Gleichschaltung der Medien in Belarus

Revolution in Belarus VII Das Informationsministerium schließt täglich Nachrichtenportale wegen Übermittlung von Informationen, deren Verbreitung nach §38.1 (Über die Massenmedien) verboten ist

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Es vergeht in Belarus kein Wochentag, an dem nicht Nachrichten über die Verhaftung oder Verurteilung von Journalisten zu lesen sind. Der Widerstand versinkt durch staatliche Repressionen, unabhängige Nachrichtenkanäle werden reihenweise unter dem Vorwurf des Extremismus verboten. Seit meinem Artikel im Juni hat sich allein in dieser Woche wieder viel getan.

1. Zerstört die Gefängnismauern
(Sergei Kosmas & Sergei Tikhonovsky)
(Freier Chor, Juni 2021)

Die Geschichte der Herrschaft von Alexander Lukashenka ist
also die Geschichte der Zerstörung der unabhängigen Presse.
Irina Khalip

6. Juli - Der Präsidentschaftskandidat für die Wahl im letzten Jahr Viktar Babaryka wurde zu 14 Jahren verurteilt. Darüber hinaus legte das Gericht eine Geldstrafe von 145000 Rubel (47250 Euro) sowie eine zu zahlende Schadensersatzforderung von 46 Mio. Rubel (15 Mio. Euro) fest.

6. Juli - Im gleichen Verfahren wurden Sergei Shaban (6 Jahre), Dmitry Kuzmich (6,5 Jahre), Kirill Badey (5,5 Jahre), Sergei Dobrolet (5,5 Jahre), Alexander Ilyasyuk (5,5 Jahre), Viktor Kobyak (3 Jahre) zu Gefängnisstrafen verurteilt. Aleksey Zadoiko erhielt 5 Jahre "Heimchemie“.

7. Juli - Natalia Krasko aus Borovlyany wurde zu 2 Jahren Zwangsarbeit verurteilt und muß 3000 Euro Schadensersatz zahlen. Sie sagte: "Der Generalstaatsanwalt ist ein Verbrecher". Die 3000 Euro erhält der Generalstaatsanwalt.

7. Juli - Die Wohnung des Aktivisten Mikalai Kachurets aus Vitebsk wurde durchsucht. Ihm wird vorgeworfen, an der Planung der Sprengung des Kommunikationszentrums der russischen Marine beteiligt zu sein. Kachurets hatte zu Informationszwecken mehrere Telegram-Kanäle abonniert.

7. Juli - Die Wohnungen der Journalisten Zmitser Kasakewitsch und Vyachaslau Lazarau aus Vitebsk wurden durchsucht. Die Journalisten Vital Skryl und Uladzimir Luniou wurden festgenommen.

8. Juli - Der KGB verkündet, es laufe im Moment "eine groß angelegte Operation zur Säuberung der Bevölkerung von Radikalen".

8. Juli - Der Menschenrechtsaktivist und Herausgeber der Webseite orsha.eu Igor Kazmerchak wurde am Morgen festgenommen. Ihm wird Sachbeschädigung vorgeworfen.

8. Juli - In Bobruisk wird das Haus der Journalistin Alesya Latinskaya durchsucht. Sie arbeitet unter anderem für die Lokalausgabe bobr.by. Auch bei Andrey Kukharchik fand eine Hausdurchsuchung statt.

8. Juli . Die Seite von Euroradio.pl wurde gesperrt. Beim Aufruf der Seite erschien folgender Text: "Der Zugang zur Informationsquelle ist aufgrund der Entscheidung des Informationsministeriums der Republik Belarus eingeschränkt."

8. Juli - Mitglieder des im Mai vom Netz genommenen Nachrichtenportals tut.by gründeten das Nachrichtenportal Zerkalo.io. Eine Stunde nach dem Erscheinen wurde die Seite in Belarus blockiert. Eine Anleitung zur Umgehung der Blockade mittels VPN wird (nicht nur) auf dem Telegram-Kanal von tut.by verbreitet.

8. Juli - Die Internetseite von Nasha Niva wurde gesperrt, der Chefredakteur wurde verhaftet und Wohnungen vieler Mitarbeiter wurden durchsucht. Dies geschah durch eine Anordnung des Informationsministeriums.

8. Juli - Die Redaktionsräume von media-polesye.by wurden durchsucht.

9 Juli - Der Prozess gegen den Telegrammkanal hrodna.life beginnt. Hrodna.life wird Extremismus vorgeworfen.

Novaya Gazeta kommentierte die Ereignisse des 8. Juli mit den lakonischen Worten: "Dies war ein fast vertrauter belarusischer Morgen." Ähnlich wie am 18. Mai bei Tut.by werden sowohl Steuerhinterziehung, als auch Extremismus und Aufruhr zur Gewalt und Massenunruhen als Begründung für die Massnahmen gegen die Presse genannt. Zur Erinnerung: Ein Treffen mehrerer Menschen kann schon als unerlaubte Massendemonstration gelten, ein Photo davon zu machen gilt in Belarus als Straftat. Viele Menschen wie die Stuckateurin Julia Slivko aus Grodno haben aufgrund der Repressalien seit August letzten Jahres das Land verlassen.

