch zumindest eine Bewegung, die rückhaltlos vom FN unterstützt wird.
Am vorigen Mittwoch, den 18. Mai 16 demonstrierten, je nach Angaben, zwischen 1.000 (laut Innenministerium) und 7.000 (laut Polizeigewerkschaften) Polizistinnen und Polizisten in Paris, und in sechzig weiteren französischen Städten fanden Kundgebungen statt. Mehrere Polizeigewerkschaften, deren Einschätzungen und Forderungen nicht genau deckungsgleich sind, hatten dazu aufgerufen. Ihr Protest stand unter dem Motto Contre la haine anti-flics, ungefähr: „Gegen den Bullenhass“, und richtete sich gegen die militanten Auseinandersetzungen am Rande der Demonstrationen gegen das geplante „Arbeitsgesetz“, die sich seit Mitte März dieses Jahres häufen.
In Paris hatten die Polizisten die place de la République, also den seit dem 31. März allabendlich eingenommenen Ort der Platzbesetzerbewegung, symbolbewusst als Ausgangsort für ihre Demonstration gewählt. Davon war vielfach ein erhebliches „Eskalationsrisiko“ erwartet worden, zumal in den Banlieues verankerte Kollektive gegen Polizeigewalt dort eine Gegenkundgebung angemeldet hatten. Letztere wurde jedoch zwei Stunden vor ihrem geplanten Beginn per Einstweilige Verfügung verboten. Auf den Platz konnte nur, wer einen Polizei- oder einen gültigen Presseausweis vorweisen konnte."
Ach was? Dann gehen Sie aber schnell hin und erzählen den Leuten von Ihrer Erkenntnis. Frédéric Lordon & Co werden Ihnen eher nicht mit offenem Mund zuhören, aber an Heiterkeit wird es nicht fehlen, wenn Sie's richtig angehen.
Zuvor lesen Sie vielleicht besser noch einmal den ganzen Absatz, dessen Anfang Sie zitiert haben.
Lieber Gelse, die Machtinhaber sind bereits erschrocken. Sie kämpfen um ihr Überleben. Das hast du noch nicht geschnallt.
Wenn eine Nation, wie bspw. die USA, ein Land besetzen kann OHNE Krieg zu machen, wird es diesen Weg vorziehen. In den Köpfen der Menschen hängt Hollywood aber keine Realität. Kriege sind sehr teuer und die Heimatbevölkerung hat keine Lust ihre Söhne in Särgen zurück zu bekommen.
Das musst du dir erstmal klar machen: Keiner, der muss, geht gerne in den Krieg.
Gewaltmittel fangen dort an, wo Diplomatie versagt hat. (Arendt)
Diplomatie im imperialen Kontext ist auch eine gewaltlose übernahme. Über Nacht am besten ohne Aufsehen zu erregen, optimalerweise mit "demokratischen" Wahlen. Ganz Südamerika war über Jahre mit Präsidenten besetzt, die von den USA "installiert" wurden. Auch der Schar wurde Präsident des Iran und war ein USA Mann. Merkel nimmt, nur so nebenbei, schon seit ihrer frühen Karriere regelmäßig an Treffen verschiedener Councils und der Atlantikbrücke teil. Diese Taktik haben sich die Imperien nach dem großrömischen Reich von densselben abgeschaut. Die Römer haben den eroberten Reichen ihre Identität und ihre Kultur gelassen und keine oder nur wenige Soldaten da gelassen. Aber Stadthalter, Funktionäre, Geschäftsleute mit Einfluss waren Leute der Römer. Mithilfe dieser Strategie konnte ROM 1000 Jahre lang Weltherrscher sein.
Das was wir hier erleben, ist das blinde Umsichschlagen der Mächte. Weil sie keine Antwort mehr haben, die Probleme ohne Gewalt und Druckmittel die zur Gewalt führen, haben.
Jeder Krieg ist die letzte Antwort. Wie zwei Kinder die sich zanken und das eine dann nur noch sagt: Aber du du du... stotternd, und dann fliegen die Fetzen.
Du bist a) ziemlich uninformiert, b) populistisch und c) eher auf Spektakel aus als wirklich politisch, demokratisch zu denken.
Tja in Brasilien hat die "Übernahme" ja relativ "gewaltfrei" geklappt - und ein halbes Jahr genügt, um "rechtlich" Fakten zu schaffen, die "rechtlich" unumkehrbar scheinen. (So schön wie man die Menschen gespalten hat, sind verfassungsgebende Mehrheit auf demokratischem Weg wohl kaum mehr zu gewinnen.... - und im Verschlagenheitsbusiness sind die Neofeudalisten unschlagbar, da dort Geld die Waffe der Wahl ist - vor allem Geld, der ein oder andere Mord fällt da kaum ins Gewicht... und erhöhrt die Nimmbereitschaft bei den letzten gewählten Idealisten, so man diese nicht noch billiger und trotzdem gewaltfrei marginalisieren kann.)
