Die neue Mitte sieht alt aus

WAHLEN Warum Jüngere immer weniger rot-grün wählen

Jüngere wählen eher SPD und Grüne, Pensionäre bilden eine sichere Domäne der CDU - das Schema stimmt schon lange nicht mehr. Die CDU gewann bei den Landtagswahlen in Brandenburg - verglichen mit der letzten Wahl - unter den 18- bis 35jährigen 13 Prozent hinzu, die SPD verlor unter ihnen 20. In Thüringen lag der Zugewinn der CDU unter den Jüngeren bei 15, die Einbußen der SPD zwischen zehn und 13 Punkten. In Sachsen setzte sich der Trend fort. Die SPD kann, so scheint es, am ehesten auf die Wählerschaft der Lebensmitte zählen - eine ironische Umdeutung der von Kanzler Schröder propagierten "neuen Mitte" durch die realsozialdemokratische Wählerschaft.

Auch andere Parteien werden von den Verschiebungen im Generationengefüge politischer Sympathien nicht verschont. In Brandenburg gewinnt die PDS unter den Jüngeren hinzu. In Sachsen dagegen verliert sie leicht unter den 18- bis 30jährigen, gewinnt dagegen unter den über 60jährigen. Ob die PDS mit ihren Versuchen, sich total cool zu geben, dauerhaft erfolgreich sein wird, ist demnach ebenso ungewiss, wie es andererseits gewiss ist, dass Bündnis 90/Die Grünen ihre Verbindung zur jüngeren Generation verloren haben. Unfähigkeit der Regierungsparteien oder ein allgemeiner Trend der jungen Leute zu konservativen oder gar rechtskonservativen Auffassungen?

Gewiss, hier muss feiner unterschieden werden, als das mit den viel zu grob eingeteilten Altersgruppen oder mit dem Begriff "rechts" möglich ist. Ein 18jähriger Schulabgänger ist schwerlich mit einem 29jährigen Familienvater in einen Topf zu werfen, und CDU ist nicht gleich DVU. Dennoch bildet das rechte Lager ein System kommunizierender Röhren. Beispielsweise haben in manchen Teilen Brandenburgs 15 Prozent der jungen Männer DVU gewählt. Die Entscheidung der CDU, eine politische Figur wie Schönbohm an die Spitze zu stellen, steht, wie immer in solchen Fällen, im Zwielicht der möglichen Interpretationen: Hat er Wähler von der Wahl der DVU abgehalten und zur CDU herübergezogen, oder hat er ihr als Verstärker und Ermutiger rechtskonservativer Politik im Gegenteil Wähler zugeführt?

Eine solche Frage ist nur zu entscheiden, wenn die Knotenpunkte politischer Mentalitäten freigelegt werden, von denen die hier beobachtete Dynamik ausgeht. Manches spricht zunächst dafür, einen Rechtstrend unter jungen Leuten für eine ostdeutsche Angelegenheit zu halten. Da die Jugendarbeitslosigkeit in den ostdeutschen Ländern besonders hoch ist, da folglich die Perspektiv losigkeit unter ostdeutschen Jugendlichen besonders weit verbreitet ist, schlägt hier der von Wahlforschern immer wieder hervorgehobene Zusammenhang zwischen sozialer Lage und politischer Option besonders drastisch zu Buche. Auch wenn die CDU-FDP-Regierung erst vor einem Jahr abgewählt wurde, weil viele ihr in der Wirtschaftspolitik nichts mehr zutrauten, wenden sich die Jüngeren bereits jetzt wieder den Konservativen zu, weil die neue Regierung das für diese Bevölkerungsgruppe zentrale Problem nicht glaubwürdig angepackt hat. Schließlich steht dem Lehrstellenversprechen vielfach ein faktischer Lehrstellenmangel gegenüber, und was unter dem Schlagwort der "Scheinselbständigkeit" als Kampagne zur sozialen Absicherung von Geringverdienenden gedacht war, erleben viele junge Menschen im Effekt als Verlust eines für ihre Lebensgestaltung wichtigen Zuverdienstes.