Nicht nur die Presse ist von den Repressalien betroffen. Am 4. Juli erschienen Sicherheitskräfte in der Mariä-Namen-Kathedrale in Minsk. Sie konfrontierten die Geistlichen mit dem Vorwurf der Verletzung von Gesetzesnormen, weil das Gebet Магутны Божа (Mächtiger Gott; Musik: N. Ravensky,1947 Gedicht: N. Arsenyeva,1943). Das Gebet wird von Katholiken, Orthodoxen und Protestanten gleichermaßen genutzt und das Lied wurde sogar 1993 als Hymne von Belarus vorgeschlagen.

2. ПСІХОЗ%

Auf dem TV-Kanal Belarus 1 wird verkündet, der KGB habe Beweise für die Rekrutierung von "Schlägern für neue Ausschreitungen und sogar Terrorakte". Bereits am 2. Juli hatte Lukashenka angekündigt, juristische Klagen werden "nicht mehr (nur) gegen einen Heiko Maas, den deutschen Außenminister, sondern auch gegen die Kanzlerin selbst und einen Teil der deutschen Führung erhoben werden."

KGB-Ermittlungsergebisse präsentierte Lukashenka schon dem russischen Premierminister Mishustin letztes Jahr im September, als er diesem ein Abhörprotokoll zwischen Mike und Nika aus Warschau und Berlin präsentierte, das beweisen sollte, Navalnyjs Vergiftung sei eine Tat des Westens gewesen. Eine Reaktion von Mishustin oder von Putin ist nicht überliefert. Die Novaya Gazeta stellte belustigt fest, Lukashenka sei bei der Casting-Show des nützlichen Idioten grandios gescheitert. Selbst bei den wenig zimperlichen russischen Propagandamedien fand diese Räuberpistole keine Berücksichtigung. Der Verdacht liegt nahe, beim KGB in Belarus werden bevorzugt Nachkommen des russischen Märchenerzählers Afanasjev eingestellt. Leider sind die Folgen für viele Menschen in Belarus drastisch, weshalb das Gelächter über die tolldrastischen Geschichten des belarusischen Geheimdienstes im Halse stecken bleibt.

Dennoch hat auch Lukashenka noch Fans in Russland. Während man beim Kreml eher peinlich berührt zu sein scheint, kann man vermuten, die Entkopplung Lukashenkas von der Realität isoliert ihn in der Welt und befördert Putins Träume von einer Vereinigung Russlands mit Belarus und der Ukraine.

Einer der Fans von Lukashenka ist Sergej Markov, der Leiter des Instituts für politische Forschung in Russland ist und von dem es auf Wikipedia heißt, er sei Putin freundschaftlich verbunden. Liest man seinen Telegram-Kanal, so hat man eher den Eindruck, in das unterste Gossen-Niveau des rechten Flügels von AfD-Facebook-Gruppen abgestiegen zu sein.

Weil Litauen eine belarussisch-feindliche Politik verfolgt. Jetzt haben Migranten
aus allen Regionen der Welt begonnen, nach Belarus zu eilen. von dort in die EU zu
gehen, um dort Sozialleistungen in Deutschland oder Schweden zu beziehen.
Lukashenka ist schließlich ein harter Kerl!
Leiter des Instituts für politische Forschung in Russland Sergei Markov

Ich habe dieses Zitat nicht auf Markovs Telegram-Kanal finden können, jedoch klingt das Zitat angesichts seines Schreibstils sehr authentisch. Markov lobt Lukashenkas politisches Spiel mit Flüchtlingen, von dem Roland Bathon auf Telepolis ausführlich berichtet. Nach der Veröffentlichung von Bathons Artikel wurden in Polen an der Grenze zu Belarus 40 Flüchtlinge in Babia Góra und 49 Flüchtlinge in Krynky aufgegriffen. In beiden Fällen kamen die Flüchtlinge hauptsächlich aus Afghanistan, einige auch aus Tschetschenien. Auch iranische Flüchtlinge wurden in der Vergangenheit festgenommen.

Lukashenka brüstet sich damit, Europa mit Flüchtlingen zu überschwemmen. Litauen wirft Lukashenka vor, Flüchtlinge als Hybridwaffe einzusetzen. Angesichts der Tatsache, Belarus ist kein Nachbarland der Flüchtlinge, kann man nur erahnen, sie können problemlos durch Russland reisen. Wie Erdogan will auch Lukashenka ein politisches Spiel mit Flüchtlingen spielen. Die Ware Mensch bereichert Diktatoren und wird als modernes Mittel der Kriegskunst genutzt. 2015 öffnete Griechenland seine nördlichen Grenzen, da nach dem Dubliner Abkommen Flüchtlinge nicht verteilt werden, sondern in einem sicheren Ankunftsland verbleiben müssen. Pech für Griechenland, Italien und Spanien. Griechenland öffnete aber lediglich die Grenzen zu Nordmazedonien. Es bleibt der schale Beigeschmack, der ungeliebte Nachbarstaat solle destabilisiert werden.

