Gefangenenaustausch Ukraine und Russland

Ukraine Am 29. Dezember 2019 fand der zwischen den Präsidenten Volodymyr Zelenskyj und Vladimir Putin vereinbarte Gefangenenaustausch statt. Welche Gefangenen forderte Putin?

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Während des Präsidentschaftswahlkampfes und auch während des Wahlkampfes für die Verchovna Rada betonte der Wahlgewinner Volodymyr Zelenskyj, alles dafür zu tun, die von Russland oder von den "Separatisten" gefangenen Ukrainer zu befreien und zu versuchen, den seit Mai 2014 herrschenden Krieg zwischen der Ukraine und Russland im Osten des Landes zu beenden. Zelenskyj betonte mehrmals ausdrücklich, der Schlüssel für die Beendigung des Krieges läge einzig und allein im Kreml. Am 29. Dezember kam es zum zweiten Austausch von Gefangenen, bei dem im Gegensatz zu früheren Austauschvereinbarungen nicht nur gefangene Soldaten ausgetauscht wurden.

Es ist hilfreich, sich auszugsweise die Liste der Namen anzusehen, die Russland gefordert und auch erhalten hat. Juryj Butusov veröffentlichte einige Namen.

- Sergei Sintschenko, Pawel Abrosʹkin, Sergei Tamtura und Alexander Marinchenko waren als Mitglieder der ehemaligen Spezialeinheit Berkut (Steinadler) am 20. Januar 2014 in Kyiv auf dem Maidan dabei. Sie werden beschuldigt, zahlreiche Demonstranten erschossen zu haben.

- Der stellvertretende Kommandant des Kyiver Regiments der Berkut Oleg Janishevskij, der beschuldigt wird, den Befehl für den Einsatz von Waffen am 20. Februar gegeben zu haben.

- Viktor Tetjutsk, Sergei Baschlykov und Vladimir Dvornikov waren Teilnehmer des Anti-Maidan in Kyiv. Sie legten am 22. Februar 2015 eine Nagelbombe, die während einer Gedenkveranstaltung in Kharkiv explodierte. Vier Menschen starben. Unter anderem der 15-jährige Daniil Didyk und der 18-jährige Nikolai Melnychuk. Das bei diesem Terroranschlag nicht wie geplant noch weitaus mehr Menschen getötet wurden, war glücklichen Umständen zu verdanken.

- Evgeny Druzhinin (Rufzeichen "Fuchs"), Alexander Stelnikowitsch (Rufzeichen "Griechisch") und Viktor Skripnik (Rufzeichen "Tarkom"), Mitglieder der Terrorgruppe Mangusta (Mungo).
Die drei hatten in Mariupol am 9. Mai 2014 in Mariupol eine Polizeistation angegriffen. Bei dem Angriff und der anschließenden Schießerei kamen 13 Menschen ums Leben.

- Nikolai Ruban (*1951) übergab der ukrainischen Armee als Spende einen Honigtopf, in dem eine Mine verborgen war. Bei der Explosion kam ein fünffacher Familienvater ums Leben.

- Maxim Misyak. Auftragskiller aus Kharkiv, der am 1. August 2013 (Jaroslav Bysaga) einen und am 9. März 2014 (Eugeny Slonevsky und Oleg Litvinow) zwei Unternehmer ermordet hatte. Das Erstaunliche an der Forderung, den Erpresser und Mörder Misyak auszuliefern besteht darin, dieser war zu keiner Zeit politisch aktiv. Es wäre interessant zu erfahren, welches Interesse Russland haben kann, gewöhnliche Mörder bei diesem Austausch zu fordern.

- Rafael Lusvargi aus Sao Paolo, ein ehemaliger Fremdenlegionär aus Brasilien. Er kämpfte im Ausländerbatallion Wikinger.

- Sergej Dolschenkov (Rufname Kapitan Kakao), einer der Hauptorganisatoren der Straßenschlachten von Odesa am 2. Mai, die mit tödlichen Schüssen von Vitali Budko (Rufzeichen Bootsmann) begannen. Dolschenkovs Karriere bei der Polizei in Odesa endete 2012, als er während der Dienstzeit beim Sex mit einer Minderjährigen erwischt wurde.

- Alexander Schevtsov, Eugene Podmazko und Jekaterina Potjeva, denen eine Reihe von Sprengstoffattentaten in Odesa zur Last gelegt wird.

- Vladimir Grubnik. Ein Arzt aus Odesa, der im September 2015 in der Nähe des SBU-Gebäudes ein Sprengstoffattentat organisiert hat.

- Ruslan Dolgosheya und sein Sohn Vladislav, Oleg Mazur, Nikolai Seljatenko, Nikolaj Kasan und Vadim Shwed, die Anschläge auf das Schienennetz in Odesa und Mykolaiv
begangen hatten.

Russland setzte somit die Tradition fort, Kriminelle und Terroristen zu fordern. Schon beim ersten Austausch machte Russland es zur Bedingung, Vladimir Zemach müsse trotz des dringenden Verdachts, am Abschuß der Passagiermaschine MH17 beteiligt gewesen zu sein, ausgetauscht werden. Über die Motive kann man Mutmaßungen anstellen. Eines jedoch ist sicher: Wer Anschläge in der Ukraine verübt, kann damit rechnen, von Russland freigepreßt zu werden. Und viele Ukrainer sehen Putins Streben, ihr Land mit allen möglichen Mitteln zu destabilisieren. Internationale Gerichtsbarkeiten, die z.B. den Abschuß der MH17 untersuchen, werden ebenso bedeutungsloser, wenn ein Staat Verdächtige freipresst.

Zelenskyj selbst bewegt sich mit dem Gefangenenaustausch auf sehr dünnem Eis. Natürlich empfinden die Angehörigen in der Ukraine Freude darüber, mit den von Russland oder von den Separatisten ausgelieferten Gefangenen Silvester feiern zu können. Der Preis dafür ist sehr hoch und der ohnehin schon geringe Glaube an die Rechtsstaatlichkeit zerfällt weiter. Zumal kaum einer der oben Genannten auch nur ansatzweise unter die Bedingungen der Minsker Vereinbarungen fallen dürfte. Mit Rechtsstaatlichkeit hat das kaum noch etwas zu tun. Die Kritik in der Ukraine am Gefangenenaustausch fällt hart aus.

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