Jedenfalls hat die rot-grüne Regierung binnen eines Jahres das Kapital an Hoffnung verspielt, das die Jungen gerade auf dem Politikfeld "Arbeit und Soziales" in sie setzten. DVU-Wähler in Brandenburg sind, so die Umfrageinstitute, jung, männlich und gering gebildet. Wie können Parteien, so fragt man sich, das seit Jahren zur Schau gestellte Desinteresse an den Fragen von Schule und Bildung, nun an der Regierung, weiter pflegen und sich damit selbst das politische Grab schaufeln? Bevor jedoch eine Weimarer Lage in Ostdeutschland diagnostiziert wird - eine Flucht zu einfachen Erklärungsmustern und historischen Mythen -, sollte der Blick auf irritierend widersprechende Tatsachen gelenkt werden. Da fällt zunächst auf, dass vom Trend jüngerer Wähler zur CDU bereits bei der Hessenwahl die Rede war. Und im Saarland verlor die SPD unter den unter 30 Jahre alten Wählern 13 Prozent, während die CDU hier am stärksten zulegte. Gewinnt also in Ostdeutschland nur eine Tendenz schärfere Kontur, die in den alten Bundesländern ebenso wirksam ist? Zudem lässt sich die Motivlage vieler junger Leute nicht aus einem sozialökonomisch verkürzten Blickwinkel erklären. Nicht die Tatsache der Arbeitslosigkeit als solche entscheidet politisch, sondern ihre subjektive Verarbeitung oder Verdrängung zum Beispiel als alltäglicher Rassismus.

Einer der entscheidenden Unterschiede zwischen West- und Ostdeutschland besteht darin, dass hier die Parteien, mit Ausnahme der PDS, über keinerlei nennenswerte Mitgliederbasis verfügen. Nach dem Grundgesetz wirken die Parteien an der politischen Willensbildung mit - ja wie denn, wenn sie im Alltag der Gesellschaft keine Rolle spielen? All diese Systeme der letzten Zeit, "König Kurt" ebenso wie das System Kohl oder Medien-Machtmensch Schröder, laufen darauf hinaus, politische Kultur durch Wahlmaschinen zu ersetzen. Diese brauchen die Menschen nicht mehr als Bürger oder Mitglieder, sondern nur noch als kurzfristig durch Imagewerbung und in Kampagnen mobilisierbare Wählermassen mit einem möglichst kurzen Weg vom Fernseher zur Wahlkabine.

Diese latent populistische Situation in Deutschland wirkt mit längst diagnostizierten Veränderungen in der Jugendkultur auf fatale, zumindest auf von den Regierungsparteien unbegriffene Weise zusammen. Mit Angeboten zu langfristiger Identifikation und Bindung an politische Kulturen und Stile sind die Jüngeren immer weniger anzusprechen.

Dabei sind Jugendliche, wie beispielsweise in der 12. Shell-Jugendstudie hervorgehoben wird, nicht unbedingt a- oder unpolitisch. Vielmehr klaffen eine durchaus verbreitete Bereitschaft zum Engagement und die Einsicht in die Wirkungslosigkeit der hierfür bereitstehenden Politikangebote weit auseinander. Nicht Politik- oder Parteienverdrossenheit überhaupt, sondern eher ein durch Aussichtslosigkeit blockiertes Interesse kennzeichnet die Lage. Man kann ja nichts tun ... Dazu kommt die Weigerung, sich angesichts der wachsenden Unsicherheit persönlicher und beruflicher Perspektiven auch noch in Freizeit, Bildung und Politik einer anstrengenden Offenheit auszusetzen, die sich in den klassischen Orientierungen des grünen und toskanaroten Milieus an Selbstbestimmung, Toleranz und Antiautoritarismus konkretisiert.

Ob die vielzitierte Formel von der Entideologisierung auf die Generation, die sich SPD und Grünen verweigert, wirklich passt, ist mehr als zweifelhaft. Wer heute über eine Nähe der Jüngeren zu konservativen oder rechtskonservativen Orientierungen erstaunt ist, hat die lange Geschichte der Annäherung zwischen der CDU und einflussreichen Jugendidolen vergessen oder verdrängt. Was wäre Helmut Kohl Anfang der achtziger Jahre ohne seine heimlichen Verbündeten Boris Becker und Steffi Graf gewesen? Die wahre Musik der politischen Trends spielt in den Alltagskulturen. Mit welcher Kultur, mit welchen Milieus, die unter 18- bis 30jährigen Wirkung entfalten können, sind die Regierungsparteien verbunden? Wo ist das Pendant zur Love Parade, in der sich Kohls neues Deutschland wie nirgendwo anders feierte? SPD und Grüne haben im Armani-Look in der neuen Mitte Platz genommen, wo sie nun allein alt zu werden drohen.

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