Nuit Debout hätte eben genau diese Botschaft - raus aus diesem System, jeder einzelne muss sein ganz persönliche, eigene, schmerzvolle, mühsame und reflektierte Katharsis durchleben, um aus ihr gemeinsam mit vielen, möglichst vielen, die es ähnlich fühlen und leben möchten, als freier Mensch hervorkommen, eine neue Gesellschaft zu beleben.
Die Anarchie der sozialen Wesen, die in vernunftbegabter und liebevoller Art und Weise ihre Talente und Ihre Schöpfungskraft verschränken, zum gemeinsamen, ökologisch harmonisch gestalteten Lebenstraum führend.
Die Worte Hunger, Elend, Mord und Krieg wären nur noch in Geschichtsbüchern .................. diese ewige Utopie vom guten Menschen, ja, ja, sie ist wohl ein sich nie erfüllender Traum.
Dieses 2 Jahre alte Zitat aus dem brachial neokonservativen Organ des Milliardärs François Pinault ist mir gerade in einem Tweet eines der Befürworter der Niederschlagung der aktuellen "abusiven" Streikwelle in F über den Weg gelaufen. Dabei fiel mir ein, dass ich noch einen Kommentar zu beantworten habe.
Lange vor Blairs "New Labour" (Blair: ab 1997) hat Thatcher die britische Gewerkschaftsbewegung in die Knie gezwungen und sich dafür - oder mindestens genauso viel dafür wie für "I want my money back" oder den Falklandkrieg - den Namen der "Eisernen Lady" verdient. Blair hat sich (wie kurz nach ihm Schröder in D) als Alternative zur allzulangen Herrschaft der Konservativen wählen lassen. Betrogen wurden die Wähler beider, und ich gestehe, dass ich 1998 - ohne Illusionen, aber dennoch in der Hoffnung, dass wenigstens der Mief der Kohl-Ära ausgelüftet würde - damals "Rot-Grün" gewählt habe. Bis zum bitteren Erwachen dauerte es kein halbes Jahr.
Ja, die "sozialdemokratischen" Lumpen haben viel auf dem Gewissen, das kennen wir (bzw. unsere Vorfahren) seit 100 Jahren. Aber manchmal schlagen knallharte Konservative auch mal selbst eine Arbeiterbewegung nieder ohne sozialdemokratische Vaseline zu benutzen. Diese zweifelhafte Ehre gebührt der verblichenen Lady.
Der großartige Ken Loach (von hier aus auch eine Gratulation zur diesjährigen "Goldenen Palme" von Cannes) hat die Erfolge dieser Politik eindrucksvoll in dem Film "The Navigators" (2001) als Beispiel der in der Ära Thatcher/Major vollzogenen Privatisierung der britischen Eisenbahnen gezeigt. Das Ende des Films ist gerade deshalb fast "herzzerreisend", weil es die Konsequenz des erzwungenen Endes der Solidarität ehemaliger Kollegen zeigt, ein Verstummen in einer unheimlichen, von Angst diktierten Leere. Das Ganze in der Art eines Ken Loach, ohne den Zuckerguss eines billigen Pathos. Große Kunst, schwer auszuhalten.
Zurück von der verspäteten Laudatio auf Ken Loach ;) Eigentlich verstehe ich, ehrlich gesagt, die Obsession mit den Sozialdemokraten nicht, genauer nut teilweise. Klar haben Schröder & Co die Agenda 2010 verbrochen, so wie kürzlich Renzi mit seinem "Jobs act" relativ problemlos das (und mehr) durchbrachte, woran Berlusconi Anfang des Jahrhundert durch gigantische Demonstrationen und Streiks gehindert wurde. Wenn "Sozialdemokraten" so etwas tun, geht es problemloser durch, und wenn sie "abgestraft" werden, ist das wieder gut für die "Rechteren", die das Spiel dann wieder in eine neue Runde tragen können - ist das nicht schön?
Merde, wieso kann man hier seine Kommentare nicht editieren oder löschen? Natürlich fehlt da oben am Anfang etwas:
http://www.lepoint.fr/economie/il-y-a-30-ans-margaret-thatcher-brisait-les-greves-abusives-03-07-2014-1843042_28.php
Der Vergleich mit dem Bergarbeiterstreik ist treffend. Aber selbst wenn die Bewegung erst einmal "scheitern" sollte, wird sie eine gesellschaftliche Wirkung haben: In Folge der Agenda2010-Proteste trat Schröder zurück und wurde die Linkspartei gegründet. Und Bernie Sanders' Kampagne ist eine Langzeitfolge von Occupy Wall Street (nicht ausschließlich, keine Frage). Manchmal dauert es eine Weile, bis die Saat aufgeht - aber sie wird es. Und je länger und ausgedehnter die Proteste, desto mehr wird der FN geschwächt. Da sollten sich die etablierten Parteien in F und D angesichts des nächstjährigen Wahlen doch fast freuen.