Nordmazedonien versuchte damals, in die NATO aufgenommen zu werden. Ob es Zufall war, kurz vor dem Beginn der Flüchtlingswelle trafen sich der griechische Außen- und Justizminister auf einer Hochzeit mit Maloveev - einem russischen Oligarchen, der eine wichtige Rolle bei der Annexion der Krym und bei dem anschließend beginnenden Krieg im Donbas gegen die Ukraine spielte, mag jeder selbst für sich beurteilen. Für Malofeev arbeiteten nachweislich Borodaj, Girkin und Gubarev, drei Hauptfiguren in den ersten Monaten des Krieges gegen die Ukraine.

Während 2015 die Ursprünge der Flüchtlingswelle schwer nachweisbar sind, bietet sich Lukashenka 2021 als Schleuser in der Öffentlichkeit an. Es erreichten bis Anfang Juli 19x mehr Flüchtlinge als im gesamten Jahr 2020. Lukashenka behauptet einerseits, ihm fehlen die Mittel, diesen Flüchtlingsstrom zu begrenzen, will andererseits aber auch den Warenverkehr zwischen der EU und Russland stoppen, der durch Belarus fährt. Putins Sprecher Dmitri Peskov befürchtet, diese Maßnahme dürfte Russland weitaus mehr als die EU treffen.

Die Ankündigung von Maßnahmen und Sanktionen bietet auch amüsante Momente der entrückten Realität Lukashenkas. Ein Boykott der westlichen Waren wird angekündigt. Speziell gegen deutsche Waren. Was die spannende Frage aufwirft, auf welche Autos Lukashenka umsteigen kann, wenn auch deutsche Autos in Belarus verboten sind. Seine Vorliebe für den Maybach von Daimler ist bekannt. In seinem Fuhrpark befindet sich ein Maybach S 600 Pullman Guard und ein Maybach 62. Ein Schnäppchen aus Sindelfingen. Tut.by hat sich der Nöte des Präsidenten angenommen und Vorschläge für patriotische und teure Alternativen unterbreitet.

Die Bevölkerung macht sich derweil Gedanken über ihre Urlaubspläne. Da eine Ausreise ins Ausland maximal alle sechs Monate gestattet ist und die Zahl der möglichen Urlaubsorte drastisch reduziert wurden, kommen hauptsächlich Reisen nach Russland und in die Ukraine in Frage, um von dort aus mit dem Flugzeug weiter zu reisen.

Begriffserklärung

Chemie - Ein Begriff, der noch aus der Zeit der Sowjetunion stammt. Umgangssprachlich wird damit Zwangsarbeit im offenen Vollzug bezeichnet, die zumeist in gesundheitsgefährdenen oder gefährlichen Betrieben geleistet werden muß. Mehr über die Arten des Strafvollzuges in Belarus und auch in der Sowjetunion auf Russisch: Von der Chemie bis zum Gefängnis. Wie Verurteilte in Belarus bestraft werden

ПСІХОЗ% (Psycho 3%) - Während des Wahlkampfes erschienen in Minsk für kurze Zeit T-Shirts, Tassen und andere Artikel mit der Aufschrift PSYCHO3%. Die 3 basiert auf eine Internetumfrage auf drei Nachrichtenportale, bei der lediglich 3% ihre Absicht bekundeten, Lukashenka zu wählen (MDR), sie lässt sich aber auch als Psycho Sasha (Kosename von Alexander) interpretieren. Nach kurzer Zeit wurden die T-Shirts beschlagnahmt. Der Händler entschuldigte sich bei den Kunden über die ausbleibende Lieferung der T-Shirts, deren Zusammensetzung er mit "97% - Baumwolle, 3% - Psychose" beschrieb.

Weiterführende Links und Hinweise

Das andere Minsk (deutsch) - Ein lesenswertes Special auf Dekoder, welches auf Recherchen des am 8. Juli abgeschalteten Nachrichtenportals Nasha Niva basiert. Auf einer virtuellen Karte kann man die Bedeutung der Orte erfahren, die für die Menschen in Minsk seit 2020 eine Bedeutung haben.

Erklärung des belarussischen Journalistenverbandes "Stoppt die Zerstörung der belarussischen unabhängigen Medien"

Minsk (2021) - Der Spielfilm Minsk (Regie & Drehbuch Boris Guts) wird vorgestellt. Es geht um ein junges Paar, welches mit den Ereignissen in Belarus im Jahr 2020 konfrontiert wird.

Anmerkung und Korrektur: Reisen in die Ukraine sind weder per Reisebus, noch per Flugzeug möglich. Urlauber mit dem Reiseziel Ukraine müssen von Belarus über Moskau oder Istanbul ins Nachbarland einreisen. Direkte Reisen werden nur mit einem triftigen Grund (z.B. Arbeitsvertrag) genehmigt. Eine Urlaubsreise gilt nicht als ausreichend. Die Korrektur kam aus Belarus. Vielen Dank an den unbekannten Autor.

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