Wozu der ganze PEN?

Kommentar Die globalisierte Welt braucht mehr denn je den Anwalt des freien Wortes

Ein Schriftsteller sitzt seit Jahren im Gefängnis einer beliebigen Macht, sei sie ein kubanischer maximo líder, ein chinesisches Zentralkomitee oder ein iranischer Revolutionsrat, und ist schon gründlich vergessen. Da kommt plötzlich eine Lawine von Emails und Briefen auf ihn zu, auf seine schweigenden Angehörigen oder auf den Gefängnisdirektor. Nichts anderes wird darin bekundet als weltweite Solidarität von Kollegen. Wem das geschieht, der weiß sich gestärkt und ermutigt in seiner Verlassenheit, erhält vielleicht Hafterleichterungen oder gar die Freiheit zurück. Zumindest trauen sich die Schergen nicht mehr alles, wenn sie im Blickfeld so vieler Augen sind. Das ist die Macht des PEN: Zeichen zu setzen. In einer globalisierten Bilderwelt aber haben gerade solche Zeichen ihre Geltung - und vielleicht nicht weniger als die wirkliche Macht.

Der Weltkongress der rund 140 PEN-Zentren in der vergangenen Woche hat es wieder erwiesen: Die Welt wird keinesfalls besser, die Folter nicht weniger, die Unterdrückung der freien Rede und des ungehinderten Dialogs nimmt nicht ab. Aber die Zivilgesellschaft kann fordern, dass die Menschenrechte auch in Usbekistan und im Kongo, in Vietnam und in Kolumbien gelten sollen. Und dafür ist der PEN da: seit nunmehr 85 Jahren, als eine pazifistische Schriftstellerin einen britischen Club von Gleichgesinnten gründete - nach all dem blutigen Chauvinismus des Ersten Weltkriegs. Der Gedanke einer Internationale von Schriftstellern bedurfte eines halben Jahrzehnts, um sich durchzusetzen. 1926, mit dem ersten Kongreß des PEN in Berlin, hatte er es geschafft.

80 Jahre später ist er stärker denn je. Aufbrüche sind unübersehbar: Der internationale PEN modernisiert seine Organisation in London, bestimmt längerfristige strategische Ziele. In vielen afrikanischen und asiatischen Ländern gibt es noch keine PEN-Zentren. Dafür werden in Zukunft Patenschaften übernommen und stille Hilfen gewährt. Das vermehrt die Zahl der Menschenrechtler auch in schwierigen Regionen.

Die Komitees für die Schriftsteller im Gefängnis arbeiten effizient. Es gehört zur hohen Schule der Informationsgesellschaft, aus dem Wust an Nachrichten über politische Gefangene die verlässlichen herauszufiltern, die Desinformationen zu erkennen, die Winkelzüge der Fanatiker an der Macht zu durchschauen. Gäbe es die "Writers-in-prison-Komitees", diese geräuscharmen Äquilibristen der Menschenrechte, nicht, wären viel mehr Zellen mit Schriftstellern gefüllt und manche würden sich überhaupt nicht mehr leeren.

Der PEN ist in einer paradoxen Lage: selbst ein globaler Zusammenschluss, reagiert er empfindlich auf kulturelle Globalisierung. Die neuen Zentren, die gebildet werden, suchen ihr Selbstverständnis oft im regionalen Rahmen. Ein Zentrum für Afrikaans-Autoren ist zweimal zurückgestellt worden und wurde nun akzeptiert. Geradezu automatisch wird auf diese in Pretoria angesiedelte Organisation eine in Johannesburg folgen, und so unterläuft ein gewisser Partikularismus das Wunschbild des größeren kulturellen Raums.

Aufgebrochen ist beim Berliner Kongress die linguistische Diskussion. Von den rund 6000 lebenden Sprachen rund um den Globus wird nach Expertenmeinungen in den nächsten Jahrzehnten die Hälfte untergehen. Gibt es für sie (und die Ethnien, die sie sprechen) einen Schutz durch literarische Fixierung? Sollten beispielsweise die afrikanischen Autoren ihre jeweilige Sprache in Büchern forcieren, um sie zu retten? Oder sollten sie sich, um überhaupt Leser zu finden, doch eher der Sprache ehemaliger Kolonisatoren, also des Englischen und des Französischen, bedienen? Passende, einfache Antworten gibt es darauf nicht; die Ambivalenzen des Ausdrucks zwischen Regionalsprache und lingua franca bleiben erhalten. Der nächste Weltkongress im senegalesischen Dakar wird vermutlich dieses Problem noch intensiver aufgreifen.

Das Gleiche gilt für den Status des Autors in der Mediengesellschaft. In Deutschland sollen seine Urheberrechte per Gesetz durch die Interessen der Geräteindustrie dividiert werden. Der Staat will seine Schutzpflicht gegenüber Schriftstellern und Künstlern zurücknehmen. Die großen Internet-Betreiber wollen trotz aller Proteste auf die urheberrechtlich geschützten Werke zugreifen. So werden die poets, essayists and novellists, die ja den intellektuellen und künstlerischen Reichtum produzieren, von einer wachsenden Schar von Verwertern, Betreibern, Nutzern umstellt. Dieser Prozeß der schleichenden Enteignung erfordert, weil er vor allem von Großkonzernen und Mogulen der Mendienindustrie betrieben wird, demnächst die Einmischung des internationalen PEN.

Er ist als Anwalt des freien Wortes und des unzensierten Gedankenaustauschs nötiger denn je. Als Interessenvertreter gegen den Missbrauch der Autorenrechte muss er sich erst noch finden.

Wilfried F. Schoeller ist Generalsekretär des PEN-Deutschland.


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