Kommunistischer Kapitalismus

In den Fallstricken des Grundeinkommens Der Soziologe Ulrich Beck und das merkwürdige Reich der Freiheit

Während die einen betonen, ein immer größerer Teil der deutschen Bevölkerung versinke in Armut, darunter nicht zuletzt Kinder, treten andere mit dem Plan hervor, immer mehr Menschen zu Unternehmern zu machen. Die CDU möchte den arbeitslosen Almosenempfängern einen Geldhahn nach dem anderen zudrehen, und lädt deren in Lohn und Brot stehende Kollegen wieder einmal dazu ein, am Kapitalvermögen teilzunehmen. Ulrich Beck, einer der eifrigsten deutschen Publizisten und SPD-naher Soziologe, garniert sein Plädoyer für ein bedingungsloses Grundeinkommen mit der Aussicht, befreit vom Druck elementaren Broterwerbs würden die Menschen zu Unternehmern werden, weil sie sich endlich aus freien Stücken entscheiden könnten, etwas Vernünftiges zu unternehmen. Man will schon gar nicht mehr an die Ich-AGs erinnern, um die Frage zu stellen: Der Unternehmer als letzter Ausweg einer Gesellschaft, der die Arbeit ausgeht?

Abgesehen davon fällt auf, dass sich Ulrich Beck in letzter Zeit häufig mit einem konkreten Vorschlag zitieren lässt: 800 Euro auf die Kralle für alle. Er weist zu Recht darauf hin, dass derlei Gedanken eine lange Geschichte hinter sich haben. Von einem Grundeinkommen, von einer neuen Freiheit, haben schon viele gesprochen: die Neoliberalen in den siebziger Jahren, André Gorz und die Grünen Anfang der achtziger und Kurt Biedenkopf Mitte der achtziger Jahre. Dann trat eine kohlbedingte Pause von fast 20 Jahren ein, bis nun eine informelle grün-rot-schwarze Koalition die Blaupause wieder aus dem Hut zieht.

Ein Vorschlag lebt von seinem Kontext. Dieser war traditionell durch die Einsicht gegeben, dass der Bismarcksche Sozialstaat und auch seine weiterentwickelte Form des "Welfare State" mit den an die Arbeit gebundenen Versicherungssystemen dann nicht mehr funktionieren kann, wenn immer weniger Menschen immer weniger Lebensarbeit leisten und dementsprechend die Sozialkassen relativ schrumpfen. Die Schlussfolgerung, dass ein anderer Umverteilungsschlüssel gefunden werden muss, zum Beispiel über Steuern, liegt nahe.

Es ist demnach völlig vernünftig, ein allgemeines Grundeinkommen als das zu propagieren, was es ist: als eine Umverteilung unter den abhängig Arbeitenden aller Kategorien nach dem Maßstab der Gleichheit. Die Beobachtung, dass hier scheinbar auch eine Umverteilung zwischen Staat und Gesellschaft stattfindet - Stichwort: Staatsquote von 70 Prozent -, kann man getrost der FDP überlassen. Schließlich sind heute auch die dann entfallenden Einzahlungen der "Arbeitgeber" in den gesellschaftlichen Reservefonds vom Staat erzwungen, selbst wenn sie nicht die Form der Steuer annehmen. Nein, was stutzig macht, ist, dass neuerdings diese Umverteilung auf der Grundlage des Kapitalismus mit einer Gloriole der Freiheit umwunden wird. "Freiheit statt Vollbeschäftigung" - das ist heute für viele die Alternative.

Fast könnte man meinen, wenn der Kapitalismus die Menschen von der Arbeit befreit, bricht schon das Reich der Freiheit an. Reich der Freiheit? War da nicht ´was? "Das Reich der Freiheit beginnt in der Tat erst da, wo das Arbeiten, das durch Not und äußere Zweckmäßigkeit bestimmt ist, aufhört." So steht es bei Karl Marx im dritten Band des Kapital. Hat er sich wohl gekauft, der Ulrich Beck. Also fängt wohl die "menschliche Kraftentwicklung, die sich als Selbstzweck weiß", sprich jene von Marx und Engels skizzierte Möglichkeit, "heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren, wie ich gerade Lust habe..." exakt oberhalb von 800 Euro im Monat an? Wenn das so wäre, bildeten Neoliberale à la Milton Friedman, Kurt Biedenkopf, Ulrich Beck und Teile der Linkspartei die wahre, wenn auch heimliche kommunistische Plattform, vor der das Establishment erzittern müsste.