Was können wir hier tun, um die FranzösInnen zu unterstützen?
Da bin ich ganz bei Ihnen! LG am
Wo sich die Kastraten im Rückenschwimmen ( tote Fische!) im neoliberalen Strom üben - siehe den Parteitag der LINKEN - zeigt Bewegung in Frankreich wo der Hammer hängt.
Die lachhaften Liturgien hiesiger "Sozialpartner", zum Mord an erkämpften Rechten, geraten endlich in Bedrängnis?
LiebeR wetterleuchten,
was können wir aus Ihrer Sicht hier tun, um die französischen Proteste zu unterstützen und bekannter zu machen? Ich wäre dabei...über meine Webseite können Sie mir auch per PM schreiben.
Grüße,
smukster
Hallo smukster,
einen Königsweg sehe ich da nicht. Sich informieren, andere informieren, auch um der absehbar aufkommenden Hetze gegen "die verrückten (faulen, was auch immer, siehe Griechen) Franzosen" entgegenzutreten. Das Bedürfnis, den Artikel hier zu schreiben, kam mir auch nur aus dem Gefühl heraus, dass da vielleicht etwas Großes in Gang kommen könnte und hierzulande zu wenig Notiz davon genommen wird. Wenn die Lage in Frankreich sich weiter zuspitzt (und vielleicht demnächst gar Auswirkungen auf die EURO 2016 zeitigt), dann wird das Geschrei in den deutschen "Qualitätsmedien" schriller werden.
Was kann man sonst tun? Es gibt ein wohl ein paar NuitDebout-Ableger in Deutschland, aber die Aktivität scheint eher schwach. Kürzlich bin ich via Twitter auf eine Soli-Demo von NuitDebout Berlin gestoßen, immerhin. In München gibt es da wohl auch was. Vielleicht mal einfach die Suchmaschine Ihrer Wahl (bzw.Twitter oder Fratzenbuch) nach "NuitDebout + meine Stadt" durchsuchen. Ups: ich sehe gerade, sogar hier in Karlsruhe scheint es neuerdings ein Häuflein Unentwegter zu geben; muss ich mal im Auge behalten…
Aber ehrlich gesagt glaube ich weniger daran, dass hier in D direkt eine Unterstützungsbewegung losgetreten werden kann bzw. ob das was bringt. Die beste Unterstützung ist, die Notwendigkeit des Wandels dort zu diskutieren, wo man gerade ist. Man kann das natürlich auch unter der Flagge von NuitDebout tun.
Nachtrag von wegen Hetze: folgendes habe ich gerade im ARD Sendungsarchiv gesehen (TTT vom 29.5., Link gilt bis 2.7.2016)
http://www.daserste.de/information/wissen-kultur/ttt/videosextern/protest-in-frankreich-die-nuit-debout-bewegung-100.html
Was für ein erbärmlicher Scheißdreck. Gefickt eingeschädelt, die Komposition. Mit FOG (Franz-Olivier Giesbert) als "Hauptredner", in Frankreich im Film "Les Nouveaux chiens de Garde" als Prototyp des speichelleckenden Sprachrohrs der Macht nur allzu treffend charakterisiert , das unwissend-süffissante Gewäsch des Kommentators, dazu ein beliebiger Mensch, der irgendetwas von leitenden Angestellten erzählt, die bei Nuit Debout etwas möglichst Ungefährliches für den Feierabend suchen würden… eine größere Ansammlung von hanebüchenem Unsinn ist mir noch selten begegnet. Die paar Worte, die Guillaume Paoli - als eigentlich Außenstehender, aber immerhin, er kann gut Deutsch - dazu sagen darf, helfen nicht wirklich, die Sache zu klären. Nur eine Minute einer authentischen Übersetzung einer fast beliebigen Rede von Frédéric Lordon, einem der geistigen Väter von Nuit Debout, hätte diese Farce in die Luft gejagt.
Und bei aller Achtung, die ich eigentlich vor Dieter Moor habe. Ich kann nur hoffen,dass er nicht für die Hereinnahme dieses unterirdischen Drecks mitverantwortlich war.
Nicht dass ich große Hoffnung hätte, aber Programmbeschwerde...?
Nein, mit Epigonenablegern in anderen Ländern, das funktioniert so gut wie nie. Die Stimmung ist anders, die wirtschaftliche Lage ist (für die meisten) anders, und dann zieht so ein Ableger auch ganz andere Leute an, hier in Köln wohl ein etwas VT-lastiges Häuflein.
Insofern wäre die Frage m.E. eher, wie effektive Aufklärungsarbeit hierzulande aussehen könnte. Aufruf zum Leserbriefschreiben, soziale Netzwerke...?