In einem Punkt hat Ulrich Beck auf jeden Fall recht: "Die Produktivitätssteigerung erlaubt es, mit einem Minimum an menschlicher Arbeit ein Maximum an Wohlstand zu erzielen." Das gilt zumindest für die reichen Regionen der Erde. Und noch etwas stimmt: Alle Parteien belügen das Publikum, was die Vollbeschäftigung angeht. Nur Helmut Kohl bekannte einmal - Fettnäpfchen oder lichter Augenblick? -, es werde nie wieder Vollbeschäftigung geben. Das ist längst vergessen, und um so mehr lebt die scheinbare Alternative, das bedingungslose Grundeinkommen. Allerdings liegt zwischen dem "Reich der Freiheit" und den 800 Euro für alle nicht nur eine Revolution, sondern auch die Kleinigkeit einiger irritierender, weil zuwiderlaufender Tendenzen.

"Die Verkürzung des Arbeitstags ist die Grundbedingung", würde Ulrich Beck im dritten Band des Kapital lesen, nämlich die Grundbedingung für das jenseits der bloßen Notwendigkeit liegende Reich. Nun erleben wir statt einer Verkürzung eine ständige Ausdehnung der Tages-, Wochen- und Lebensarbeitszeit. Computerchips müssen rund um die Uhr produziert werden, wie der fertige Computer auch noch fünf vor zwölf des Nachts erworben werden können soll, der Sonntag ist auch nicht mehr heilig und die Rente kommt erst mit 67. Was stimmt da nicht?

"Die Überarbeit des beschäftigten Teils der Arbeiterklasse schwellt die Reihen ihrer Reserve, während umgekehrt der vermehrte Druck, den die letztere durch ihre Konkurrenz auf die erstere ausübt, diese zur Überarbeit und Unterwerfung unter die Diktate des Kapitals zwingt." So steht es bei Marx im ersten Band. Nun mag Herr Beck denken, das ändere sich mit einem Schlage, haben erst mal alle die 800 auf der Kralle. Können die Kapitalisten uns dann mal gern haben, weil der Druck weg ist?

Schon in der Vergangenheit haben uns die Soziologen viel erzählt. Zum Beispiel in den fünfziger Jahren hieß es: "Reservearmee - haben wir nicht." Seit langem jedoch gilt: Haben wir nicht, gibt´s nicht. Oder was sonst lieferte einen schlagenderen Beweis für das vielgeleugnete "absolute, allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation", als zehn Prozent Arbeitslosigkeit über Jahre um Jahre? Nicht nur die Soziologen, auch die Sozialdemokraten haben uns schon einiges erzählt. Nachdem die CDU den Sozialstaat eingeführt hatte, sagte die SPD 1959: Kapitalismus ade. Kaum stellt sich das als Märchen heraus, sagt die SPD: Sozialstaat ade. Nun soll mit dem Grundeinkommen gleich das "Reich der Freiheit" eingeführt werden.

Ob da nicht dieselben Denkfehler wieder auferstehen? Wenn doch der Kapitalismus auf der Grundlage des Sozialstaats munter weitergemacht hat, warum sollte er nicht auf der Grundlage eines Grundeinkommens mindestens ebenso munter fortleben? Schließlich fängt doch das Leben erst oberhalb von 800 Euro so richtig an: Fernseher, Computer, Auto, Ferienreise. Da ist doch für Kapitalismus genügend Luft. Herr Beck sagt auch nichts anderes, nach seinen Worten "passt das Grundeinkommen zum Kapitalismus." Na, dann ist ja wieder alles in Ordnung.

Nur eine Kleinigkeit bereitet noch Kopfschmerzen. "Und was ist mit den ›billigen‹ Jobs, die niemand machen will? Die werden erst richtig teuer ..." Ach, so - was bleibt dann von der Freiheit übrig, wenn man sich die einfachsten Dienste von den 800 Euro nicht mehr leisten kann? Aber die kommen bestimmt aus einem Land, wo das bedingungslose Grundeinkommen noch nicht eingeführt worden ist.


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